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Berlin: So viele Worte (Glosse)

Versuchen wir, das Problem anhand der Schöpfungsgeschichte des alten Testaments zu veranschaulichen. Sie hatte dereinst auf ein paar Seiten Bibel Platz.

Versuchen wir, das Problem anhand der Schöpfungsgeschichte des alten Testaments zu veranschaulichen. Sie hatte dereinst auf ein paar Seiten Bibel Platz. Günter Grass, beispielsweise, hätte schon ein wenig mehr Raum gebraucht, sich aber gewiss mit zwanzig Bänden zufriedengegeben und die Ergänzungen notfalls per Interview nachgeliefert. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss aber müsste, um nur den Bruch der Arbeitszeitregelung am sechsten Schöpfungstag zu klären, für die Protokolle wohl eine eigene Papierfabrik betreiben.

Ja, der Parlamentarismus, wie wir ihn kennen, ist eine aufwändige Sache, und deshalb wundert sich niemand darüber, dass die Wortprotokolle der Berliner Plenarsitzungen 1995-1999 insgesamt 5000 DIN-A-4-Seiten füllen, etwa 10 pro Sitzungsstunde. Viele Worte. Die längste Sitzung knapp elf Stunden, die kürzesten vier Mal vier Minuten - das klingt beides nicht unbedingt nach effizienter Arbeitsorganisation. Aber viele der 69 Sitzungen lagen auch irgendwo in der Mitte.

Wenn sich die Arbeit immer mal ein wenig gezogen hat, so ist das auch ein Verdienst des Großmeisters der Kleinen Anfragen: Dietmar Volk, der Bündnisgrüne, hat 90 Stück gestellt, ein eminentes Beispiel für Abgeordnetenfleiß. Im neuen Parlament sitzt er nicht mehr - ob diesmal die Protokolle ein wenig dünner ausfallen werden?

Irrglaube. Seit dem Urknall fliegen die Worte mit immer höherer Geschwindigkeit auseinander, und nichts und niemand bringt sie wieder auf biblische Kürze. Es sei denn, wir versuchen es mit Neuwahlen. Dann würde zumindest diese Legislaturperiode in einen Aktenordner passen.

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