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Folge 4: Brustkrebs: Schockdiagnose

Brustkrebs bedeutet Angst vor Amputationen, Chemotherapie und Tod. Wird der Tumor jedoch rechtzeitig erkannt und richtig behandelt, sind die Chancen für eine Heilung gut.

Warum sie ausgerechnet an jenem Winterabend ihre Brust abtastete, weiß sie nicht. Hat sie sonst nie gemacht. Ein Zufall. Wenn die Sache gut ausgeht, wird sie ihm womöglich ihr Leben verdanken.

Ende Februar vergangenen Jahres wurde Martina Hunold (Name geändert) ein Tumor aus der linken Brust entfernt: eineinhalb Zentimeter Durchmesser, Aggressivitätsstufe zwei. „Gehobene Mittelklasse“, spottet sie. Drei Schweregrade unterscheiden Mediziner. Die Ärzte haben bei ihr eine neue Behandlungsmethode angewandt, bei der das Gewebe um den entfernten Tumor während der Operation bestrahlt wird. Sie sind mit dem Ergebnis zufrieden.

Martina Hunold, 46 Jahre alt, eine zierliche Frau mit schmalem Gesicht, Brille und hellblonden Haaren, alleinstehend, ein Sohn, ist eine von rund 47000 Frauen, die in Deutschland jährlich an Brustkrebs erkranken. Knapp 18 000 Patientinnen sterben jedes Jahr daran. In Berlin werden jährlich bei etwa 2000 Frauen Brustkrebstumoren entdeckt, 600 Berlinerinnen sterben in diesem Zeitraum daran. Für Frauen zwischen 40 und 50 Jahren ist Brustkrebs die Todesursache Nummer eins.

Martina Hunold sitzt in der Cafeteria einer Klinik, Fensterplatz, und nippt an einem Kaffee. Seit einigen Wochen macht sie nun eine Strahlentherapie. Die Haut an der bestrahlten Brust verfärbt sich bräunlich, wird empfindlich. Die Therapeutin sagt, das sei normal.

Woher der Krebs kommt, darüber denke sie nicht mehr nach, sagt Martina Hunold: „Er ist eine Tatsache, mit der ich klarkommen muss.“ Die Worte fallen in einen Moment der Stille. Sie versucht nicht, die Unsicherheit, die ihre Krankheit mit sich bringt, durch Worte zu erschlagen.

Studien zufolge gibt es zwei Szenarien, die auf eine besondere genetische Gefährdung, an Krebs zu erkranken, hindeuten. Erstens: Zwei nahe Verwandte sind an Brustkrebs erkrankt, bevor sie 50 Jahre alt waren. Oder zweitens: Eine nahe Verwandte hatte Brustkrebs, eine andere Eierstockkrebs.

Martina Hunolds Mutter und Tante hatten beide Brustkrebs. Vielleicht war sie deshalb besonders gefährdet. Vielleicht auch nicht. Denn nach bisherigen Erkenntnissen ist eine genetische Veranlagung ohnehin nur in zehn Prozent der Fälle der Grund für einen Brustkrebsbefall. Forscher sagen, oft seien die Ursachen nicht wirklich nachzuvollziehen.

Vorzusorgen ist deshalb schwierig. Ich habe mich doch immer gesund ernährt und viel Sport gemacht, sagen manche Krebskranke enttäuscht. Das kann es also nicht sein. Schon eher die regelmäßige Reihenuntersuchung – Mammografie-Screening genannt –, sagt Jutta Krocker, Leiterin des Brustzentrums am Sana-Klinikum Lichtenberg: „Das Screening ist die bisher beste Vorsorge.“

Seit Sommer 2006 werden deshalb in Berlin alle Frauen zwischen 50 und 69 jedes zweite Jahr schriftlich zu solch einer Vorsorgeuntersuchung eingeladen. Dabei wird jede Brust geröntgt. In gut drei Prozent der Fälle stoßen die Ärzte dabei auf „Auffälligkeiten“. Wissenschaftler erwarten, dass die Zahl der Brustkrebstodesfälle nun um ein Drittel sinken könnte. Kritiker bemängeln dagegen, nur eine von 1000 Frauen verdanke der radiologischen Früherkennung ihre Heilung.

Zu Barbara Brückner, Chefärztin im Brustzentrum des Krankenhauses Waldfriede, kommen nur sehr wenige Patientinnen, weil bei ihnen zuvor in den Screenings ein Tumor festgestellt wurde. Brückner hält die Reihenuntersuchungen trotzdem für unerlässlich, denn grundsätzlich gilt: Je früher ein Tumor erkannt wird, desto besser sind die Heilungschancen.

Einen Königsweg für eine Behandlung gibt es hingegen nicht. „Die Therapie wird heute auf die individuellen Gegebenheiten jeder Patientin zugeschnitten“, sagt Martina Dombrowski, Leiterin des Brustzentrums im Waldkrankenhaus Spandau.

Die Zeiten, in denen Krebs automatisch bedeutete, dass die befallene Brust abgenommen werden muss, sind längst vorbei. Die Ärzte versuchen, Amputationen zu vermeiden. In sieben von zehn Fällen gelingt ihnen das. Zudem überweisen Frauen- oder Hausärzte ihre Patientinnen vermehrt in Brustzentren wie das von Barbara Brückner, wo Experten verschiedener Fachrichtungen zusammenarbeiten: Radiologen, Operateure, Pathologen, Onkologen, Strahlentherapeuten, Psychologen.

Der Vorteil solcher Zentren besteht darin, dass die Patientin nicht mehr zu jedem Facharzt einzeln gehen muss. Und dass die Mediziner die Behandlung aufeinander abstimmen. So soll sichergestellt sein, dass alle Aspekte der Erkrankung berücksichtigt werden und die Patientin ihre Informationen aus einer Hand bekommt und nicht durch unterschiedliche Behandlungsvorschläge verwirrt wird.

In Berlin müssen Brustzentren im Rahmen des Disease-Management-Programms bestimmte Kriterien erfüllen. Mehr als 300 Gynäkologen und Onkologen haben sich verpflichtet, an Fortbildungen teilzunehmen und Patientinnen nur in Kliniken zu überweisen, die in Sachen Brustkrebs nachweislich Erfahrung haben. „Frauen sind heute stärker sensibilisiert“, sagt Barbara Brückner.

Nach Ansicht von Betroffenen war diese Entwicklung überfällig. Einige Frauen seien verunsichert, denn sie wüssten nicht, welche Kliniken und Ärzte gut seien, klagen Selbsthilfegruppen. So könnte sich jede Klinik, die Brustbehandlungen anbietet, Brustzentrum nennen. Die Zertifzierungen aber sind geschützte Bezeichnungen.

Martina Hunold wurde von ihrem Arzt in das St. Gertrauden-Krankenhaus überwiesen. Die Klinik testet eine neue Form der Bestrahlung: noch während der Operation. Zunächst wird der Tumor entfernt. Der Operateur schneidet den Tumor aus dem Gewebe. Der Pathologe untersucht das Geschwür. So weit, so üblich. Dann aber näht der Arzt eine Kunststoffkugel in das Loch, Durchmesser etwa drei Zentimeter. In deren Mitte verläuft ein schmaler Kanal – in den das Strahlengerät gesteckt wird. Bestrahlungsdauer: rund 30 Minuten. Dann wird die Kugel entfernt, die Wunde zugenäht.

Die Mediziner versprechen sich davon, die Tumorregion punktgenau zu treffen und somit Nebenwirkungen zu verringern. „Zudem soll den Frauen in Zukunft die wochenlange Strahlentherapie nach der Operation erspart bleiben“, sagt Oberärztin Jutta Krocker. Ob sich die Methode bewährt, werde man frühestens in einem Jahr wissen. Noch könne man auf diese Art nur bei Patientinnen mit geringem Risiko arbeiten. Die Frauen müssten außerdem älter als 50 Jahre alt sein: „Dann ist unwahrscheinlich, dass der Tumor wieder auflebt.“

Martina Hunold wirkt abgeklärt, manchmal fast unbeteiligt. Sie spricht dann von sich wie von irgendeiner anderen Frau, die Krebs hat. Fern scheint jene Frau, die, als sie mit der Diagnose nach Hause kam, den Türpfosten umarmte, als werde sie nie wieder einen Menschen in ihren Armen halten, Musik mit voller Lautstärke hörte und besinnungslos tanzte. Und danach hemmungslos heulte. Die Auseinandersetzung mit der Diagnose ist ein ständiger Kampf gegen die Verdrängung, sagen Psychologen.

Den 14. Februar 2006 wird Martina Hunold so schnell nicht verdrängen: Die Ärztin begrüßt sie in ihrem Zimmer in der Klinik, auf dem Schreibtisch die Krankenakte. Ein knapper Begrüßungssatz. Dann sagt die Medizinerin, es sei etwas Bösartiges. Viel mehr hört Hunold nicht mehr, ihr Kopf ist wie betäubt, nur noch vage nimmt sie wahr, dass die Ärztin sagt: Eine Operation sei nötig.

Solche Gespräche sind heikel, für den Arzt, der die schlechte Nachricht überbringen muss, wie für den Patienten. Medizinerverbände sehen Handlungsbedarf und empfehlen Kollegen, den Umgang mit Patienten zu lernen.

Martina Hunold fühlte sich gut behandelt. „Die Diagnose war der Schock, nicht das Verhalten der Ärztin.“ Als sie auf dem Krankenhausflur darauf wartete, einen Operationstermin zu bekommen, denkt sie daran, dass sie die Hauptrolle in der Aufführung ihrer Laien-Theatergruppe nicht wird spielen können. Heute wundert sie sich darüber. So banal. Was der Krebs für ihr Leben bedeuten könnte, habe sie nicht mal ansatzweise geahnt.

Der Gedanke etwa, dass sie sich gerade erst selbstständig gemacht hat und sich eigentlich nicht leisten kann, Krebs zu haben. Der Gedanke, was wohl die Therapie mit ihrem Körper anstellen wird. Wird sie am Ende gewinnen oder der Krebs? Ob sie nach den 25 Bestrahlungen geheilt sein wird, weiß niemand wirklich. Eine Chemotherapie will sie nicht machen, obwohl die Ärzte ihr dazu raten. Sie will sehen, wie sich alles entwickelt. Demnächst tritt sie mit ihrer Theatergruppe auf. In einem Märchen.

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