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Sechs Monate nach tödlichem Unfall: An der Invalidenstraße hat sich wenig verändert

Im September tötete ein SUV-Fahrer bei einem Unfall vier Fußgänger in Mitte. Die Politik versprach, die Invalidenstraße solle „Modellprojekt“ werden. Aber wann?

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Aus der Ackerstraße biegt ein weißer Kleinwagen auf die Invalidenstraße, links zieht ein Wagen an ihm vorbei, bremst. Noch rechtzeitig. Zwei Radfahrer schießen an den Autos vorbei. Ein paar Meter weiter steht die Fußgängerampel. In die ist Anfang September 2019 ein schwarzer SUV gerast ist. Vier Menschen sterben bei dem Unfall.

Der Unfall löste eine hitzige Debatte um die Verkehrssicherheit in Berlin aus. Eine Anwohnerinitiative forderte umfangreiche verkehrsberuhigende Maßnahmen, eine Petition dafür erreichte mehr als 15 000 Stimmen. Der Regierende Bürgermeister reagierte, die Verkehrssenatorin kam. Doch ziemlich genau fünf Monate nachdem der Senat verkündet hatte, die Invalidenstraße zum „Modellprojekt“ zu machen, ist dort kaum etwas geschehen. Tempo-30-Schilder wurden in der Straße aufgestellt, das schon. Aber sonst?

Geschützter Radweg kam nicht - auch keine provisorische Maßnahmen

Am Morgen des 18. Februar verfasst Wolf-Dietrich Braun einen Brief an den Regierenden. Braun wohnt gleich neben der Unfallkreuzung. Er schreibt: „Wenn es natürlich auch traurig ist, dass erst der Unfall zu einem Umdenken in Bezug auf die Invalidenstraße geführt hat, so fand ich es aber sehr gut, als ich im Herbst in den Nachrichten las, dass Sie sich dieses Themas persönlich angenommen haben“. Leider sehe er davon – abgesehen von jenen Tempo-30-Schildern – nichts umgesetzt.

Versprochen wurde ein geschützter Radweg möglichst bis Ende 2019. Auch „provisorische Maßnahmen“ seien denkbar, hieß es damals, außerdem wurde eine Projektgruppe eingerichtet. Braun schreibt: „Mir persönlich drängt sich der Eindruck auf, dass es kein wirkliches Vorankommen gibt.“

Schilderdschungel. Hier hatte ein SUV-Fahrer im vergangenen September vier Menschen getötet.
Schilderdschungel. Hier hatte ein SUV-Fahrer im vergangenen September vier Menschen getötet.

© Kai-Uwe Heinrich

Tatsächlich gibt es – wie so oft in Berlin – einige Hindernisse bei der Umgestaltung der Straße. Absurd mutet an, dass der Senatsverwaltung für Verkehr für den betreffenden Abschnitt der Invalidenstraße, einer wichtigen Verkehrsachse immerhin, keine Straßenkartierungen vorlagen. Das wurde erst bemerkt, als man sich mit umfangreicheren Umbaumaßnahmen beschäftigen wollte. Ein externes Büro wurde beauftragt, die Finanzierung musste langwierig geklärt werden.

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Jan Thomsen, Sprecher von Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne), schreibt dazu auf Anfrage: Es „fehlten geeignete Straßenkartierungen, um schnell in die Planungen einzusteigen“. Auch weiteren Ideen, wie dem geplanten geschützten Radweg, stehen Hindernisse im Weg. Thomsen schreibt: „Weitere Maßnahmen konkret in der Straße erfordern längere Prüfungen und Vorarbeiten, wie sich in der Projektgruppe rasch herausgestellt hat.“

Förderale Konfusion

Der Radweg scheiterte bislang an den Parkplätzen am Straßenrand, solche für Behinderte könnten nicht einfach entfallen, Ladezonen eben so wenig. Mittlerweile laufe aber wenigstens die Ausschreibung für das Planungsverfahren. Weiter Vorschläge befänden sich „in Beratung und Prüfung“. Da ginge es zum Beispiel um die Einmündungen der Gehwege sowie „bezirkliche Maßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit“.

Für viele Anwohnern klingt das eher wie ein großes Durcheinander. Die Verwaltungsprozesse? Kaum zu durchblicken. Die Ansprechpartner? Schwer zu erreichen. Und Bezirk und Senat sind sich selbst oft nicht in Gänze über Zuständigkeiten im Klaren. Föderale Konfusion, könnte man sagen.

Julian Kopmann initiierte im vergangenen September die Petition für mehr Verkehrssicherheit und sitzt gemeinsam mit weiteren Anwohnern, Vertretern von Bezirk und Senat in der daraufhin gegründeten Projektgruppe. Dreimal habe man sich bisher getroffen. Kopmann sagt: „Das ist eine hochkarätig besetzte Truppe, die dort mit uns zusammensitzt.“ Aber man kriege die Dinge nicht so schnell umgesetzt, wie es zu wünschen wäre, sagt der Vater von zwei Kindern: „Für Normalsterbliche ist das schwer nachvollziehbar.“

Julian Kopmann, Vater von drei Kindern, hat nach dem SUV-Unfall eine Petition für Tempo 30 gestartet
Julian Kopmann, Vater von drei Kindern, hat nach dem SUV-Unfall eine Petition für Tempo 30 gestartet

© Thilo Rückeis

Kopmann, die anderen von der Anwohnerinitiative und ihre Mitstreiter vom Verein „Changing Cities“ hätten viele Ideen. Ein Beispiel: Die Kreuzung Ackerstraße/Invalidenstraßen solle künftig eine sogenannte „Gehwegüberfahrung“ bekommen. Der Fußweg liefe dann auf einer Höhe weiter über die Ackerstraße, abbiegende Autos müssten verlangsamen. Weniger Tempo, weniger Gefahrenpotential. Sie wissen nicht einmal, ob ihr Vorschlag noch zur Debatte steht. Eigentlich hatte man sogar verabredet, eine weitere Arbeitsgruppe zu gründen, die sich mit der Verkehrssicherheit im gesamten Kiez befasst. Ende Januar wollte man loslegen.

Konstruktive Gespräche mit der Verwaltung

Passiert seit seitdem nichts, heißt es von den Anwohnern. Mehrere Anfragen blieben unbeantwortet, erst kürzlich kam wieder Bewegung in die Sache. Einen Termin für das erste Treffen gibt es aber auch jetzt, Anfang März, noch nicht.

In der Verkehrsverwaltung bemüht man sich derweil, die positiven Seiten des Prozesses zu betonen: Günthers Sprecher Jan Thomsen schreibt, die Atmosphäre bei den Treffen sei gut gewesen. Konstruktiv sei diskutiert worden, Entscheidungen habe man beschleunigt, „wenn nicht erst ermöglicht“. Das sieht auch Julian Kopmann so. Nur der Schulweg seiner Kinder ist noch fast genauso gefährlich wie vor fünf Monaten.

Die Ermittlungen gegen den 42 Jahre alten Fahrer des Unfallwagens sind fast ein halbes Jahr nach dem Unfall derweil nicht abgeschlossen. „Die abschließenden Gutachten zum Unfallhergang und zu einer möglichen medizinischen Beeinträchtigung stehen noch aus“, sagte eine Sprecherin der Generalstaatsanwaltschaft dem Tagesspiegel. Der Fahrer soll einen Krampfanfall erlitten und die Kontrolle über seinen Wagen verloren haben. Als Grund vermuten Ermittler eine Epilepsie-Erkrankung.

Korrektur: Die Finanzierung der Erstellung für die nicht vorhandenen Kartierungen der Invalidenstraße ist mittlerweile geklärt. Zuvor hatten der Bezirk Mitte und die Senatsverwaltung für Verkehr darum gerungen, wer die Kosten zu tragen habe.

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