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SONNTAGS um zehn: Requiem für 36 Biker

In der Hedwigs-Kathedrale gedachten Motorradfahrer ihrer toten Kumpel

Aus der Ferne klingt es wie Donnergrollen, als die Maschinen eine nach der anderen auf den Bebelplatz in Mitte rollen. Ein bedrohliches Motorengeräusch, das später unter anerkennenden Blicken der Biker sein Echo im imposanten Orgelklang der St. Hedwigs-Kathedrale findet.

2000 Motorradfahrer sind gestern Vormittag bei bestem Bikerwetter am Olympischen Platz zu ihrer traditionellen Mahn- und Gedenkfahrt für verunglückte Motorradfahrer aufgebrochen. Schon zum 34. Mal ging es im stattlichen Korso stundenlang quer durch die Stadt zum ökumenischen Gottesdienst. In Deutschland sei das die Mutter aller Motorradgedenkfahrten, sagt Bernd Schade. Er ist Motorradpfarrer der evangelischen Kirche in Berlin und Brandenburg und froh über die rückläufige Zahl der auf den Straßen zu Tode gekommenen Biker. „Die 36 in diesem Jahr sind zwar immer noch 36 zu viel, aber letztes Jahr waren es sogar 50“, sagt er.

Quietschende Motorradstiefel und das Ratschen von Klettverschlüssen erfüllt das gut gefüllte Rund der katholischen Kirche. Wer keinen Stehplatz mehr findet, kann draußen über Lautsprecher zuhören. Rockerkutten sind keine zu sehen, einige haben ihre Kinder mitgebracht. Andreas Brodel, 37, aus Lichterfelde ist seit 1991 jedes Jahr dabei. In diesem Jahr hat er keinen toten Kumpel zu beklagen, ist auch nicht gläubig. Warum er gekommen ist? „Gehört sich einfach so“, lautet die einfache Antwort. So sieht das auch sein Banknachbar, der zum zweiten Mal teilnimmt. Er findet es besonders wichtig, an die Biker zu erinnern, die durch das Verschulden von Autofahrern gestorben sind. Das seien nachweislich die meisten, glaubt er. Die Autofahrer seien nicht böswillig, schränkt er ein, „aber die nehmen uns einfach nicht ernst“.

Elf der Toten sind in Berlin gestorben, 25 auf Brandenburgs Straßen, heißt es im Gottesdienst. Und – der Tod holt meist Männer vom Motorrad. Als alle 36 Namen in der stillen Kathedrale verlesen werden, sind nur drei Frauen dabei. Die Altersspanne reicht von 18 bis 69 Jahren.

„In diesem Gottesdienst suchen wir den Sinn des Fahrens und Unterwegsseins auf dem Motorrad und im Leben“, sagt der katholische Pfarrer Matthias Fenski zu Beginn. Und sein evangelischer Kollege Bernd Schade predigt später über die Frage: „Was ist der Tod?“ und erzählt eine gleichnishafte Geschichte aus dem Leben der Motorradfahrerehefrau Martina. Mit ihrer bildermalenden Tochter Janine macht sie sich darüber Gedanken, welche Farbe der Tod hat.

Zu Tränen gerührt sind die Trauernden unter den Bikern beim innigen Orgel- und Oboespiel von Kreiskantor Peter-Michael Seifried und Manuel Munzlinger. Dann wird Geld für die nächste Mahnfahrt gesammelt, viele stürmen schon vorher eilig raus.

Warum es solche Gottesdienste trotz steigender Zahlen bei tödlich verunglückten Radfahrern fast gar nicht gibt, kann sich Bernd Schade nicht erklären. Bei Motorradfahrern jedenfalls sei die Nachfrage nach göttlichem Segen enorm. Einzelfahrer seien ja völlig unterschiedliche Typen, meint der Motorradpfarrer. Aber für die in Clubs organisierten gelte sicher: Wenn ein Clan geordnet ist, muss oben auch ein Gott stehen. Gunda Bartels

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