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Ferienbetreuung im Hort: Spielwiese für kleine Erwachsene

Für Fünft- und Sechstklässler soll die Ferienbetreuung abgeschafft werden. Dabei lernen sie dort, selbstständig zu werden. Und viele berufstätige Eltern sind auf das Angebot angewiesen.

Es sind Osterferien und trotzdem sind die Freundinnen Leila und Naima, beide zehn Jahre alt und gemeinsam in der 5. Klasse, an diesem Morgen Richtung Scharmützelsee-Grundschule in Schöneberg aufgebrochen. Sie kommen zur „Ferienganztagsbetreuung“, erklären die Mädchen, weil ihre Eltern arbeiten müssen und weil sie hier einander zum Spielen haben. Und damit fangen sie auch gleich an. Für später in der Woche ist ein Theaterprojekt in Zusammenarbeit mit dem Jugendmuseum geplant. Die Ganztagsbetreuung der Scharmützelsee-Grundschule kümmert sich um 270 Kinder, davon derzeit 24 Fünft- und Sechstklässler. Kooperationspartner der Schule ist dabei der Nachbarschaftsheim Schöneberg e.V, der an insgesamt neun Grundschulen in drei Berliner Bezirken die Ganztagsbetreuung organisiert.

Die Initiative des Berliner Senats, die Ganztagsbetreuung für Fünft- und Sechstklässler zu erleichtern, wird von Eltern der Scharmützelsee-Grundschüler grundsätzlich positiv aufgenommen. Dass die Ferienbetreuung davon ausgenommen sein soll, verursacht jedoch Sorge und Unverständnis. Vera Schrader etwa hat wegen ihrer Vollzeitstelle als Redakteurin bereits beantragt, dass ihr Sohn Daniel, derzeit in der vierten Klasse, nächstes Jahr weiter zur Ganztagsbetreuung gehen kann. Auch das Ferienangebot nimmt Schrader gerne in Anspruch. Die erste Woche besucht ihr Sohn seine Oma, die zweite ist er im Hort – wie die stärker an die Schule gekoppelte Ganztagsbetreuung weit verbreitet noch genannt wird. Zwölf Wochen Urlaub, so lange wie ihr Sohn Ferien hat, könne sich die 42-Jährige Alleinerziehende nicht frei nehmen. Auch bei Paaren, bei denen beide ganztags arbeiten, sehe es nicht anders aus. „Entweder Kinderbetreuung oder Hartz IV“, sagt Schrader angesichts der Anforderungen des Arbeitsmarkts.

Zwar gehen im Laufe der fünften und sechsten Klasse immer weniger Kinder zur Ganztagsbetreuung, die Selbstständigkeit kommt aber nicht bei allen zur gleichen Zeit. Die Mutter einer Zehnjährigen berichtet, dass sie kein gutes Gefühl habe, ihre Tochter allein zu Hause zu lassen. Wie viele andere befürchtet sie, dass ihre Tochter die Zeit vor allem mit Computer, Fernseher und Spielkonsole verbringen würde. Außerdem gibt es im Hort ein warmes Mittagessen – ein Angebot, für das sich allerdings weiterhin alle Schüler anmelden können.

Der Senat verweist als Alternative zur Hortbetreuung für die Fünft- und Sechstklässler auf Angebote der Sportvereine oder anderer privater Anbieter. Doch das bedeutet für die Eltern neuen organisatorischen Aufwand und ist auch nicht für alle finanzierbar. Die Ganztagsbetreuung von 13.30 bis 16 Uhr kostet an der Scharmützelsee-Grundschule nach Einkommen gestaffelt zwischen 30 und maximal 157 Euro pro Monat. Das ist günstiger als manche privaten Ferienangebote für eine Woche. Sich für einen kurzen Zeitraum auf ein neues Umfeld einzustellen, liegt aber auch gar nicht allen Zehn- bis Zwölfjährigen, die eben noch nicht ganz Teenager sind. „Mein Sohn zeigt mir den Vogel“, sagt Vera Schrader und lacht, „der geht nicht irgendwohin, wo er niemanden kennt.“

Für Heike Marx, die Leiterin der Ganztagsbetreuung an der Scharmützelsee-Grundschule sind die fünften und sechsten Klassen eine Übergangszeit. „Die Kinder verselbstständigen sich. Aber das müssen sie auch lernen“, sagt sie. An der Grundschule sind sie jetzt die Großen, sie interessieren sich für andere Dinge als die Erst- und Zweitklässler, sind unabhängiger und anspruchsvoller. Sie beginnen sich von den „Kleinen“ abzugrenzen, finden diese manchmal zu laut. Heike Marx und ihre 18 Erzieherinnen und Erzieher versuchen auf die Bedürfnisse dieser Altersgruppe einzugehen. Wie alle Kinder hier entscheiden sie selbst, wie sie ihre Freizeit gestalten wollen. Auf einer großen bunten Magnettafel sind die verschiedenen Bereiche des dreistöckigen Gebäudes aufgemalt: zum Werken, Klettern oder draußen spielen. Die Kinder setzen einen Magneten mit ihrem Namen zu dem Bereich, auf den sie gerade Lust haben und sagen einer Erzieherin Bescheid. Im Feld „Kicker“ hängen die Magneten gewöhnlich dicht an dicht. Die älteren haben mehr Freiheiten und dürfen auch mal im Auftrag einer Erzieherin alleine Obst oder Tischtennisbälle einkaufen. Damit die älteren mehr unter sich sein können, bräuchte sie aber mehr Räume, meint Heike Marx. Trotzdem ist es ihr wichtig, dass alle Fünft- und Sechstklässler die Möglichkeit haben, betreut zu werden. Abmelden könne man sich sowieso flexibel, es gibt eine monatliche Kündigungsfrist. Kontinuierliche Betreuung ist hingegen gerade bei denen wichtig, die zusätzlich zum Erwachsenwerden noch andere Herausforderungen haben. Zum Beispiel weil sie Deutsch als zweite Sprache lernen oder wenn ein Kind wegen einer schwierigen Biografie Probleme hat, Vertrauen aufzubauen. „Wenn diese Kinder über die Ferien nicht kommen, können wir danach wieder von vorne anfangen“, sagt eine Erzieherin. In den Ferien haben sie insgesamt weniger Kinder zu betreuen und können deswegen auf den Einzelnen besser eingehen. Ein Fünftklässler, der mit zwei Jungs gerade im Kreis spielt, sei erst seit wenigen Monaten in der Gruppe. Die Eltern schicken ihn auch in den Ferien, damit er die Sprache übt. Er mag den Ort, erzählt er, weil er hier Freunde hat und bei den Hausaufgaben Hilfe bekommt. Langweilig sei ihm nie, er fände es immer schön.

„Gerade in den Ferien ohne Hausaufgaben und AGs genießen die Kinder das freie Spiel“, sagt die Erzieherin und setzt sich in den Werkraum nebenan. Auf der einen Seite stehen Setzlinge, die die „Grüngruppe“ im Schulhof pflanzen wird, auf der anderen eine selbst gebaute Schokokuss-Wurfmaschine aus Holz. Gerade aus den Ideen der Kinder entstünden die tollsten Dinge, sagt die Erzieherin. Wem wirklich mal nichts einfalle, der könne zum Beispiel eine weiße Papiertüte „Für kleine Forscher“ holen. Darin sind fünf Bauteile, aus denen die Kinder etwas zusammensetzen können. Zwei Kinder hätten daraus einen kleinen Motor entworfen, den sie dann mit der Hilfe eines Erziehers groß nachgebaut haben. Dass sich manche von den älteren Jungs auch mal länger ins „Regenbogenland“, den Freizeitbereich der Grundschule zurückziehen, findet sie normal und auch süß. „Dort sitzen sie dann auf dem Sofa und reden über Mädchen“, sagt sie.

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