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Gegen den Strom: Wie Grundschulen mit hohem Migrantenanteil Erfolg haben

Viele deutsche Eltern geben ihre Kinder ungern an Grundschulen mit hohem Migrantenanteil. Aber Beispiele aus Kreuzberg und Neukölln zeigen: Es kann funktionieren.

Diese Woche steht das Apfelprojekt auf dem Programm: In Mathe werden Äpfel gewogen, in Deutsch geht es um Apfelwörter, in Musik wird das Apfellied gesungen. Ein kleines blondes Mädchen hat dafür seine Querflöte mitgebracht und spielt, während die anderen dazu singen. Das Mädchen heißt Luka, es ist sieben Jahre alt – und eines von zwei Kindern ohne Migrationshintergrund in einer altersgemischten Klasse der Karlsgarten-Grundschule.

An der Neuköllner Schule kommen 85 Prozent der Kinder aus Einwandererfamilien, es kann auch mal passieren, dass in einer Klasse gar keine einheimisch deutschen Schüler sind. „Vielen Eltern macht das Angst“, sagt Schulleiterin Brigitte Unger. Es sei ein richtiger Teufelskreis: Je mehr Eltern ihre Kinder an andere Schulen geben oder sogar aus dem Bezirk wegziehen, um ihre Kinder nicht hier einschulen zu müssen, desto weniger deutsche Kinder sind an der Schule – und desto mehr Vorbehalte haben die Eltern.

Dabei, sagt Unger, seien diese Vorbehalte unbegründet. Die Schule habe ein äußerst engagiertes Kollegium, eine freundliche Atmosphäre und ein vielfältiges Angebot: Es gibt Märchen-, Theater-, Fußball- und Yoga-AGs, eine „super Schulstation“, einen täglich besetzten Elterntreff, einen gerade neu gestalteten, fantasievollen Hof. Bei den Tagen der offenen Tür zeigten sich jahrein, jahraus viele Eltern angetan – und dann würden sich doch wieder viele gegen die Schule entscheiden. Bei 90 Anmeldungen gab es dieses Jahr 30 Wünsche nach einem Wechsel, darunter die weitaus meisten von deutschen Eltern.

Eine, die ihre Tochter trotz aller Vorbehalte im Bekanntenkreis in der Karlsgarten-Schule anmeldete, ist Lukas Mutter Britta Gemmeker. „Uns schlugen Skepsis und Unverständnis entgegen“, sagt Gemmeker: sowohl aus Lukas Kita als auch von anderen Eltern. „Ihr seid aber mutig“, habe es geheißen – mit einem Unterton, der nicht unbedingt Bewunderung ausdrückte.

Gemmeker kannte die Schule: Die studierte Musikerin und Musikpädagogin hatte im Gebäude jahrelang Geigenunterricht gegeben. „Man spürt den Geist, der an einer Schule weht“, sagt sie – wie die Lehrer mit den Schülern umgehen, ob sich die Kinder wohlfühlen. Als Luka hier eingeschult wurde, hatte Gemmeker ein gutes Gefühl.

Luka ist nun im zweiten Jahr an der Schule. Sie lernt gerne, die Eltern ihrer besten Freundin Rayan kommen aus dem Libanon, „es läuft super“, sagt ihre Mutter. Viele Eltern, glaubt sie, hätten die Sorge, dass ihre Kinder an Schulen mit hohem Migrantenanteil nicht genug gefördert würden. Aber bei Luka, die selbst sagt, sie freue sich morgens immer auf die Schule, gab es bereits Überlegungen, sie eine Klasse überspringen zu lassen. Diese Möglichkeit kann in der Schulanfangsphase genutzt werden. Weil Luka jedoch schon mit fünf Jahren eingeschult wurde, entschied sich Gemmeker letztlich dagegen.

Lukas Lehrerin Kathrin Kowal ist froh, das Mädchen in der Klasse zu haben. Sie sei beliebt, „sie ist ein Zugpferd“, sagt sie. Vielen migrantischen Kindern sei sie ein Sprachvorbild, die Schwächeren strengten sich an, um hinterherzukommen. Und wenn Luka schon einen Schritt weiter sei, bekomme sie eben Aufgaben der nächsthöheren Klasse. Genau dafür gebe es ja das jahrgangsübergreifende Lernen. „Die Kinder lernen keinesfalls auf dem Niveau der Schlechtesten“, sagt Schulleiterin Unger.

Ähnlich sieht das die Leiterin der Kreuzberger Lemgo-Grundschule Christina Albert, an der die Situation ähnlich ist: Knapp 90 Prozent der Schüler haben Migrationshintergrund, mehr als 70 Prozent sind lernmittelbefreit. „In den Klassen, in denen Deutsche sind, funktioniert es wunderbar“, sagt Albert jedoch. Um den Sorgen der Eltern zu begegnen, bemühe man sich, die deutschen Kinder in Gruppen in die Klassen zu geben – wie etwa bei der neun Jahre alten Amina.

Deren Mutter Uta-Ulrike Staroste tat sich mit einer Elterngruppe zusammen, um mehr deutsche Kinder an die einzige musikbetonte Grundschule des Bezirks zu bringen, an der Musik in zusätzlichen Stunden unterrichtet wird und die Kinder etwa Saxophon oder Klarinette lernen können. „Wir sind sehr zufrieden“, sagt sie nun. Ihre Tochter habe Freundinnen gefunden – somalische, kroatische, türkische, griechische – und sei glücklich an der Schule. Ein große Plus: „Die Kinder entwickeln interkulturelle Kompetenz.“

Das bestätigt auch ein anderer deutscher Vater, der zwei Töchter an der Schule hat. Von Bekannten, sagt Mike Herrmann, sei er zwar gefragt worden, ob er „wahnsinnig“ sei, seine Kinder in eine solche Schule zu schicken. Auch er selbst habe anfangs Vorbehalte gehabt – insbesondere wegen der Sprachentwicklung der Kinder. Mittlerweile sieht er das entspannt: „Das war überhaupt kein Problem.“ Seine ältere Tochter könne nun zwar den Slang insbesondere der türkischen Kinder. Zu Hause aber sei sie durchaus in der Lage, ins Hochdeutsche zu wechseln.

Was Herrmann allerdings schade findet: Der Kontakt zwischen deutschen und migrantischen Eltern sei nicht sehr ausgeprägt. Während die Kinder die verschiedenen Kulturen zwar wahrnehmen würden, aber zugleich völlig unvoreingenommen aufeinander zugingen, „gibt es bei den Erwachsenen auf beiden Seiten noch Berührungsängste“, vermutet er.

Dagegen engagiert sich etwa Noran Alkis, deren zehnjähriger Sohn Demhat an der Lemgo-Schule ist. An der Lemgo-Schule betreut Alkis, die kurdischen Hintergrund hat, vier Stunden wöchentlich das Elterncafé. „Ich bin zufrieden mit der Schule“, sagt sie in einwandfreiem Deutsch. Dennoch würde sie sich wünschen, dass sich noch mehr deutsche Eltern anmelden: „Wie sollen sich die Kinder sonst integrieren?“

Von Noran Alkis’ fünf Kindern ist Demhat der Jüngste. Die Großen sind nach der Lemgo-Schule alle auf Gymnasien oder Oberstufenzentren gewechselt. „Deutsche Eltern dürfen nicht dem Vorurteil aufsitzen, dass migrantische Eltern automatisch weniger bildungsinteressiert sind“, sagt Uta-Ulrike Staroste. An der Lemgo-Grundschule bekommen im Schnitt rund ein Viertel der Schüler eine Empfehlung fürs Gymnasium, an der Karlsgarten-Schule sind es zwischen 30 und 40 Prozent – gute Zahlen. „Und die Kinder kommen an den Gymnasien gut zurecht“, sagt Brigitte Unger.

Wohin es für Luka geht? Bislang sieht es so aus, als ob die Noten den Weg aufs Gymnasium leicht ebnen werden. Luka selbst sind andere Dinge momentan wichtiger: Sie würde gerne Fußball spielen lernen, sagt sie. Und dann vielleicht Schauspielerin werden.

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