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Berlin: Sprühende Landschaften

Nach der Streetart-Reise durch Mittelamerika und die Karibik: Jim Avignon und Holger Beier stellen aus.

Da schau her. Selbst ein Weltbürger aus dem Graefe-Kiez wie Jim Avignon weiß kaum was über Mittelamerika. Er habe gedacht, die Länder, die er im Februar und März zusammen mit seinem Kumpel Holger Beier auf Einladung des Goethe-Institutes Mexiko bereiste, ähnelten sich irgendwie. Ja, Pustekuchen, jedes sei ein eigener Kosmos, sagt er. „Ich hab’ das empfunden wie ein Computerspiel. Alle paar Tage auf ein neues Spielfeld gestellt werden, arbeiten und gleichzeitig gucken, wie das Land tickt.“ Arbeiten, das heißt bei Jim Avignon, Berlins wohl bekanntestem Exportartikel in Sachen Streetart, natürlich malen. Das haben er und Holger Beier auf ihrer Straßenkunst- Tournee zusammen mit rund 70 Künstlern aus Jamaika, Trinidad, der Dominikanischen Republik, Guatemala, Honduras, Nicaragua und Costa Rica gemacht. Wobei Holger Beier, der in den 90ern als DJ und Betreiber des Berliner Indielabels Bungalow Records zu Ruhm gelangte, und inzwischen als Kulturmanager in Brasilien – in Sao Paulo – lebt, mehr fürs Organisieren als fürs Pinseln, Sprayen oder Kleben zuständig war. Die Arbeiten, die bei der nicht nur vom Goethe-Institut finanzierten, sondern auch von den deutschen Botschaften unterstützten Aktion entstanden sind, stellen die beiden jetzt per Ausstellung, Videodokumentation und Buch in ihrer alten Heimat vor. Im Frühjahr hatte Jim Avignon darüber bereits fleißig für den Tagesspiegel aus Mittelamerika und der Karibik gebloggt. Freitag ist nun Ausstellungseröffnung, Buchvorstellung und Party in einem. In der Galerie Neurotitan im Haus Schwarzenberg, das als letztes unsaniertes Haus am Hackeschen Markt schön für eben den experimentellen Berliner Geist der Nachwendezeit steht, wie ihn die beiden in dieser subkulturellen Blütezeit geprägten Kulturarbeiter Avignon und Beier bei ihrem Projekt ins Ausland tragen.

Der Titel „De mi barrio a tu barrio“ kommt einem zwar spanisch vor, lautet übersetzt aber sehr berlinisch: „Aus meinem Kiez in deinen Kiez“, sagt Jim Avignon. Die Idee dahinter sei Grenzen niederzureißen, Künstler zu vernetzen, sie dazu zu bringen, sich als Teil einer Bewegung zu sehen. „Diese Region hat 150 Jahre bewegte Geschichte hinter sich, da gibt es untereinander sehr viel Misstrauen“, sagt Avignon. Und Holger Beier ergänzt, dass es hier ein immenses Signal sei, ausgerechnet Straßenkunst zu fördern. Honduras etwa, das auch als Station eingeplant war, musste kurzfristig wieder von der Reiseroute gestrichen werden, weil dort kurz vorher ein paar Straßenkünstler erschossen wurden. „In vielen Ländern ist es undenkbar, einfach eine Wand im Zentrum der Stadt anzumalen“, sagt Holger Beier. Und obwohl sie in der komfortablen Situation waren, nackte Wände und Bewerbungen interessierter Künstler über Botschaften und Goethe-Institut vermittelt zu bekommen, gab es immer wieder Überraschungen. Absagen der Malwände in letzter Minute wie in Jamaika, die Unmöglichkeit, literweise Farben wie Rot oder Gelb zu kaufen wie in der Dominikanischen Republik, feindselige Kollegen wie in Nicaragua, Steinwürfe auf eine Künstlerin mit feministischer Botschaft wie in Guatemala oder ganz banal, dass Künstler mit einer Superpräsentation im Internet sich beim öffentlichen Malen auf den rauen Wänden der schwülheißen Stadt plötzlich als Realitätsversager entpuppen, die kaum über eine Skizze hinauskommen. „Waschlappen an der Wand“ nennt der über jeden Machismo-Verdacht erhabene, aber überaus produktive Jim Avignon sie. Und falls das zu arrogant klingt, sei an dieser Stelle eingefügt, dass er und Beier Wert darauf legten, keinesfalls als arrogante Gringos aufzutreten, die den Kollegen da unten mal zeigen wollen, wie das mit der Streetart und der Freiheit der Kunst eigentlich geht.

Die hatte auf der Tourstation Costa Rica besonders viel auszustehen. Die „Schweiz Mittelamerikas“, wie Jim Avignon das Land mit seiner langen Tradition der Meinungsfreiheit nennt, hat für das Kunstprojekt die prominenteste denkbare Wand spendiert: die des Parlamentsgebäudes. Und was hat der costaricanische Künstler mit dem Namen Fralem draufgemalt? Einen Affen im Anzug, der raucht. Obwohl im Land gerade ein Rauchverbot erlassen wurde. Obwohl der Affe zufällig einem bekannten Politiker ähnelt. Das reichte für einen Eklat mit großer Aufregung bei Parlamentariern, Medien, Diplomaten, Volk und Künstlern. Die Zigarette musste weg, der Affe durfte bleiben – mit einen Strohhalm in der Hand. „Das Motiv war der größte Treffer der Tour“, amüsieren sich Avignon und Beier. Das ist Streetart, die bewegt. In Costa Rica ist der Affe so bekannt wie anderswo ein bunter Hund.

Galerie Neurotitan im Haus Schwarzenberg, Rosenthaler Straße 39, Mitte, Eröffnung samt Party am heutigen Freitag, 19 Uhr, Ausstellung bis 17. Ausgust, Monatg bis Sonnabend 12 bis 20 Uhr, Sonntag 14 bis 19 Uhr

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