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Hatice Akyün auf dem Wochenmarkt am Karl-August-Platz in Charlottenburg.

© Thilo Rückeis

Charlottenburg-Spaziergang mit Hatice Akyün: Sie ist wieder hier, in ihrem Revier

Nach einem Intermezzo in Tempelhof ist Autorin Hatice Akyün in den Berliner Westen zurückgekehrt. Ein Treffen mit Kaffee und Herz.

Hatice lacht. Nein, das stimmt nicht. Hatice strahlt aus ihren dunklen Augen. Nur der Blödmann, ein Marktschreier vom Obststand, der unbedingt mit aufs Foto will und es lustig findet, sich dabei eine Bananenschale über den Kopf zu stülpen, bringt Hatice kurz aus der Laune. Aber dann strahlt sie wieder. Es ist aber auch zu schön an diesem Herbsttag, blau der Himmel, fast schon kitschig das Farbenspiel der Blätter.

Wir erlauben uns mal die vertrauliche Anrede mit dem Vornamen, schließlich ist Hatice journalistische Kollegin, war lange Zeit brillante und beliebte Kolumnistin des Tagesspiegels. Zudem ist sie erfolgreiche Buchautorin, die Verfilmung ihres ersten Romans „Einmal Hans mit scharfer Soße“ war ein voller Erfolg.

"Hier ist zu Hause"

Aber Hatice Akyün würde zurzeit auch strahlen, wenn das Wetter grau in grau wäre und der Kiezspaziergang durch den Regen führen würde. Denn Hatice ist wieder hier, in ihrem Revier, war nie wirklich weg: Charlottenburg, der Kiez um den Karl-August-Platz, der Korridor zwischen Savignyplatz und Wilmersdorfer Straße, zwischen der Bismarckstraße und der Kantstraße. „Heimat ist Duisburg-Marxloh“, wo sie aufwuchs, „aber hier ist zu Hause“, sagt Hatice. Und strahlt wieder am Kaffeestand an der Ecke Goethe- und Weimarer Straße.

Das hat sie in den vergangenen eineinhalb Jahren eher selten gemacht. In der Zeit ist sie fremdgegangen, hat sich eingebildet, in der Lindenhof-Siedlung in Tempelhof ein Eigenheim bauen zu wollen und zu müssen, schick, modern, mit Rollrasen hinter dem Haus. In der Bauphase hat sie bei Freunden in Zehlendorf gewohnt, und als sie dann eingezogen ist ins neue eigene Haus, ist sie unglücklich geworden. „Ich habe Projekte gemacht, habe mir Ziele gesetzt und gedacht, wenn die erfüllt sind, werde ich glücklich.“

Viel Energie für den Hausbau verwendet

Wenn erst mal die Treppe gebaut ist, wenn erst mal der Boden verlegt ist, wenn erst mal der Rasen angewachsen ist, wenn die Küche kommt, dann, ja dann … Sie hat das alles stolz wie Bolle öffentlich vorgezeigt in den sozialen Medien, dort auch ihren ständigen Ärger mit dem Handwerk dokumentiert. „Und wenn die Ziele dann erreicht waren, ja dann, ja dann, bin ich frühmorgens aufgewacht und war kreuzunglücklich.“

Hatice, die so gerne lacht, die so stolz ist auf sich und ihre Eltern, auf ihre Mutter, die Hausfrau und Analphabetin, auf ihren Vater, der damals in Anatolien erst Schafe hütete und dann als Bergmann nach Duisburg ging, da war Hatice drei Jahre alt, auch er Analphabet, aber Vater und Mutter erpicht darauf, dass die Töchter sich bilden, was die dann auch getan haben. Hatice kreuzunglücklich, Hatice, die so gerne lacht, vielleicht auch, weil sie der wundervollste Beweis ist, dass Menschen Menschen sind und es egal ist, wo sie geboren wurden, und es egal ist, ob sie eine anatolische Seele haben oder eine Duisburger, wenn sie nur ein Herz haben so groß wie die Erde. Der Hausbau in der Fremde Tempelhofs raubte Hatice so viel Energie, dass die Beziehung zu ihrem Partner aus der Schweiz zu zerbrechen drohte.

"Ich bin Altbau"

Perdu. Der Irrtum ist korrigiert, Hatice ist wieder da, in ihrem Revier, hat eine Wohnung gefunden in unmittelbarer Nähe ihrer alten. „Ich bin Altbau“, sagt sie, lacht wieder, strahlt wieder, küsst ihren Partner und macht sich auf zum nächsten Marktstand, wo es Tee gibt und allerlei türkische Leckereien. Man kennt sie auch hier, vielleicht auch als Promi, aber offensichtlich doch mehr als Nachbarin.

Auf der Pestalozzistraße unterbricht sie den Spaziergang vor einem Friseurladen, „Will Mann, Frau nicht struppig sein, komm zu Strucki rein“ steht auf einem Plakat davor. „Hier ist Rita“, erzählt Hatice, „also ich war bei allen Friseuren der Stadt, auch bei den Stars, danach habe ich ausgesehen wie Farah Diba auf Ecstasy.“ Der Vergleich zur Witwe des Schahs von Persien drängt sich geradezu auf, schließlich befindet sich ein paar Meter um die Ecke die Deutsche Oper, wo es in den berühmten 68er-Zeiten anlässlich des Schah-Besuches zu schweren Unruhen kam und in der Krumme Straße Benno Ohnesorg ermordet wurde, was die Republik in ihren Grundfesten erschütterte.

Grafik anklicken zum Vergrößern.
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© Tsp/Klöpfel

Ritas "Babylon Berlin"

Und irgendwann, erzählt Hatice jetzt, sei sie zu Rita reingekommen, in einen Laden, den es seit 1899 gibt und der aussieht, als sei er Kulisse für „Babylon Berlin“. Rita habe sie angeschaut, habe gesagt, kein Problem, „dann Waschen, Schneiden, Föhnen. Perfekt“. Hatice geht nur noch zu Rita. Hatice lacht, strahlt, sie ist wieder hier, zu Hause.

Es ist schön, mit Hatice durch diesen Teil Charlottenburgs zu spazieren. Es sind historische Orte, gerade für sie, die sich mal als 68er-Kind bezeichnet hat, obwohl sie 1968 allenfalls im Bauch der Mutter war, bevor sie 1969 in Akpinar geboren wurde. Aber sie kennt die Orte des Umbruchs, der Deutschland so nachgreifend verändert hat, dass es auch ihr Deutschland wurde, Hatice ist im Denken und Fühlen nachgeborener Teil der Bewegung.

Jetzt kennt sie auch das „Wilhelm Hoeck“, jene legendäre Kneipe in der Wilmersdorfer Straße, an deren Decke immer noch der Teebeutel klebt, den der Legende nach einst Rudi Dutschke in einem Anfall von Furor hochgeschleudert hat. Sie kennt den „Zwiebelfisch“ am Savignyplatz, eine andere ruhmreiche Kneipe dieser bewegten Zeit, da geht sie immer noch hin, wenn sie abends auf einen Wein ausgeht, auch aus romantischen Gründen, „weil, davor haben wir“, also ihr Partner und sie, „uns das erste Mal geküsst“.

Unperfekt perfekt

Sie schlendert durch die Straßen, man könnte glauben, dass sie, seit neun Jahren mit der unseligen Tempelhofer Unterbrechung hier ansässig, jeden Stein kennt. „Ja, der Kiez hier ist unperfekt, das ist perfekt für mich“, sagt sie. „Hier, dieser winzige Musikladen“, ein in der Tat recht kleines Geschäft in der Goethestraße, „hier habe ich meiner Tochter das erste Instrument gekauft, eine Ukulele.“ Weiter hinten, die Wilmersdorfer Straße runter, sei ihre Parfümerie, „ungefähr so alt wie Ritas Friseurladen, ich brauche kein Douglas“. Nein, ihr Kiez gentrifiziere sich nicht, „er ist es ja schon seit Jahrzehnten, das macht ihn schon wieder alteingesessen“.

Es ist nicht so, dass Hatice in ihrem Kiez nur Schönes erlebt. Einmal, das war am Eingang zur U-Bahn an der Oper, da hat sie einer älteren Frau mit Enkelkind im Kinderwagen angeboten, ihr tragen zu helfen. Die Frau hatte sich umgedreht, Hatice, diese schöne Frau mit dunklen Augen und schwarzem Haar, angeschaut und sie angegiftet: „Von Ihnen lasse ich mir nicht helfen.“ Die Szene ist schon einige Zeit her, „aber das trifft mich noch heute, hier ist doch mein Viertel, hier bin ich doch zu Hause“. Und der begleitende Spaziergänger, ebenfalls in diesem Kiez ansässig, ist ebenso empört: „Hier, hier bei uns in Charlottenburg?“

Das Nachbarschaftsgefühl der Schneiderin

Aber Hatice ist schon wieder im Glücksmodus. Und erzählt vor einer Schneiderei in der Goethestraße die Geschichte, die ihr Gefühl für diesen Teil Charlottenburgs charakterisiert. Die Geschichte von ihrem Kleid, das sie anziehen wollte zu der Premiere von „Einmal Hans mit scharfer Sauce“ in einem Neuköllner Kino. Zwei Stunden zuvor habe sie sich gestört, dass das Kleid, das sie anziehen wollte, etwas zu tief ausgeschnitten war.

Sie ist dann zu der Schneiderin gegangen, ebenfalls ein alteingesessener Laden ohne Chichi. Ist doch kein Problem, habe die Schneiderin gesagt, geben Sie her, ich mache Ihnen schnell zwei Knöpfe dran. „Problem gelöst“, erzählt Hatice. Und als sie bezahlen wollte, sagte die Dame, die in ihrem Laden wahrlich nicht auf Rosen gebettet ist, „zwei Knöppe, Quatsch, wir sind doch unter Nachbarn“, und habe kein Geld angenommen. „Ach“, sagt Hatice, „ich bin so froh, wieder zu Hause zu sein.“ Hatice strahlt.

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