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Die Angeklagten sitzen im Gerichtssaal des Kriminalgerichts Moabit hinter ihren Anwälten und verdecken ihre Gesichter.

© dpa/Christian Ender

„Er ist unschuldig“: So lief der erste Tag im Prozess um die Brandanschläge in Neukölln

Der Prozess zum Neukölln-Komplex im Amtsgericht Tiergarten hat begonnen. Erstmals hat sich ein Angeklagter geäußert – und seine Unschuld beteuert.

Zum Prozessauftakt um rechtsextremistische Brandanschläge hat sich am Montag im Amtsgericht Tiergarten erstmals einer der beiden Angeklagten über seinen Anwalt geäußert und seine Unschuld beteuert. Dem 39-jährigen Tilo P., einst in der AfD Neukölln aktiv, und dem 36 Jahre alten Rechtsextremisten Sebastian T. wird vorgeworfen, am 1. Februar die Autos des Buchhändlers Heinz Ostermann und des Linke-Politikers Ferat Kocak in Brand gesetzt zu haben.

Hinzu kommen seit 2017 rechtsextreme Schmierereien. Mirko Röder, Anwalt von P., sagte nach Verlesung der Anklage: „Mein Mandant hat die ihm vorgeworfenen Taten nicht begangen, er ist unschuldig.“ Zugleich bedauere er insbesondere das Leid, das Kocak und seiner Familie widerfahren sei.

Ostermann sagte nach der Verhandlung: „Mir kam die Galle hoch.“ Er befürchte, dass es „auf einen Freispruch hinausläuft, dass es nicht wasserdicht bewiesen werden kann“. Tatsächlich hatten die Ermittler für die übrigen Taten der Serie rechtsextremer Attacken seit 2013 mit mehr als 70 Straftaten, darunter 23 Brandanschläge, noch weniger Beweise. Für die angeklagten Anschläge gibt es nur Indizien. Die Anklage spricht von möglichen weiteren, bislang unbekannten Tätern.

Verurteilung wegen eines versuchten Tötungsdelikts?

Sonderermittler hatten Fehler bei Polizei, Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz festgestellt, so war der Seriencharakter der Taten zu spät verfolgt worden.

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Auch Kocak äußerte sich kritisch. Er war erst am Freitag nach einer Beschwerde beim Landgericht als Nebenkläger zugelassen worden. Die Anwälte von T. und P. forderten daher eine Aussetzung des Verfahrens. Denn das Landgericht hielt es für möglich, dass T. und P. auch wegen eines versuchten Tötungsdelikts verurteilt werden könnten.

Dafür sei nicht das Amtsgericht, sondern wegen des höheren Strafmaßes das Landgericht die richtige Instanz, sagte Röder. „Wir wissen bereits jetzt, dass die Nebenklage eine Verurteilung wegen eines Tötungsdelikts anstreben wird“, sagte Röder.

Nebenkläger Ferat Kocak (Die Linke) im Gerichtssaal des Kriminalgerichts Moabit.
Nebenkläger Ferat Kocak (Die Linke) im Gerichtssaal des Kriminalgerichts Moabit.

© Foto: dpa/Christian Ender

Es ergäben sich neue Aspekte für die Verteidigung. Die Vorsitzende Richterin wies dies zurück. Es gebe keinen hinreichenden Tatverdacht für ein Tötungsdelikt, sagte sie. Außerdem seien im Prozess zunächst die kleineren Delikte Thema. Auf die Frage, ob er eine Verurteilung wegen eines Tötungsdelikts anstrebe, sagte Kocak am Rande: „Ich kann nur sagen, was ich an dem Tag gefühlt habe. Und das Gefühl war einfach lebensbedrohlich.“

Seine Eltern und er hätten in der Tatnacht große Angst gehabt. „Es war aus meiner Perspektive kein Anschlag auf mein Auto, sondern es war ein Anschlag auf Leib und Leben meiner Familie und mich.“

Erhöhte Sicherheitsvorkehrungen beim Prozess

Sein Mandat als stellvertretendes Mitglied im Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses zum Neukölln-Komplex will Kocak behalten. Anwalt Röder hingegen warnte, dass ein Betroffener per Gesetz nicht selbst Mitglied des Ausschusses sein dürfe. Der Verteidiger hatte zuvor damit gedroht, vor das Verfassungsgericht zu ziehen. Kocak sagte: „Ich bin mir der Doppelrolle bewusst. Ich werde die Dinge unterscheiden, hier bin ich Nebenklage, eine Position in zweiter Reihe.“

Demonstranten stehen mit einem Banner "Rechten Terror stoppen" vor dem Gebäude des Kriminalgerichts Moabit.
Demonstranten stehen mit einem Banner "Rechten Terror stoppen" vor dem Gebäude des Kriminalgerichts Moabit.

© dpa/Christian Ender

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Der Prozess läuft unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen. Neben Brandstiftung und Beihilfe dazu geht es um Bedrohung, Sachbeschädigung und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Die Generalstaatsanwaltschaft wirft T. und P. vor, sie hätten versucht, Menschen einzuschüchtern, die sich gegen Rechts engagieren.

Der dritte Angeklagte, ein 38-Jähriger, soll an Schmierereien beteiligt gewesen sein. T. soll zudem Sozialleistungen und Corona-Hilfen in Höhe von 20.000 Euro erschlichen haben. Das Verfahren gegen eine vierten, 48-jährigen Angeklagten wurde wegen Krankheit abgetrennt. Gegen einen 50-Jährigen erging zwischenzeitlich wegen rechter Schmierereien per Strafbefehl eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 15 Euro, also 900 Euro. Er legte Einspruch ein.

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