zum Hauptinhalt
Dagoberts sagt, er wäre glücklich, zukünftig ohne die Begriffe Schnulze und Schlager auszukommen.

© Thomas Wochnik

Mit Musiker Dagobert durch Berlin: Unterwegs in einer Welt ohne Zeit

Dagoberts neues Album ist fertig. Allen Hörerwünschen genügen will er nicht. Vielleicht ist das Werk gerade deshalb so gelungen.

Groß, schlaksig, markante Gesichtszüge und Gewinnerlächeln: Beim Spaziergang mit Dagobert durch Berlin ist schwer zu erkennen, ob die vielen Blicke, die auf ihn gerichtet werden, seinem Bekanntheitsgrad oder seiner imposanten Erscheinung geschuldet sind. Schwarzer Mantel, glänzendes, sauber nach hinten gekämmtes Haar, hier und da etwas Stahl und unter dem Mantel ein Sweater aus dem eigenen Merchandise, mit seinem eigenen Gesicht darauf. Er selbst scheint es nicht zu bemerken – wohl aus Gewohnheit.

Der Sänger bewegt sich nämlich überwiegend zu Fuß, gern auch über längere Distanzen. Wie der klassische Flaneur ist er dabei aber nicht gekleidet. Im Grunde könnte er jederzeit vom Bürgersteig auf eine Bühne springen, würde vielleicht noch schnell mit dem Immer-dabei-Kamm durchs Haar fahren, und alles sähe aus wie von langer Hand geplant.

„Macht es euch bequem“, sagt Konrad Betcher und räumt einen Platz frei, auf den zwei erwachsene Menschen gerade so passen. Angekommen in den Räumen des Kreuzberger Studios von K.I.Z, der wütenden Hip-Hop-Formation mit provokativen Lyrics und politischer Kante, muss der 1,90 große Mann mehrfach den Kopf einziehen, um in den Aufnahmeraum zu kommen. „Voll nett, die haben uns hier einfach machen lassen“, erzählt Dagobert. Hier haben er und Produzent Konrad sein neues Album aufgenommen, nur die Klavierparts stammen aus einem anderen Aufnahmeraum. Ein Klavier wäre hier auch mangels Platz nicht unterzubekommen.

Volle Ladung Emotion, ohne Ablenkung

Beengte Platzverhältnisse bilden auch im übertragenen Sinne den Hintergrund von „Welt ohne Zeit“, dem neuen Album, das diesen Freitag erscheint. Beengt war zum einen der Assoziationsraum, den die Besprechungen seiner Vorgängeralben geschaffen hatten. „Ich wäre ganz glücklich, zukünftig ohne die Begriffe Schnulze und Schlager auszukommen“, erklärt er. Irgendwann habe er naiv die Frage nach seinen Einflüssen beantwortet, schnell sei daraus eine „sensationell langweilige“ Spekulationsblase geworden. Die Leute fragten sich, ob sein Auftreten ernst gemeint oder alles bloß ein Witz und bloße PR-Masche war. Das sei es nie gewesen, sagt er.

Irgendwelche Maschen und Gags haben sich dann bei der Produktion von „Welt ohne Zeit“ von vornherein verboten. Dem Schreiben der Lieder ging nämlich der Unfalltod eines nahen Freundes voraus, dessen Echo auch in die Schreibzeit und im Studio nachhallte. Auch darauf ist der im Vergleich dunklere Charakter des Albums zurückzuführen. „Ich wollte einfach die volle Ladung Emotion in diesem Album haben, ohne Ablenkung.“ Kleiner Aufnahmeraum, große Gefühle, denen viel Raum gegeben wird. Viele der Lieder beginnen mit langen abstrakten Synthesizer-Flächen, für die Betcher verantwortlich zeichnet. „Playlistunfreundlich“, sagt Dagobert, „aber so ist das halt“. Um sich ein Urteil über die Musik zu bilden, genügt es nicht, die ersten paar Sekunden zu hören. Man muss schon etwas dranbleiben.

Asynchrones Hören

„Wer versucht, allen Hörerwünschen zu genügen, hat sowieso schon verloren“, sagt er auf dem Weg zu Mille Petrozzas Wohnung. Wenn der Thrash-Metal-Titan und Kreator-Frontmann gerade andernorts weilt, gießt Dagobert aus Freundschaft seine Blumen. Anschließend geht (!) er von der Kreuzberger Wohnung zum Label „Staatsakt“, das am Rand von Prenzlauer Berg, fast Weißensee, liegt und wo die erste Auflage von LP und CD druckfrisch zur Begutachtung bereit liegt.

Dieser längere Atem, dem er sowieso mit Sympathie begegnet, ist beim aktuellen Album quasi Formkonzept. Der Inhalt bleiben die großen Gefühle. Die formale Langsamkeit aber als Qual auszudeuten, wäre völlig verfehlt. Wer es gewohnt ist, weit zu gehen, quält sich keineswegs bei längeren Märschen, die große Distanz ist positiv konnotiert. „Ich mag Alben", erklärt er entsprechend, also nicht nur einzelne Lieder, sondern echte Langspielplatten, in denen die Songs ein zusammenhängendes Ganzes ergeben, das man von Anfang bis Ende durchhören mag.

Wer sich den langen Atem antrainiert hat, hat, auch wenn es paradox klingen mag, vor allem eines: Zeit. Eben aus dieser Perspektive ist es die viel schneller rasende Umwelt, die keine hat, die „Welt ohne Zeit“ also. Und in dieser bewegt sich ein Dagobert irgendwie asynchron. Wer ebenso asynchron hören kann, wird hier reich beschenkt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false