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iVerliebt in Berlin. Über zweihundert Songs wurden bereits über die deutsche Hauptstadt geschrieben. Bennet Seuss (li.) und Anton Bruch haben diese Sammlung um ein Lied erweitert.

© Thilo Rückeis

Song zur U-Bahnlinie 8: Ode an den Untergrund

Mitte-Hipster, Familienmenschen und Betrunkene: Die Band AB Syndrom hat der U8 ein Lied gewidmet.

Alles an ihnen schreit „Berlin“: Anton Bruch trägt einen langen Bart und eine glänzend rote Bomberjacke; Bennet Seuss hat die Haare halb zum Dutt gebunden, so, dass die Locken noch rausgucken, übergroßer Pullover und eine Jacke auf der ein silberner Sticker klebt: „You are beautiful“. Silberkettchen, Hawaiihemd – die beiden stehen für das, was Berlin oft vorgibt zu sein.

Und jetzt haben die beiden Männer, die gemeinsam das Duo AB Syndrom bilden, auch noch einen Song über Berlins berüchtigtste U-Bahnlinie gemacht: die U8. Frech behaupten sie in dem Lied, ihnen gehöre die U8, und singen über die Fantasien, die fast jeder junge Mensch in Berlin hat: einmal vom höchsten Haus der Stadt spucken.

Promoviert in Theoretischer Physik

Warum ausgerechnet die U8? „Das ist einfach das Verkehrsmittel, das wir am häufigsten benutzen“, erklärt Bruch, er sitzt bei AB Syndrom am Schlagzeug. Ihre Reise mit der U8 beginnt immer dort, wo die Linie eh startet – oder endet: an der Hermannstraße. Hier gibt es den schönen neuen Eingang und die alten, aber vor allem gibt es an der Haltestelle Tiere, gemalt auf die Pfeiler auf dem Bahnsteig.

„Mein Liebling ist der Ameisenbär“, sagt Bennet Seuss, Sänger und Songschreiber der Band. Beide sind mit der Station und dem Kiez verbunden Man trifft sich im Melita, einem der unzähligen türkischen Imbisse auf der Hermannstraße. „Richtig gut ist hier eigentlich nichts“, sagt Seuss, aber hier habe man das Musikvideo zum Song gedreht.

Statt Essen gibt es also Tee und Cola, da kann man wenig mit falsch machen. Während sie reden, nicken sie immer wieder Menschen im Vorbeigehen zu. So anonym Berlin oft ist, hier kennen sie sich, hier grüßen sie sich.

Bruch ist in Berlin aufgewachsen, erst in Prenzlauer Berg, dann in Mahlsdorf, zum Studium zog er wieder ins innere des S-Bahn-Rings.

Gerade hat er in Theoretischer Physik promoviert, jetzt konzentriert er sich auf die Musik. Seuss ist Zugezogener, aus Oberursel in Hessen: „Kennt aber keiner. Deswegen gibt es nur einen Song über Frankfurt“, sagt er. Am Main natürlich, nicht an der Oder. Irgendwann hat es beide nach Neukölln verschlagen – gefunden hatten sie sich vorher.

„Über so was wie Tinder für Bands, aber ohne Fotos.“ Nach einer Zeit als Quartett sind sie jetzt ein Duo: AB Syndrom. Das A für Anton, das B für Bennet. Mit der Zeit kamen mehr Metaphern dazu: „Die zwei Seiten einer Platte, oder der Weg von A nach B“, erklärt Seuss.

Ein Denkmal für die Stadt – eines von vielen

Die U8, das ist Berlin, sagen Beide. Einmal quer durch die Stadt verläuft die blaue Linie, von Neukölln bis nach Wittenau, oder andersherum, 18,1 Kilometer lang. „Vom Namen her ist die Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik meine Lieblingsstation“, sagt Bruch und Seuss pflichtet bei: „Allein das Wort: Nervenklinik! Da geht sofort die Inspiration los.“

So wie mit der ganzen Bahnlinie. Man trifft dort auf kürzesten Strecken alle: Mitte-Hipster, Familien, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, Obdachlose, Alte, Junge, Betrunkene, Nüchterne – ein Querschnitt der Stadt. Jede Station ist ein anderes Puzzlestück Berlins.

So ist auch die Musik von AB Syndrom, die sie selber als experimentelle elektronische Popmusik bezeichnen. Sehr beatlastig, am Computer produziert, und live auf der Bühne. Und Seuss' Stimme, die mal kalt und hart, mal weich und tröstlich daherkommt, mal rappt, mal singt. Die beiden Männer sind Berlin, ihre Musik ist es und jetzt ist Berlin auch AB Syndrom. Mit dem Lied über die U8 haben sie der Stadt ein Denkmal gesetzt.

Eines von vielen: Udo Lindenberg wollte mit dem Sonderzug nach Pankow, Marlene Dietrich hat noch einen Koffer in Berlin. Kraftklub wollten nicht, auch wenn es alle anderen wollen, und Seeed wussten „im Sommer tut's gut und im Winter tut's weh“. Es ist fast ein ungeschriebenes Gesetz: Wer in Berlin lebt oder gelebt hat, und Musik machen kann, der besingt die Stadt.

Über 200 Songs gibt es, in denen Berlin erwähnt wird – keine deutsche Stadt hat mehr Lieder, im europäischen Vergleich landet Berlin auf Platz 3, nach London und Paris. Und das neuste Stück kommt eben von den beiden Neuköllnern, deren Viertel David Bowie übrigens mal einen Song gewidmet hat.

Welche Sätze stehen für ihr Berlin?

Wie fast jeder, pflegen AB Syndrom eine leidenschaftliche Hassliebe zu Berlin. „Die Menschen werden hier aus ihren Wohnungen verdrängt, alles wird teurer, Lebensraum wird hier nicht geschützt“, sagt Seuss – den dieses Schicksal gerade ereilt: Eigentümerwechsel, die alten Mieter müssen raus, einer davon ist er.

„Und diese scheiß Malls“, ergänzt Bruch. „Dieser neue große Klotz an der Warschauer Straße geht gar nicht!“ Trotz allem ist die Stadt aber auch zeitgleich die große Liebe der beiden Männer: „Man kann von überall hierher kommen und sein Ding machen. Es gibt immer noch Freiräume in denen man sich austoben kann“, sagt Anton Bruch.

Wer über Berlin singt, muss Berlin auch viel beschreiben. Welche Sätze stehen für ihr Berlin? „Ich bleib oft lieber drinnen. Wo ist mein Büffelrudel-Sinn hin? I've been some time alone und ihr nehmt mich mit auf euren Thron“, summt Bennet Seuss – es sind Zeilen aus dem Song U8. Unverständlich, irgendwie. Aber so ist Berlin ja auch oft.

Julia Kopatzki

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