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Vergangenes interessiert Laurenz Laufenberg, nicht nur, wenn es um seine Nachbarschaft geht. Sein Urgroßvater lebte in Berlin.

© Doris Spiekermann-Klaas

Schauspieler Laurenz Laufenberg: Runterkommen in Schöneberg

Schaubühnen-Nachwuchstalent Laurenz Laufenberg ist im Akazienkiez zu Hause, hier erholt er sich von Proben und Gastspielreisen. Ein Treffen.

Es gibt sie, diese Oktobertage, die die Berliner mit dem Fakt versöhnen, dass auch der schönste Sommer enden muss, goldenes Licht, sanfte Brise, Leichte-Jacken-Wetter. So ein Tag ist es nicht. Der Regen ist nur mit viel Wohlwollen der Kategorie „Niesel“ zuzuordnen, kalter Wind fährt in die Ärmel, um 14 Uhr werden die ersten Lichter angeknipst. Trotzdem setzt er – schlaksig, Jungsgesicht, sofort sympathisch – sich im Gasthaus Gottlob, seinem Stammcafé gegenüber der Apostel-Paulus-Kirche, gar nicht erst hin. Soll ja ein Spaziergang werden. Also los. Laufen mit Laufenberg – ein platter Witz muss erlaubt sein.

Laurenz Laufenberg ist das, was man ein vielversprechendes Talent nennt. „Es gibt noch keinen Wikipedia-Eintrag über mich“, sagt er, fast ein bisschen entschuldigend. Das dürfte sich bald ändern. Berliner Theatergänger kennen ihn schon: Kürzlich hat das Magazin „Theater heute“ den 29-Jährigen zum Nachwuchsschauspieler des Jahres gekürt, seit 2014 gehört er zum Ensemble der Schaubühne.

Gerade war er in Paris, zuvor in Belgrad

Intendant Thomas Ostermeier hatte schon ein Auge auf ihn geworfen, als er ein paar Jahre zuvor einen Workshop am Max Reinhardt Seminar in Wien gab. Da war Laurenz Laufenberg Student im vierten Jahr. Der Funke sprang über, aber er hatte bereits fürs Schauspiel Graz unterschrieben.

Nach nicht mal einem Jahr rief Ostermeier noch mal an. Na, wie sieht’s aus? Kommst du? Er kam. Und spielte seither in elf Produktionen mit, reist für etliche Gastspiele durch die Welt. Gerade war er zwei Wochen in Paris, davor in Belgrad. Die nächsten Stationen: Tokio, New York, noch mal Paris, dann Brüssel. „Man merkt, wie die Stücke anders rezipiert werden, an welchen Stellen gelacht wird, worüber die Leute nachdenken, hinterher im Publikumsgespräch.“

In Belgrad, wo sie „Im Herzen der Gewalt“ gezeigt haben, das Stück, für das Laufenberg in der Hauptrolle nun ausgezeichnet wurde, hätten die Leute sich mehr für den Klassenaspekt interessiert; das Berliner Publikum spricht vor allem über die Gewalt, körperlich und sozial, die so eindringlich dargestellt wird.

Die Inszenierung basiert auf dem gleichnamigen Buch des jungen französischen Star-Autors Édouard Louis, der darin ein beklemmendes persönliches Erlebnis erzählt: Wie er in einer Pariser Weihnachtsnacht den gleichaltrigen Reda – Sohn eines eingewanderten Kabylen, der es nie leicht hatte in Frankreich – kennenlernt, mit nach Hause nimmt, wo sie gemeinsam die Nacht verbringen. Doch die Zärtlichkeit endet abrupt, als Édouard bemerkt, dass Reda sein Handy und sein Tablet eingesteckt hat. Als er ihn zur Rede stellt, eskaliert die Situation, wird lebensgefährlich für Édouard, endet mit einer Vergewaltigung. Das Opfer – aus einer armen Arbeiterfamilien vom Lande, an der Uni hochgekämpft – versucht zu verarbeiten und zu verstehen, wie es so weit kommen konnte. Ein extrem bedrückendes Stück, auch und vor allem wegen Laufenbergs Spiels.

Beklemmend. Für seine Darstellung des Édouard im Schaubühnen-Stück „Im Herzen der Gewalt“ wurde er ausgezeichnet.

© Arno Declair / promo

„Hier ist der Hype durch"

Ist er nicht unterwegs, am Theater am Lehniner Platz oder an der Probebühne in Reinickendorf, ist er hier: Akazienstraße, Goltzstraße, Winterfeldtplatz, bis rüber zum Volkspark Schöneberg-Wilmersdorf reicht sein Revier. „Ich bin aber nicht so jemand, der aus seinem Bezirk nicht herauskommt“, beeilt er sich zu sagen, als er die Goltzstraße hinunterläuft. Viele in seinem Alter, gerade die Kreativen, leben ja eher woanders. Hat er auch schon. Neukölln, Kreuzberg, so was. Aber mit den schönen Wohnungen und wo man sie findet, ist es so eine Sache.

Seit eineinhalb Jahren lebt er nun im Akazienkiez. „Mittlerweile mag ich es sehr. Das Publikum ist durchmischt, in jeglicher Hinsicht – zumindest habe ich den Eindruck. Hier gibt es viele Cafés und Restaurants, aber zwei Straßen weiter herrscht wieder Ruhe.“ War nicht immer so, er hat einiges über seinen Kiez gelesen. „In den 90ern muss es hier ganz schön abgegangen sein, aber der Hype ist durch.“

Gut für ihn. „Wenn ich mal langweilig sein kann, versuche ich langweilig zu sein. Heißt in Berlin: auf dem Sofa liegen, lesen, nichts tun.“ Und zwischendurch was Süßes, vielleicht bei Winterfeldt Schokoladen an der Ecke Pallasstraße. Er bleibt stehen. Toller Laden, extrem lecker, schwärmt er. Die alten, deckenhohen Regale aus dunklem Holz sind voller Dinge, die gut für die Seele und schlecht für die Hüfte sind.

„Irgendwann ist eine Grenze erreicht"

Autos rauschen vorbei. Aus dem Turm der St.-Matthias-Kirche schallt ein einzelner Gong herüber. Laurenz Laufenberg lässt den roten Backsteinbau rechts liegen und geht Richtung Winterfeldtmarkt, der an diesem trüben Tag anders aussieht, als ihn der gebürtige Kölner kennt. So leer, nanu. Laufenberg, verwundert. Könnte daran liegen, dass es unter der Woche ist, mutmaßt er. Wissen kann er es nicht, normalerweise ist er da ja beschäftigt. Aktuell spielt er in acht Stücken parallel, absolviert 15 bis 20 Vorstellungen pro Monat. „Es ist schon ganz schön viel. Ich wollte immer mehr Produktionen und am liebsten alles machen. Irgendwann ist dann eine Grenze erreicht, wo man nicht mehr wirklich produktiv ist.“ Das Theater habe dafür Verständnis, gemeinsam suche man Lösungen.

Laufenberg betont, dass er jede Rolle an der Schaubühne gern übernommen hat, dass das keine Selbstverständlichkeit sei. „Ich würde auch gern mehr im Filmbereich probieren, aber alles hat seine Zeit.“ Und die steckt er erst mal ins Theater, in dieses Theater, das ihm zu einer kleinen Heimat in der Wahlheimat Berlin geworden ist. Vor seiner ersten Produktion war er sehr aufgeregt, natürlich. „Richard III.“ war das und er plötzlich auf einer Bühne mit Leuten wie Lars Eidinger, Robert Beyer, Thomas Bading. Aber: „Da war direkt ein Willkommensgefühl.“

Und seither hat er viel dazugelernt, spielt den zerbrechlichen, schwierigen Édouard so souverän wie den smarten, charismatischen Nazi in „Italienische Nacht“, einer Ostermeier-Inszenierung des gleichnamigen Stücks von Ödön von Horváth, das zeigt, wie eine taumelnd-träge Sozialdemokratie den Aufstieg faschistischer Bewegungen verschläft. Historische Vorlage, brandaktuelle Thematik.

Nach dem Krieg kehrte der Urgroßvater verstört zurück

Für Vergangenes, für das, was war, hat Laufenberg eine Schwäche, es interessiert ihn besonders. Auf dem Weg zurück Richtung Grunewaldstraße hält er am Barbarossaplatz an, zeigt in Richtung Westen, wo das Bayerische Viertel beginnt, wo es einst viele jüdische Nachbarn gab, heute viele Stolpersteine. Auch seiner Familiengeschichte spürt Laufenberg nach: Der Urgroßvater ist in Berlin aufgewachsen, kam als junger Mann verstört aus dem Ersten Weltkrieg zurück, trieb sich im Tiergarten herum, hat Randale gemacht, so erzählt es die Großmutter. „Ich habe ein großes Bedürfnis, mehr darüber herauszufinden, wo seine Familie gewohnt hat. Jedes Mal, wenn ich durch den Tiergarten laufe, denke ich, vielleicht ist er auch hier gewesen oder hat dort drüben gesessen.“

Berlin – für Laurenz Laufenberg eine Geschichtsstunde. Erst hier begriff er, wie wenig Berührungspunkte er bislang mit DDR-Biografien hatte. Gerade liest er „Wer wir sind: Die Erfahrung, ostdeutsch zu sein“ von Jana Hensel und Wolfgang Engler, saugt auf, was einer wie er nicht wissen kann: Schnapsbrennerfamilie aus der Rheinmetropole, Karnevalsverein, nie im Osten gelebt. Den Band hat er, wie viele Bücher auf seinem Nachttischstapel, in der Buchhandlung Bayerischer Platz besorgt. „Egal, was ich bestelle – die Frau, die den Laden betreibt, kann zu jedem Buch etwas sagen.“

An der „Ernst Busch" flog er beim Vorsprechen raus

Der Spaziergang endet im Café „Frau Bäckerin“ in der Eisenacher Straße, bei Zitronenküchlein und Espresso. Teller und Tassen balanciert Laufenberg gekonnt zum Tisch, Überbleibsel eines Kellnerjobs. Dass er Schauspieler wurde, war kein Selbstläufer. Mit den Eltern ist er in seiner Jugend vielleicht ein Mal im Theater gewesen – aber Theater machen, in der Musical-AG mitspielen, das mochte er früh. „Ich war in einer Mozart-Inszenierung der Briefträger, meine erste Rolle auf einer großen Bühne.“ Quasi der Durchbruch. Laufenberg lacht. „Klar, und dann hat Ostermeier angerufen.“

Ganz so einfach war es nicht. Nach dem Abitur hat er an 13 Schulen vorgesprochen, auch an der „Ernst Busch“. Da war er gleich in der ersten Runde raus, „wie übrigens bei den meisten Vorsprechen“. Bis es in Wien klappte – und seither nur bergauf ging.

Klassische Nachwuchstalentfrage zum Schluss: Welchen Charakter würde er gern mal geben? Alles, antwortet er, ohne zu zögern. „Ich möchte so viele verschiedene Rollen wie möglich spielen, weil man dabei so viel über sich selbst und andere Menschen lernen kann.“ Aber alles hat seine Zeit.

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