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Proteste gegen Thilo Sarrazin.

© dpa

Sarrazins Comeback: "Miteinander reden, statt übereinander"

Die Debatte um sein Buch war gerade abgeflaut – da erregt Thilo Sarrazin mit ZDF-Hilfe wieder Aufsehen. Die Reaktionen auf das Comeback in Kreuzberg sind zwiespältig.

Thilo Sarrazin wurde aus Kreuzberg rausgebrüllt – eine neue Sarrazin-Debatte hat begonnen. Als wäre der Skandal um das Buch „Deutschland schafft sich ab“ nie abgeflaut, beharken sich wütende Internetnutzer in Foren und Politiker in Zeitungsbeiträgen. Und was sagt der, der diesen Wiederaufschwung mit ausgelöst hat? „Wir wollten sehen, wie bereit die Gesellschaft ist, über Integration kontrovers zu diskutieren“, sagt Christhard Läpple, Chef der ZDF-Sendung „Aspekte“, die Sarrazin mit einer Kamera begleitet hat. Vehement wehrt sich Läpple gegen den vielfach erhobenen Vorwurf, mit Boulevard-Methoden einen Skandal geplant zu haben. „Wir haben unser Kommen rechtzeitig angemeldet. Es ist wichtig, miteinander zu reden, statt übereinander“, sagt Läpple. Der „Aspekte“-Beitrag läuft Freitag um 23.15 Uhr im ZDF. Linke Gruppen rufen im Netz zu einer abendlichen Anti-Sarrazin-Kundgebung auf dem Heinrichplatz auf.

Hikmet Kundakci, Geschäftsführer des Hasir-Restaurants, in dem Sarrazin von mehreren wütenden Kreuzbergern angegangen wurde, sagt: „Wir haben zwanzig Minuten normal diskutiert, als der Protest immer stärker wurde, habe ich mich gezwungen gesehen, das Gespräch abzubrechen.“ Sarrazin selbst gab sich dem Tagesspiegel gegenüber wortkarg: „Nach der Berichterstattung über meine Frau möchte ich nicht mit Ihrem Blatt reden“, sagt der ehemalige Finanzsenator. Wie andere Medien hatte der Tagesspiegel über Beschwerden über mögliches Fehlverhalten der Lehrerin Ursula Sarrazin berichtet.

Immerhin mit der „Bild“-Zeitung hatte Sarrazin zuletzt gesprochen, sich verbittert über die wütenden Reaktionen auf seine Person gezeigt und den Kreuzberger Anwohnern Intoleranz vorgeworfen. Mittlerweile hängen im Viertel Aufkleber mit der Aufschrift: „Berliner Politik. Sarrazinfreie Zone.“

„Thilo Sarrazin darf nicht die beleidigte Mimose geben, eine Reaktion musste er ja erwarten“, sagt mit Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) sogar einer, der ihn sonst verteidigt: „Natürlich darf Thilo Sarrazin durch Kreuzberg laufen, wir haben hier ja keine Diktatur.“ Auch der CDU-Chef in Kreuzberg, Kurt Wansner, sieht die Sache zumindest zwiespältig: „Jeder hat das Recht, in Kreuzberg zu sein. Punkt“, sagt Wasner. Dann fügt er an: „Auch wenn ich glaube, dass Sarrazin einen Skandal provozieren wollte.“

Thilo Sarrazin ist nicht der erste unerwünschte Politiker in Kreuzberg. Lesen Sie weiter auf Seite 2.

Wansner hat selbst mit Aktionen auf der Oranienstraße am 1. Mai Kontroversen ausgelöst. Im letzten Jahr verteilte er knapp zehn Minuten lang Flugblätter beim „Myfest“, als ihm ein empörter Besucher einen Becher Wasser über den Kopf schüttete. Auch den Besuch des damaligen bayerischen Innenministers Günther Beckstein im Restaurant „Hasir“ 2005 hatte Wansner eingefädelt. Beckstein war damals von mehreren hundert Demonstranten davongejagt worden. Aus dem gleichen Lokal flog nun auch Thilo Sarrazin, diesmal reichten schon 25 Wütende.

Nach dem Deutschen Kulturrat und dem Grünen-Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, der Sarrazin selbst einen Mangel an Diskussionsbereitschaft über dessen Thesen vorwarf, meldete sich der Kreuzberger Grüne Özcan Mutlu in einem Gastkommentar für Tagesspiegel.de zu Wort: „Die Kreuzberger zeigten politische Reife, empörten sich und artikulierten ihren Protest, statt sich instrumentalisieren zu lassen“, schreibt Mutlu. „Sarrazin bedient niedere Instinkte.“

Der Streit wird auch im Netz ausgetragen. „Kreuzberg ist erst dann bunt, reich an Kulturen und verschiedenen Lebensentwürfen, wenn dort die Junge Union beim Myfest ihren Stand aufbauen darf und selbst ein Schwätzer wie Sarrazin einen Kaffee serviert bekommt, ohne Prügel fürchten zu müssen“, schreibt Michael Mainwasser auf der Facebook-Seite des Tagesspiegels. Bei Facebook wird nicht nur Sarrazin, sondern auch die für den „Aspekte“-Beitrag zuständige Autorin Güner Balci angegangen. „Was du nicht in deinem Aspekte-Bericht erwähnt hast, liebe Güner: Sarrazin hat mich und meinen Begleiter beleidigt, auch die alevitische Gemeinde, die ihre Begründung für die Ablehnung seines Besuches in einer friedlichen und ausführlichen Rede vorgetragen hat, als antidemokratisch bezeichnet“, schreibt Nutzerin „Beri“ in einem offenen Brief. Güner Balci selbst war für den Tagesspiegel tagelang nicht zu erreichen.

Die alevitische Gemeinde sollte die letzte Station Sarrazins werden, nachdem er vor seinem Auftauchen im Hasir schon vom Markt am Maybachufer unter Schmährufen vertrieben wurde. Auch bei den Aleviten: Proteste, Tumulte, Abbruch des Gesprächs, bevor eines hätte entstehen können. Wieder berichten Augenzeugen, dass Sarrazin selbst unnahbar und beleidigend agiert habe.

Trotz des von vielen Kreuzbergern als offensichtliche Provokation gesehenen Drehs verteidigt ZDF-Mann Läpple das Vorgehen. „Es herrscht bei diesem Thema offensichtlich immer noch ein richtiggehendes Reizklima“, sagt er. „Das zeigt, wie wenig wir in dem Jahr seit Sarrazins Buch weitergekommen sind.“

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