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Auf dem Kreuzberg, der höchsten Erhebung in Berlins Innenstadt, steht das 19 Meter hohe Bauwerk.

©  Kitty Kleist-Heinrich

Date-Treffpunkt und Schlafplatz für Fledermäuse: Soldatendenkmal auf dem Berliner Kreuzberg feiert 200. Geburtstag

Das Denkmal auf dem Kreuzberg erinnert an im Krieg gefallene preußische Soldaten. Das martialische Bauwerk aus Eisen ist heute ein beliebter Treffpunkt.

Den Spatzen mangelt es sowieso an patriotischem Respekt. Auf dem Denkmal, das die Spitze des Kreuzbergs, des Stadtteils und – geologisch gesehen – sogar der ganzen Innenstadt krönt, haben sie sich als einen ihrer Lieblingslandeplätze ausgerechnet den heroischen Strahlenkranz des Genius ausgesucht. Er symbolisiert den Triumph über Napoleon in der Leipziger Völkerschlacht vom 13. Oktober 1813.

Des Sieges sicher hat die von Christian Daniel Rauch geschaffene Figur, die die Züge von Prinz Wilhelm von Preußen, des Bruders Friedrich Wilhelms III., tragen soll, seinen Schild vor sich abgestellt. Ihn ziert ein kleiner blau-weißer Aufkleber jüngsten Datums. Doch die Botschaft, die er den Besuchern des „Nationaldenkmals für die Befreiungskriege“ nahebringen will, ist von unten nicht zu entziffern. Die Sticker, die dutzendweise den Sockel unter dem Prinzen bedecken, hingegen schon: Gut lesbar fordern sie mal „Stoppt AfD“, mal „Kein Platz für Nazis“.

Nein, angesichts der Aufkleber und der Schmierereien hier und dort kann man nicht sagen, dass die Menschen größeren Respekt vor dem Denkmal hätten als die Spatzen. Die Zeiten, in dem man sich dem Nationaldenkmal – dem ersten auf deutschen Boden und damit eine Art Vorläufer der geplanten Einheitswippe vor dem Schlossneubau – mit patriotischen Gefühlen näherte, sind ohnehin lange vorbei.

200 Jahre nach seiner Einweihung am 30. März 1821 sind sie eher romantischen gewichen. Wie wären sonst die vielen Liebespaare zu erklären, die den Ort für einen gemeinsamen Blick in die Ferne oder auch nur ein improvisiertes Picknick aufsuchen? Aber auch ohne begleitende zarte Gefühle bleibt die Aussicht spektakulär, eine touristische Attraktion für die Berliner wie ihre Gäste.

Gedanken, dass mit dem einer gotischen Kirchturmspitze gleichenden Monument doch an sehr blutige Ereignisse und Preußens im Kampf gegen Napoleon gefallene Soldaten erinnert werden soll, dürften sich die wenigsten machen.

Ja, in der von den Grünen des Bezirks im vergangenen Herbst angestoßenen, bereits wieder erlahmten Debatte um eine Entmilitarisierung der umliegenden, an Generäle und Schlachten der Befreiungskriege erinnernden Straßen und Plätze spielte ausgerechnet der Kreuzberg keine Rolle. Und dies, obwohl das für Berg und Stadtteil namenstiftende Kreuz nicht mal ein religiöses Symbol darstellt, wie das umstrittene christliche Kreuz auf der Schlosskuppel, des Schlosses, sondern ein ausgesprochen martialisches.

Das Eiserne Kreuz wurde von Friedrich Wilhelm III. gestiftet

Das Eiserne Kreuz, zu sehen an der Spitze des Monuments und als Reliefs unter den zwölf Genien, die Schlachten der Befreiungskriege symbolisieren, war als militärischer Orden 1813 von Friedrich Wilhelm III. gestiftet worden. Beim Deutsch-Französischen Krieg, beim Ersten wie auch beim Zweiten Weltkrieg wurde die Stiftung erneuert, und noch das Hoheitsabzeichen der Bundeswehr erinnert in seiner Form an die vor über 200 Jahren geschaffene militärische Auszeichnung.

Doch Kreuzberg ohne Kreuz wäre nicht mehr Kreuzberg, ein nur schwer vorstellbarer Zustand, auch aus streng pazifistischer Sicht kaum notwendig. Das Denkmal hat seinen ursprünglichen heroisierenden Charakter längst eingebüßt zugunsten eines ausgesprochen friedlichen als malerischer Aussichtspunkt inmitten einer romantisierenden Parkanlage mit künstlichen Bergschluchten und ebensolchem Wasserfall.

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Anfangs sah man das freilich etwas anders. Da sollte nicht mal eine Kirchturmspitze genügen, ein ganzer Dom musste es sein und nicht etwa auf dem Tempelhofer Berg, wie der Kreuzberg damals noch hieß, sondern vor dem Potsdamer Tor. Seit 1814 hatte Karl Friedrich Schinkel sich mit dem von Berlins Bürgerschaft angestoßenen, vom König übernommenen Projekt einer wetterbeständigen Ehrung der preußischen Gefallenen beschäftigt. Es gab sogar schon Zeichnungen für einen neogotischen Dom, und gotisch musste er sein, galt dieser Stil doch als urdeutsch. Heute allerdings werden seine Ursprünge ironischerweise ausgerechnet in Frankreich gesehen.

Der Domplan erwies sich angesichts leerer Staatskassen als illusorisch, schrumpfte zu dem eines Denkmals an exponierter Stelle: auf dem Kreuzberg, mit 66 Metern über dem Meeresspiegel heute die höchste Erhebung in Berlins Innenstadt, damals ein von unbebautem Flachland umgebener Hügel.

Am 19. September 1818 legte Friedrich Wilhelm III. den Grundstein zu dem 19 Meter hohen, obeliskartigen Denkmal. Es entstand nach Schinkels Entwurf in der Königlichen Eisengießerei, im nordwestlichen Winkel aus Invaliden- und Chausseestraße gelegen.

Die Manufaktur war damals für gusseiserne, „Fer de Berlin“ genannte Kunstgegenstände berühmt. Auch die Eisernen Kreuze stammten von dort, wie ohnehin Gusseisen als patriotisches Material galt. Mit dem Slogan „Gold gab ich für Eisen“ waren Preußens Frauen aufgefordert worden, ihren Schmuck zur Finanzierung des Krieges gegen Napoleon zu spenden. Als Gegengabe winkte ihnen „Fer de Berlin“.

Auch der Grundriss ist kreuzförmig

Der Grundriss des auf einem steinernen Sockel postierten Denkmals ist ebenfalls kreuzförmig. Auch den 30. März 1821 als Tag der Einweihung durch den König – einer feierlichen Zeremonie, der auch Waffengefährte Zar Alexander I., der vom Alexanderplatz, beiwohnte – hatte man mit Hintersinn gewählt: Es war der siebte Jahrestag der auch „Schlacht auf dem Montmartre“ genannten Schlacht bei Paris, an die der Name des Pariser Platzes in Mitte erinnert. Sie endete mit einer Kapitulation der Verteidiger am frühen Morgen des Folgetages, knapp zwei Wochen später dankte Napoleon ab.

Auch diese vorerst letzte Schlacht der Befreiungskriege – erst nach der Rückkehr des Korsen von Elba ging es weiter, bis zur Schlacht bei Waterloo am 18. Juni 1815 – wird durch eine erneut von Rauch geschaffene Figur symbolisiert: diesmal eine Genia, ein Abbild der Königin Luise, die ein Modell der 1806 von Napoleon geraubten, 1814 zurückgekehrten Quadriga in der heute leeren rechten Hand trug.

Auf dem Tempelhofer Berg, der nach dem Willen des Königs mit der Einweihung des Denkmals seinen neuen Namen erhielt, überragte die gusseiserne Erinnerung an die Toten der Befreiungskriege anfangs alles. Als diese herausgehobene Position durch das über seine Grenzen hinauswuchernde Berlin zunehmend bedroht wurde, ließ Kaiser Wilhelm I. das Denkmal 1878/79 hydraulisch um acht Meter auf einen neuen Unterbau heben. Dabei drehte man es um 21 Grad, richtete es so exakt auf die heutige Großbeerenstraße aus. Schon damals längst ein beliebtes Ausflugsziel, stieg dessen Popularität mit der Anlage des Viktoriaparks zehn Jahre später noch einmal erheblich. Auch in dessen Namen blieb der Sieg über Napoleon präsent.

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Danach war das Denkmal vor allem vom Zahn der Zeit bedroht, überstand den Zweiten Weltkrieg halbwegs unbeschadet, musste 1979 aber wegen Einsturzgefahr gesperrt werden. Beim Bau hatte man auf eine Regenwasserableitung verzichtet, das rächte sich. Bis 1986 dauerte die Sanierung, erwies sich neun Jahre später als unzureichend und musste fortgesetzt werden. Erst Ende 1999 fielen die letzten Plastikhüllen. Finanziert hatten die Arbeiten der Senat und das Bezirksamt Kreuzberg, die Stiftung Deutsche Klassenlotterie, die Cornelsen-Stiftung und das Bundesverwaltungsamt.

Zwischenzeitlich entstand die Idee, im Gewölbe unter dem Denkmal ein Feinschmeckerlokal einzurichten, das Landesdenkmalamt fand daran keinen Geschmack. Heute überwintern dort Scharen von Fledermäusen, und es dient als Lapidarium für Alt-Berliner Bildhauerkunst, mit dem originalen, von Johann Gottfried Schadow geschaffenen Fassadenschmuck der Alten Münze am Werderschen Markt als größter Kostbarkeit.

In den Sommermonaten, sofern das Virus es zulässt, soll es dort sogar wieder Führungen geben. Und das Gewölbe ist für eine Ausstellung zum jüngst gefeierten 100. Geburtstag des Malers Kurt Mühlenhaupt vorgesehen. Einem Künstler, der mit dem Stadtteil mindestens genauso eng verbunden ist wie das Denkmal. Den idealisierten, von Rauch, Friedrich Tieck und Ludwig Wichmann geschaffenen Genien glichen seine Figuren allerdings nie.

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