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Berlin: Sechs "Millionengewinner" hofften vergeblich auf Neptun. Eine Firma kassiert auf die besonders dreiste Art ab

Sechs Millionengewinner warten im Nieselregen. Es ist 7.

Sechs Millionengewinner warten im Nieselregen. Es ist 7.20 Uhr. Die Haltestelle Bahnhof-, Ecke Wilmsstraße in Dallgow bietet ein wenig Schutz. Der Mann mit dem Hut, das Ehepaar und die drei Frauen, alle um die 70, sind 20 Minuten zu früh gekommen; der "persönliche Chauffeur" ist für 7.40 Uhr avisiert. Dieser Tag wird "einer der schönsten Tage im Leben", da lohnt es sich, rechtzeitig da zu sein. Denn hier beginnt die Fahrt ins Glück - Höhepunkt: die Übergabe des "großen Preises", 1,2 Millionen Mark. Die Bestätigung lag im Briefkasten.

Schweigen im Regen. Keiner fragt den anderen, ob der auch 1,2 Millionen gewonnen habe. Sechs Mal 1,2 Millionen sind sieben Millionen. Allein in Dallgow. Hat Neptun so viel Geld?"Sie haben es geschafft!", hatte man den Wartenden geschrieben. Und: "Wir sind eines der bedeutendsten Reiseunternehmen in Europa. Und wir denken immer zuerst an unsere treuen Kunden." Weiter unten heißt es, dass "Überschüsse aus den Reiserücktrittsversicherungen weitergegeben werden". Unter allen Kunden habe man diese "Sonderausschüttung durchgeführt. Bestimmt werden Sie vor Glück aus dem Häuschen sein", schreibt Geschäftsführer "L. Kohlmann".

Die sechs Dallgower sind zwar auch aus dem Häuschen, aber nicht vor Glück. Der gepriesene persönliche Chauffeur, der ein "liebevoll ausgesuchtes erstklassiges Restaurant" ansteuern soll, kommt nicht. Es ist acht Uhr durch. "Dann müssen sie uns die Million zuschicken", sagt der Mann zu seiner Frau. Die Wartenden grinsen. Plötzlich fangen sie an zu reden, dass sie den Versprechungen nie geglaubt hätten, aber einfach mal schauen wollten. Die 19,90 Mark, die Neptun für die Fahrt ins Glück verlangt, seien kein Grund, zu Hause zu bleiben. Und man habe ja Zeit, so als Rentner.

"Das sagen alle", meint Michael Schultze vom Landeskriminalamt. "Viele fühlen sich nicht einmal geschädigt." Obwohl die Art, wie die Mitfahr-Gebühr verklausuliert wird, dreist ist: "Aus versicherungsorganisatorischen Gründen müssen wir leider laut Paragraph 86 eine Transferpauschale erheben." In welchem Gesetzeswerk dieser Paragraph steht, ist nicht erwähnt.

Mittlerweile sind bei der Berliner Polizei fünf Anzeigen gegen Neptun eingegangen. Man könne wenig tun, sagt der Kripomann, diese Art der Werbung sei nicht strafbewehrt. Die Staatsanwaltschaft prüfe, ob diese neueste Masche der Kaffeefahrten-Veranstalter unlautere Werbung sei. Neu sei die Dreistigkeit von Neptun, berichtet Schultze, "Die anderen stapeln tiefer."

Mehr Macht als die Polizei haben die Verbraucherschützer. Alssich beim Berliner Verbraucherschutzverein (VSV) Beschwerden stapelten, wurde Neptun am 14. Juli abgemahnt. Am 28. Juli ging die Unterlassungsunterklärung ein. Die ominöse Firma hat sich nach Informationen des VSV nur vom 1. Juni bis 19. Juli für dieses "Gewerbe" angemeldet. "Die wollen nur schnell ihr Geschäft abziehen", sagt VSV-Expertin Maren Geisler. Die Firma macht offenbar weiter. In Dallgow überschwemmten Gewinnversprechen, die am 4. August abgestempelt waren, die Briefkästen.

Ob die versprochene Fahrt wirklich eine ins Glück geworden wäre, ist mehr als zweifelhaft. Ein "Millionengewinner" hat den Verbraucherschützern einen Bericht geschrieben. Auf der Fahrt am 12. August seien 35 Teilnehmer statt zu einem "grandiosen Mittagessen" in einen einfachen Landgasthof in Herzberg bei Storkow verfrachtet worden. Dort gab es dann statt der Millionen ein 70-teiliges Besteckset zu erwerben, für "günstige" 1998 Mark. Fragen habe der Neptun-Mann frech beantwortet, ob man denn wirklich so naiv sei, an den Millionengewinn zu glauben. Diese Reaktion sei üblich, sagt Maren Geisler, teilweise arte das in regelrechte Publikumsbeschimpfungen aus, wenn zu viele Bedenkenträger dabei seien. Der VSV will jetzt der Firma eine weitere Abmahnung schicken. Neptun solle unterlassen, für Veranstaltungen zu werben, ohne zu sagen, dass es üblicher Werbeverkauf ist. Zu erreichen war Neptun für den Tagesspiegel nicht. Auch für die Sechs von der Haltestelle nicht: Sie gehen nach fast einer Stunde im Regen nach Hause.

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