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Berliner Junge.  Reinhard Mey, 71, lebt seit seiner Kindheit in Reinickendorf. Der Liedermacher ließ sich nicht vereinnahmen, weder von der Politik noch vom Roten Teppich.

© picture-alliance/ dpa

Seit 1964 über den Wolken: Reinhard Mey feiert 50. Bühnenjubiläum

Ein Mann, eine Gitarre – daran hat sich nie etwas geändert. Denn über den Wolken will dieser Liedermacher nicht verweilen. Seit 50 Jahren singt der Berliner Reinhard Mey – und geht wieder auf Tour.

Als in Deutschland der erste Zebrastreifen auf eine Straße gemalt wurde, hieß der Regierende Bürgermeister von Berlin Willy Brandt. Auf Burg Waldeck im Hunsrück wehte Morgenluft beim ersten Open-Air-Festival in Deutschland. Aus Berlin mit dabei war Reinhard Mey, 22 Jahre alt, Absolvent des Französischen Gymnasiums, kaufmännischer Lehrling bei Schering. Im Gepäck hatte er seine Gitarre und Chansons von François Villon, dem großen Balladendichter des 15. Jahrhunderts. Es war das Jahr 1964, und Reinhard Mey stand zum ersten Mal auf einer Bühne. Vermutlich hat er es sich nicht träumen lassen, dass er 50 Jahre und mehr als 500 teils ikonische Lieder später auf eine von seinen vielen Anhängern ungeduldig erwartete Jubiläumstournee gehen und immer noch unter Lampenfieber leiden würde.

Der junge Berliner wollte „wie Orpheus singen, dem es einst gelang, Felsen selbst zum Weinen zu bringen, mit seinem Gesang“. Rund 400 Leute waren auf dem Gelände der Burgruine zusammengekommen. Sie fanden, dass eine bestimmte Art von Musik in Deutschland damals nicht ausreichend gepflegt wurde, „das Chanson, das Lied, die unverkitschte Volksmusik“. Sie wollten auf ihre eigene Weise anknüpfen an die aufkommende Folk-Bewegung in den USA.

In der Folge zog Reinhard Mey mal allein, mal mit Freunden durch die jungen Berliner Clubs, durchs Go In, den Steve Club, das Quasimodo. Die Gagen steigerten sich rasch von fünf auf 25 D-Mark. Für die erste Tournee setzte er sich mit Hannes Wader in seinen alten Käfer, um die Clubs in der Provinz abzutingeln. Beglückt stellten die Freunde fest, dass sie von der Musik leben konnten, und Reinhard Mey gab sein Studium der Betriebswirtschaft an der TU auf, um fortan nur noch das zu machen, was er am meisten machen wollte im Leben. Er selbst hätte es wohl „Spielmann“ genannt, aber der Begriff „Liedermacher“ setzte sich durch.

Seine früheste Kindheit war vom Krieg geprägt gewesen. Luftschutzbunker, versehrte Heimkehrer, Blockade, Luftbrücke. Die erste Schokolade seines Lebens kam aus einem Care-Paket. Dann wurde es besser. In einem Urlaub in Frankreich, den die Eltern ihm als Trost fürs Sitzenbleiben geschenkt hatten, lernte er Christine kennen, die „Ankomme Freitag, den 13.“ - Christine. 1973, bekam er bereits eine Goldene Schallplatte für „Gute Nacht, Freunde“ und erwarb seine Privatpilotenlizenz.

Die Liebe zur Fliegerei war schon früh entfacht worden beim Anblick der Rosinenbomber, die nach Tempelhof einschwebten. Nach acht Jahren Ehe war „das Glas der Gemeinsamkeiten mit Christine ausgetrunken“, wie er es später beschrieb. Kinder hatten sie beide nicht gewollt. Reinhard Mey hat immer wieder erzählt, wie gern und gut er allein sein kann. Doch als er Hella kennenlernte, mit der er bis heute verheiratet ist, änderte sich seine Einstellung. 1976 kam Frederik auf die Welt, 1982 Maximilian, 1985 die Tochter Victoria-Luise. Und mit ihnen wurden jede Menge neuer Lieder geboren.

„Menschenjunges“, „Keine ruhige Minute“, „Aller guten Dinge sind drei“, das hätte er ohne die Kinder nicht erfahren, nicht vertonen können. „Ich gehör’ mir nicht mehr allein, nein, ganz frei werd’ ich nie mehr sein …“ In „Nein, meine Söhne geb’ ich nicht!“ wird er politisch Ich lieb’ die beiden, das will ich euch sagen / Mehr als mein Leben, als mein Augenlicht / Und die, die werden keine Waffen tragen …“ Die Kinder prägen sein Leben, und Ehefrau Hella gibt ihm Halt. Als sie sich kennenlernten, arbeitete sie in einer Konzertdirektion, ein Glücksfall. Als persönliche Managerin ließ sie sich von ihrem Mann einstellen. Vor allem sorgte sie für Bodenhaftung, was besonders schön beschrieben ist in dem Text „Noch ’n Lied“.

Aus vielen Textzeilen wurden Redensarten

Obwohl Reinhard Mey zu den prominentesten Berlinern gehört, trifft man ihn nie bei den üblichen Galas und Empfängen, Vip-Listen meidet er. Was er zu den Themen „Die heiße Schlacht am kalten Buffet“ oder „Diplomatenjagd“ zu sagen hatte, gehört schon lange zu den Klassikern des deutschen Liedgutes. In den 80er Jahren hat er sich im Fernsehen mal über seine Stadt und sein Dorf Frohnau geäußert. Man sieht ihn vielleicht mal beim Italiener oder bei Konzerten, aber praktisch nie auf dem roten Teppich.

Den „Echo“ für sein Lebenswerk hat er schon 1992 bekommen, hat deshalb aber nie aufgehört, einen Evergreen nach dem anderen zu produzieren, hat das Lebensgefühl einer ganzen Generation beschrieben und vertont. Bei alldem hat er seinen Spielmannszug immer überschaubar gehalten und, statt sich den Gesetzen der Showbranche zu unterwerfen, lieber einen Familienbetrieb mit nachhaltiger Schlagkraft betrieben. Langjährige Freundschaften waren ihm freilich wichtig, zum Beispiel mit dem Produzenten Manfred Leuchter oder dem 2005 verstorbenen Konzertveranstalter Peter Graumann.

Ansonsten ließ er sich von nichts und niemandem vereinnahmen, von den 68ern nicht, von Fernsehmoden nicht und auch nicht vom Ruhm. Als alle von Bewusstseinserweiterung redeten und progressiv sein wollten, machte er sich lustig über Annabelle, ach, Annabelle / Du bist so herrlich intellektuell / Du bist so wunderbar progressiv / Und so erfrischend destruktiv. Viele Jahre später bereut er das leise in „Der Biker“: Annabelle, diesmal machen wir zwei es richtig / Ideologie ist diesmal nicht so wichtig …

Am Tag des Mauerfalls trat er zum ersten Mal im DDR-Fernsehen auf

Dabei gab es für ihn absolut nichts zu beichten. Als Annabelle und ihre 68er-Gefährten Karriere machten in Politik und Wirtschaft und später auch mal mit Staatsanwälten und Steuerfahndern aneinandergerieten, blieb er wachsam und machte dabei weder vor Landesfürsten halt noch vor kirchlichen Würdenträgern. Immer wieder hat er betont, wie wichtig ihm Freiheit ist. Dazu gehörte auch die Freiheit, nicht mit den Wölfen heulen zu müssen, selbst wenn die Wölfe für eine Sache heulten, der er nicht so fern stand. Dass der Mörder nicht immer der Gärtner ist, hat er schon lange verinnerlicht, bevor aus dem Lied, wie aus so vielen anderen aus seiner Feder, ein geflügeltes Wort wurde.

Am Tag des Mauerfalls trat er zum ersten Mal im DDR-Fernsehen auf. Sein Lied „Ich würde gern einmal in Dresden singen“ hat er fünf Jahre vorher veröffentlicht. Auf seinem Album „Leuchtfeuer“ erfüllte er sich 1996 einen alten Wunsch und nahm mit den Berliner Philharmonikern die schöne, melodiöse Ballade „Lilienthals Traum“ auf. Das Honorar übernahm Frau Hella von dem Gehalt, das er ihr zahlt.

2008 fiel sein Sohn Max überraschend ins Koma

Reinhard Mey 1988. Am Tag des Mauerfalls tritt er zum ersten Mal im DDR-Fernsehen auf. Sein Lied „Ich würde gern einmal in Dresden singen“ hatte Mey fünf Jahre vorher veröffentlicht.
Reinhard Mey 1988. Am Tag des Mauerfalls tritt er zum ersten Mal im DDR-Fernsehen auf. Sein Lied „Ich würde gern einmal in Dresden singen“ hatte Mey fünf Jahre vorher veröffentlicht.

© Imago

Zwischenzeitlich fuhr er lieber zur See, statt über den Wolken zu fliegen. Vor zehn Jahren machte er noch mal seine Pilotenlizenz, die er Jahre zuvor hatte auslaufen lassen. Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein, ist sicher eine der am meisten zitierten Reinhard-Mey-Zeilen. Seine Berlin-Lieder sind nicht ganz so bekannt, sind aber schöne Liebeserklärungen wie „Ich trag’ den Staub von deinen Straßen – Berlin“.

Es war so lange ein schönes, glückliches Leben. Aber dann schlug das Schicksal doch noch zu und traf ausgerechnet, Max, den Riesen Max. Fasziniert von Asien hatte der jüngere Sohn lange in Kambodscha gelebt und hatte sich eine komplizierte Lungenentzündung eingefangen, in deren Folge er ins Wachkoma fiel. Wieder war der Künstler zwischen allen Stühlen und allen Gefühlen, hin- und her gerissen zwischen der Entschlossenheit, „dich in die Welt zurückzulieben“ und dem selbstlosen Wunsch nach Erlösung für den Sohn: Mein fernes, mein geliebtes Kind, schlaf ein. Man sagt, ein Kind zu verlieren, ist das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann. Als Max in diesem Frühjahr nach fünf Jahren starb, zog der Vater sich erst einmal zurück.

Schon vorher hatte er alles, was er zum 50-jährigen Bühnenjubiläum zu sagen hatte, in eine große schwarze Liederkiste gepackt, die „Reinhard Mey Jahreszeiten Box“, 4,4 Kilo schwer ist sie, auf 4000 Exemplare limitiert und enthält doch seinen ganzen Kosmos auf 26 Studio-Alben. Immer wieder hat er sich abseits vom Rampenlicht für gute Zwecke engagiert, für krebskranke Kinder, für Schiffbrüchige. Den Erlös dieses Lebenswerks will er den Bodelschwingh'schen Stiftungen in Bethel spenden.

Mag manches nicht mehr so aktuell sein wie zur Zeit der Entstehung, er steht zu jedem einzelnen Lied und zu seinem ganz besonderen Weg: „Es gab keinen kometenhaften Aufstieg, es gab einen langen, stetigen, oft steinigen und doch glücklichen Weg. Es gab keine verwüsteten Garderoben, keine demolierten Hotelzimmer, keine Lügen und keine gebrochenen Herzen im Backstage-Bereich, es gab auch keinen Absturz.“

Finanzielle Unabhängigkeit war ihm wichtig, weil er sich nicht verbiegen wollte, nicht für Werbung hergeben und keine Kompromisse bei seinen Liedern machen wollte. Niemand sollte ihm jemals reinreden. „Das Glück, das ich empfand, als ich mein erstes Lied fertiggeschrieben hatte, ist dasselbe Glück, das ich noch immer empfinde, wenn ich heute das letzte Wort eines Liedes schreibe ...“. Er will seine Geschichte weiter schreiben, alles besser machen, „auch die Welt“.

Regelmäßig hat er die große Familie seiner Fans in Konzertsälen um den imaginären Küchentisch versammelt. Im September beginnt seine nächste Tournee, trotz des rasenden Lampenfiebers. Die wahre Größe seines Lebenswerks wird wohl erst in einigen hundert Jahren wirklich gewürdigt werden, wie immer man Musik dann zu sich nimmt. Vielleicht wird es wieder einen Aufbruch geben in eine neue, bessere Epoche. Ein junger Mann wird auftreten beim ersten Über-den-Wolken-Festival auf dem Mond, wird Lieder von Reinhard Mey im Gepäck haben, und wird – wie Orpheus singen.

Am 18. September beginnt Reinhard Mey seine Tournee. Sie endet mit drei Konzerten im Berliner Tempodrom, vom 14. bis zum 16. November. Tickets gibt’s unter: www.mey-tickets.de. Reinhard Mey: Jahreszeiten 1967–2013. Die limitierte Edition kostet 258,99 Euro. Die Jahrzehnte-Boxen gibt es auch einzeln für je 49,99 Euro.

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