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Berlin: Schulschließung gefährdet die Balance im Problemkiez

Eltern protestieren gegen die geplante Abwicklung der Kurt-Held-Grundschule in Kreuzberg. Sie fürchten, dass die Integration türkischer Schüler scheitert

Vor etwa einem Jahr passierte in Kreuzberg etwas sehr Seltsames: Eine ganze Klasse samt Lehrerin wechselte geschlossen die Schule, weg von der Kurt-Held-Grundschule, hin zur benachbarten Hunsrück-Grundschule. Die Schulaufsicht genehmigte den Wechsel, unter der Bedingung, die Sache „nicht an die große Glocke zu hängen“, erzählt Margret Iversen, eine der betroffenen Mütter. Jetzt, ein Jahr später, soll die Kurt-Held-Grundschule geschlossen werden – wegen sinkender Anmeldungen, so die offizielle Begründung. Doch viele Eltern vermuten, dass die Schulaufsicht die Grundschule mitten im SO-36-Kiez am Görlitzer Park schon lange aufgegeben hat.

Die Kurt-Held-Schule hat in den letzten Jahren ein Drittel ihrer Schüler verloren. Der Anteil nicht-deutscher Schüler bewegt sich gegen die 100-Prozent- Marke. Deutsche und bildungsbeflissene türkische Eltern aus dem Einzugsgebiet der Schule melden ihre Kinder in benachbarten Grundschulen an, die besser ausgestattet sind und für ihren modernen Unterricht schon mit Preisen ausgezeichnet wurden. Die Kurt-Held-Schule besteht dagegen vorwiegend aus Förderklassen für türkische Schüler und hat einen schlechten Ruf. Das bestätigt sogar der stellvertretende Schulleiter Manfred Werner. Er ist immer noch sauer auf die Eltern, die 2003 die Flucht ergriffen haben. Ihre Klasse war die letzte „normale“ mit einer Mischung aus türkischen und deutschen Schülern. Ihr Weggang versetzte der Schule quasi den Todesstoß.

Am Dienstagabend protestierten mehr als 250 Eltern aus der Kurt-Held-Schule und umliegenden Grundschulen gegen die Schließungspläne. Der Schulausschuss der BVV hatte Experten zu einer Fachdiskussion eingeladen, um Alternativen zu diskutieren, doch die Veranstaltung lief aus dem Ruder. Die Elternvertreterin der Kurt-Held-Schule, die türkischstämmige Ayten Kaya, warf der Schulleitung Versagen vor und wurde von der Diskussionsleitung daran gehindert, ihr Referat zu beenden. Worauf es Proteste von den Rängen des BVV-Saales hagelte.

Nach dem vorliegenden Schließungsplan sollen die umliegenden Grundschulen die Schüler der Kurt-Held-Schule aufnehmen, doch dort befürchtet man um die mühsam verteidigte „gesunde Mischung“ der Klassen. An der Zille-Grunschule sei zudem schon jetzt das Raumangebot sehr knapp, sagt Elternsprecherin Ellen Biehrer. Die Schließung der Kurt-Held-Schule könnte auch andere Schulen in einen pädagogischen Abwärtsstrudel ziehen, befürchten viele Eltern.

Margret Iversen, die ihr Kind aus der Kurt-Held-Schule abgemeldet hatte, berichtet von einer feindlichen Stimmung im Kurt-Held-Kollegium gegen die deutschen Eltern, die sich engagieren wollten, um das Image der Schule zu bessern. Man habe sich dort mit den kleinen Förderklassen für türkische Schüler arrangiert und sei gar nicht an deutschen Schülern interessiert.

Lehrer Ronald Kuropka, seit 21 Jahren an der Schule, weist das nur halbherzig zurück. Er sei nicht zuständig, deutsche Schüler zu werben. Mit einer homogen türkischen Förderklasse, die nur aus 16 Schülern besteht, könne er einen guten Unterricht machen, möglicherweise besser als in einer gemischten Klasse mit knapp 30 Schülern. „Es ist blauäugig zu glauben, dass Kinder von anderen Kindern automatisch lernen.“ Korupka ist froh, dass er zu den türkischen Kindern nicht auch noch arabische unterrichten muss. Eine solche Mischung berge erhebliches Konfliktpotenzial. „Wir haben hier eine kleine heile Welt aufgebaut.“

Experten wie der Stadtsoziologe Hartmut Häußermann sehen in der Schließung einer Schule im Problemkiez das falsche Signal. Schulen in Multikulti-Quartieren könnten Vorreiter sein für die Integration und müssten deswegen finanziell und personell optimal ausgestattet werden. „Ich rede hier nicht ins Blaue. Es gibt solche Schulen, die das leisten.“ Avantgarde seien nicht die ethnisch homogenen Stadtquartiere, sondern die multikulturellen. „Hier wird stellvertretend für die ganze Stadt eine Integrationsleistung erbracht.“

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