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SONNTAGS um zehn: Mit Gott und Preußenkönig

Erinnerung an 275 Jahre böhmische Zuwanderung.

Vor 275 Jahren standen ihre Zelte auf der Hasenheide: Böhmische Protestanten, die wegen ihres Glaubens in ihrer Heimat verfolgt wurden, fanden Zuflucht in Berlin. Der preußische König Friedrich Wilhelm I. siedelte sie an, zunächst in der südlichen Friedrichstadt und seit 1737 auch in Rixdorf, worauf heute noch der Name „Böhmisches Dorf“ hinweist. Und wo zwei Kirchengemeinden die Erinnerung an die Glaubensflüchtlinge von damals wachhalten: die evangelisch-reformierte Bethlehemsgemeinde und die Herrnhuter Brüdergemeine.

Am Sonntag trafen sich beide Gemeinden in der Französischen Friedrichstadtkirche auf dem Gendarmenmarkt. Zusammen mit der dortigen Hugenottengemeinde gedachten sie der Zuwanderung. „Wer heute belegen will, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, lenkt seine Blicke nach Neukölln“, sagte der Gemeindepfarrer der Hugenottenkirche, Jürgen Kaiser. „Wer aber den Hinweis geben will, dass Deutschland schon immer ein Einwanderungsland gewesen ist, der muss nach Rixdorf schauen.“ Und nachdem die Gottesdienstbesucher in guter, reformierter Tradition auf die zehn Gebote gehört hatten, erinnerte der heutige Pfarrer der Bethlehemsgemeinde, Bernd Krebs, daran, dass Friedrich Wilhelm I. Böhmisch-Rixdorf in nur drei Monaten errichten ließ. „Ich will besser nicht fragen, was heute geschehen würde, wenn plötzlich 700 Flüchtlinge auf dem Gendarmenmarkt stünden.“

Dann aber war es Zeit für Joel Ruml, dem aus Prag angereisten, obersten Geistlichen, dem sogenannten „Synodalsenior“ der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder. „Für die erste Generation der Flüchtlinge hat der erzwungene Abschied von der Heimat ein grausames Los bedeutet“, sagte Ruml. „Aber ihre Theologie war tragfähig.“ Die böhmischen Brüder hätten gewusst, dass sie bei ihrer Auswanderung nur die äußeren Bedingungen ihres Lebens verloren hätten. „Das Wertvollste, ihre Beziehung zu Gott, haben sie mitgenommen“, sagte Ruml. Flüchtlinge wie damals gebe es weiterhin, betonte der Synodalsenior. „Aber es gibt immer weniger Menschen wie den preußischen König, die bereit sind, denen einen neue Heimat zu geben, die heute eine neue Heimat suchen.“ Und während die Politik darüber diskutiert, wie Europa mit Armutsflüchtlingen aus Afrika umzugehen hat, machte Ruml gestern klar: „Christen werden niemals dabei helfen, die Löcher im Zaun zu stopfen.“ Benjamin Lassiwe

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