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Berlin: Sehnsucht nach dem Dreiklang

Rottstocks Kirchturm sollte eine neue Glocke bekommen – der Versuch, das Geläut zu komplettieren, misslang aber zunächst.

Rottstock - Ganze 15 Meter ist es treppauf gegangen, da schwingt sich Pastor Helmut Kautz plötzlich durch eine schmale Öffnung in der Kirchturmmauer ins Freie. „Gottvertrauen“, ruft er seinem Begleiter scherzhaft mahnend zu, „Kommen Sie nach!“ Das ist gefahrlos möglich: Rings um den Turm der Kirche in Rottstock, einer kleinen Gemeinde südwestlich Berlins, verläuft derzeit ein Baugerüst. Für Kautz, einen gelernten Dachdecker, der erst spät zum Kirchenmann wurde, ist der Balanceakt auf den schmalen Brettern ohnehin kein Problem.

Der unerwartete, luftige Ausguck über den Niederen Fläming passt zu den Besonderheiten dieser Kirchengemeinde und ihrem umtriebigen Pastor. Seit der Eingemeindung in die nicht viel größere Stadt Brück Anfang der fünfziger Jahre ist das kleine Rottstock von den meisten Landkarten verschwunden, fand aber dennoch kürzlich Beachtung sogar in der „Neuen Zürcher Zeitung“. In einer halbseitigen Reportage widmete sich das Blatt einem dortigen, im nicht sonderlich frommen in Brandenburg höchst seltenen Ereignis: dem Gießen einer neuer Kirchenglocke. Es fand bereits Anfang September statt, und die örtliche Zeitung verbuchte es lediglich als „Misserfolg“, was die Rottstocker sehr verärgerte und erst recht trotzig machte. Kein anderes Thema hat sie während der Adventszeit so beherrscht wie diese Geschichte, die wohl erst im Mai ihren Abschluss finden wird.

Die Idee zum Gießen einer neuen Glocke in heimischer Erde war vor drei Jahren von Pastor Helmut Kautz ausgegangen. Damals hatte es ihn samt Familie nach Rottstock verschlagen, und er wunderte sich über den leeren Platz im Turm der aus dem 15. Jahrhundert stammenden Feldsteinkirche. Seit dem Ersten Weltkrieg, so fand er heraus, fehlte hier eine Glocke, musste wohl damals für die Kriegsproduktion eingeschmolzen werden. Die beiden anderen Glocken – die eine aus dem Jahr 1504, die andere, die wohl schon in einem Vorgängerbau gehangen hatte, von 1248 – entgingen diesem Schicksal, aber der ursprüngliche harmonische Wohlklang schien für alle Zeit verloren zu sein.

„Meine Idee zum Gießen einer neuen Glocke gewann in der Gemeinde nach anfänglicher Skepsis mehr und mehr Anhänger“, erinnert sich der Pastor. „In einem ortsansässigen Unternehmer, der erst einige Zeit nach der Wende aus dem Westen in seinen Heimatort zurückgekehrt war, fanden wir einen Stifter. Immerhin machte er dafür einen mittleren fünfstelligen Betrag locker.“

Schwieriger gestaltete sich die Suche nach einem mobilen Glockengießer, der seine Kunst auch außerhalb großer Manufakturen auszuüben versteht. Erst in Schwäbisch Hall fanden die Rottstocker in Peter Glasbrenner einen Partner. Der ließ Anfang September in der Arena am Ortsrand – dort findet jährlich das Kaltblutspektakel „Titanen der Rennbahn“ statt – eine Grube für die Form ausheben. Unter den Augen der rund 300 Gemeindemitglieder und mehr als 1000 anderen Schaulustigen flossen 600 Kilogramm heiße Bronze aus einem Ofen in die vorbereitete Lehmkonstruktion. Als aber zwei Wochen später nach dem Abschlagen der Form das Ergebnis zum Vorschein kam, erkannten selbst die Laien das Missgeschick. „Es fehlte die Krone, also die Aufhängung der Glocke“, erzählt Helmut Kautz. „An einer Stelle war die flüssige Masse einfach weggelaufen.“

Doch die Rottstocker erkannten den Schriftzug ihrer Gemeinde samt der Worte „Jesus ruft“ und wollten den Fehlguss unbedingt behalten. Die Reparatur übernimmt nun ein Schweißwerk im süddeutschen Nördlingen, wo die Glocke bis zum Frühjahr ihre Krone erhält.

Auch wenn sie also nicht wie erhofft zum diesjährigen Weihnachtsfest ruft, hat sie die Menschen doch zusammengeführt. Das dürfte sich nicht zuletzt Heiligabend zeigen. Nach dem nachmittäglichen Gottesdienst sollen die Menschen nicht eiligen Schrittes nach Hause, sondern erst einmal zum örtlichen Feuerwehrhaus eilen, das im Vorjahr als Ersatz für die zwecks Renovierung gesperrte Kirche diente. Nun hat man sich darauf verständigt, auch diesmal wieder gemeinsam einen Glühwein oder Tee zu trinken und in gelöster Atmosphäre die nächsten Vorhaben zu besprechen. Erst danach geht es zur Bescherung.

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