zum Hauptinhalt
Stimmen der Freiheit. Ägyptens Revolution erreicht die Straßen und Plätze Berlins: Ramy Fool aus Neukölln protestiert mit Rap-Gesang.

© Christian Mang

Solidarität mit Ägyptern: Rosen für die Revolutionäre

Auch am Brandenburger Tor ist ein wenig von der Stimmung des Tahrir-Platzes zu spüren. Berliner solidarisieren sich mit Ägyptern.

Heba Ahmed streicht gedankenverloren über die Blüte einer rosa Rose. Die Philosophiestudentin steht in einer Menschenmenge am Samstagmittag auf dem Pariser Platz und hört zu: „Jetzt ist Mubarak weg. Aber das war nur ein Etappensieg“, spricht ein junger Mann mit Wuschelhaaren und Brille in ein Megafon. Heba Ahmed kennt diese Sätze schon. Sie hat seine Rede kurz vorher gegengelesen.

Die 24-jährige Stipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung lebt seit vier Jahren in Deutschland und stammt aus Ägypten. Ebenso wie der Redner, Tarek Habashi, 30. Beide sind Teil des Wandels in ihrem Heimatland – sie helfen aus der Ferne, von Berlin aus. Auch hier wurde eifrig demonstriert: fast jeden Tag, seitdem am 25. Januar in Ägypten die Revolution begann. Heba Ahmed hat viele der Aktionen mitorganisiert. „Dazu muss man keine Heldin sein“, sagt sie. „Die Demos hier in Deutschland sind so angenehm.“ Ihr kommt es immer noch unwirklich vor, „dass die Polizei uns beschützt und wir so ein vertrauensvolles Verhältnis zu ihr haben. Ich habe erst in Deutschland gelernt, dass man vor Polizisten keine Angst haben muss.“

Auch am Tag nach der Abdankung Mubaraks haben sich wieder rund 100 Menschen am Brandenburger Tor versammelt, am späten Nachmittag waren es noch einmal etwa 100 in Neukölln. „Die politischen Gefangenen sind noch immer in Haft und die Menschenrechtsverletzungen müssen aufgearbeitet werden“, sagt Tarek Habashi ins Megafon.

Er und Heba Ahmed gehören zum „Egyptian German Network for Changing Egypt“. So heißt die Facebook-Gruppe mit mehr als 700 Mitgliedern, über die viele Aktionen in Berlin organisiert werden, auch die Kundgebungen am Sonnabend – gemeinsam mit Amnesty International, dem Deutschen Gewerkschaftsbund und anderen großen Organisationen.

Wie in Ägypten spielt auch in Berlin das Internet eine große Rolle bei den Veränderungen. „Ich hatte ein paar Tage vor dem 25. Januar eine Facebook-Einladung zu der ersten großen Demonstration in Kairo“, sagt Heba Ahmed. „Als ich dann gesehen habe, dass sich schon 30 000 Leute dafür angemeldet hatten, habe ich geahnt, dass da etwas Großes passiert.“ Kurz nach Beginn der Unruhen wurde sie eine der Administratorinnen der deutschen Facebook-Gruppe: „Dadurch habe ich superviele Leute kennen gelernt.“ Auch Tarek Habashi. Vorher habe sie nur zwei andere Ägypter in Berlin gekannt. Beide sprechen akzentfreies Deutsch, haben in Ägypten deutsche Schulen besucht – er in Kairo, sie in Alexandria.

Zurzeit sind sie dabei, ein Infozelt zu organisieren. Dort wollen sie mit Fotos, Vorträgen und Musik über die Lage in ihrer Heimat informieren. „Die meisten Deutschen wissen nicht viel über Ägypten – etwa über unsere Frauenbewegung und darüber, dass es nichts Besonderes ist, wenn Christen und Muslime gemeinsam auf die Straße gehen“, sagt Heba Ahmed. Noch fehlen Genehmigungen. Aber sie wird ihnen weiter hinterhertelefonieren und hofft, dass sie das Zelt bald auf dem Potsdamer Platz aufstellen lassen können.

Auch Ramy Fool hat 50 neue Freunde bei Facebook durch die Revolution hinzugewonnen – und kaum eine Demonstration verpasst. Sechs Demos pro Woche seien sein Durchschnitt, sagt er. Sonst ist er aber der Gegenentwurf zu Tarek und Heba, die beide so wohlerzogenen und ruhig wirken. Der 18-jährige Neuköllner Schüler demonstriert mit einer um die Schultern geknoteten ägyptischen Flagge, die er auch danach in der U-Bahn nicht ablegt. Statt Reden zu halten, rappt er mit rauer Stimme ins Mikro: „Eins, zwei, drei, vier, Religion ist egal, Hand in Hand machen wir, was unser Herz uns befahl.“ Er sei zuständig für die „Comedyshow“: „Wenn die Leute fresh drauf sind, macht es Spaß.“ Dabei ist „Spaß“ nicht unbedingt ein Wort, dass zu Ramys Geschichte passt. Seine Mutter ist Deutsche, sein Vater Ägypter. Er wuchs zunächst in dessen Heimat auf, besuchte eine Militärschule. Mit zwölf Jahren kam er nach Deutschland, erlebte einen Kulturschock. Dreimal warf in seine Mutter später aus der Wohnung – der Jugendnotdienst wurde eingeschaltet. Psychologen bescheinigten ihm Selbstmordgefährdung.

Er sagt, seine Vorbilder seien Eminem und „unser Prophet Mohammed“. Ramy ist im Moment voller Wut. Nachts könne er nicht mehr gut schlafen. Er trägt einen Irokesen-Haarschnitt, an dessen Seiten das arabische Schriftzeichen für Ägypten einrasiert ist. „Die Leute sollen sehen, wie zornig wir sind. An einem Tag starben 119 Menschen, davon 18 Kinder.“ In seiner Klasse hat er ein Video gezeigt, in dem ein Jugendlicher erschossen wird. „ Ich stehe hier für meine Familie, die aus 88 Millionen Menschen besteht und die für Freiheit und ihre Rechte kämpfen“, sagt er.

Bei den Demos sieht er sich als Vermittler und bringt den deutschsprachigen Demonstranten oft ein paar Wörter Arabisch bei: „Ich zähle jeden nicht-arabischen Demonstranten doppelt. Leute, die sich für ein so entferntes Land einsetzen, haben meinen Respekt verdient.“

Am Sonnabend am Brandenburger Tor besteht sogar die Mehrheit aus Deutschen – unter ihnen die einstige Lehrerin Heidi Antal. Die 72-Jährige verteilt Rosen an die Ägypter: „Ich will ihnen gratulieren. Ich finde, wir sollten uns mit ihnen freuen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false