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Berlin: Romeo und Julia aus dem Abrisshaus

Straßenkinder spielen Theater und erzählen dabei von ihren Träumen

Noch nicht lange her, da ging Valerie aufs Gymnasium in Osnabrück. Dann wechselte sie zur Realschule,und schließlich ließ sie es ganz. Jetzt steht sie im Theater „Tribüne“ und bereitet sich auf ihre Rolle in „Theater Theater“ vor, einem Stück mit Straßenjugendlichen. Vor anderthalb Monaten kam die 15-Jährige nach Berlin, schläft seitdem in einem Abrisshaus und schnorrt tagsüber auf der Straße. Als sie kürzlich in der Kontakt- und Beratungsstelle KuB für junge Menschen in Not landete, um zu duschen und eine Gratismahlzeit zu bekommen, wurde sie gefragt, ob sie nicht mitmachen wolle bei dem Stück. Gerade waren einige Hauptdarsteller abgesprungen. Warum nicht? Das Mädchen mit dem zarten Gesicht, dem Stachel-Piercing unter der Unterlippe und dem knappen schwarzen Tuch auf den braunen Locken will ja sowieso Sängerin werden, am liebsten „was mit Musical machen“.

Für die Regisseurin Margareta Riefenthaler ist es die achte Inszenierung mit Straßenkindern, die in öffentlichen Aufführungen mündet. Es ist für die gebürtige Wienerin eine Herzenssache, aber eine, „die 1000-prozentiges Engagement verlangt“. Straßenkinder sind nicht unbedingt zuverlässig, manche haben Divenallüren, gerade jetzt ziert sich eine Darstellerin, weil sie in der Generalprobe singen soll, die Stimme aber lieber für die Premiere schonen möchte. Margareta Riefenthaler hat das Stück selbst geschrieben, das von den Proben eines Straßenkinder-Stücks für „Romeo und Julia“ handelt. „Über die Probenszenen erfährt man ganz viel über die Jugendlichen“, erklärt sie ihren Ansatz.

Valeries Freund Oliver ist schon 19, ebenfalls aus Osnabrück, die Realschule hat er abgebrochen. Er hat keine Probleme, seine eigenen Zukunftsträume auch am Rande der Bühne zu formulieren. Warum er nach Berlin gekommen ist? „Groß!“, sagt er. „Wild! Viele Möglichkeiten!“ Doch, er habe viele Träume, sagt der Junge mit dem Ziegenbärtchen und dem orangefarbenen T-Shirt. Erst mal als Trommler Straßenmusik machen. Dann durch die Welt ziehen können mit Musik. So wünscht er sich seine Zukunft. „Und hier hat man einen guten Anfang“, ist er überzeugt.

Der gleichaltrige „Schlaubi“ aus Eberswalde spielt seit anderthalb Jahren bei dem Projekt mit und klingt bescheidener. Man bekommt zu essen und ein bisschen Geld, das allerdings erst ausgezahlt wird, wenn man auch tatsächlich bei der Premiere anwesend war. Außerdem macht es einfach Spaß. Er hat einen Platz im betreuten Einzelwohnen gefunden. „Ich bin Hartz-IV-Empfänger“, erklärt er. Sein Traumberuf? „Am allerliebsten würde ich Koch werden.“ Tierpfleger käme aber auch in Frage. Im Stück spielt er einen Sozialarbeiter.

Ebenfalls im Zuschauerraum sitzt Gisela Röver, die das Projekt unterstützt. An die lebendigen Ratten, von denen eine gerade auf dem Kopf einer Darstellerin sitzt, musste sie sich erst gewöhnen. „Jetzt finde ich sie ganz possierlich.“ Regelmäßig gibt sie Hauskonzerte zugunsten des KuB in ihrer Zehlendorfer Wohnung, sammelt bei ihren Gästen. Sie schwärmt von der großen Begabung vieler Kinder, die da mitmachen. Einige leiden unter psychischen Problemen.

Warum Valerie die Schule abgebrochen hat, kann sie nicht sagen. Sie hält es durchaus für möglich, dass sie irgendwann mal wieder anfängt damit. In der Schule war sie auch in der Theater-AG. „Ich spiel die Presse“, sagt sie freundlich und zückt einen Notizblock. Dann fragt sie: „Was würden Sie denn einen Sozialarbeiter fragen?“

Öffentliche Aufführungen des Stücks finden statt am 2., 5. und 6. April jeweils um 20 Uhr in der Tribüne, Otto-Suhr-Allee 18, Karten kosten 10 , ermäßigt fünf Euro, Vorbestellung sind unter der Telefonnummer 784 40 45 möglich.

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