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Heute spielt die Ska-Band, die man eigentlich nicht auf Ska reduzieren kann, im Postbahnhof beim "First We Take Berlin"-Festival innerhalb der Berlin Music Week.

© dpa

Berlin Music Week: Babylon Circus im Postbahnhof

Heute spielen im Postbahnhof die Ska-Musiker von Babylon Circus, die sich selbst nicht als solche sehen. Mit einer Mischung aus Ska, Reggae, Agit-Rock und Chansons wollen die neun Franzosen alles mögliche, nur eines wollen sie nicht: Eine Interpretation vorgeben.

“Wir lieben Berlin!“ sagt David Baruchel, „Uns scheint es so, dass es in Deutschland mehr Neugier gibt. Wenn wir in Deutschland Festivals spielen, merken wir immer, dass es unter den Zuschauern eine größere Mischung der Generationen und der Stile gibt.“

Baruchel ist der Sänger von Babylon Circus, einer in den neunziger Jahren in Lyon gegründeten, neunköpfigen französischen Ska-Band. Es ist aber eigentlich nicht richtig, sie einfach als „Ska-Band“ zu bezeichnen, denn die musikalischen Einflüsse von Babylon Circus sind vielfältig. Alles, von der Chanson Française bis zu The Clash, spielt in ihren Liedern eine Rolle, auch Reggae, Rock 'n' Roll und sogar Jazz kommt hinzu. Diese Mischung werden sie heute Abend in Berlin präsentieren, wenn sie im Postbahnhof beim „First We Take Berlin“ Festival spielen.

"Der Kern bleibt erhalten"

Letzte Woche hat die Gruppe ihr siebtes Album „Never Stop“ veröffentlicht, dessen Titel die ewige Flexibilität der Gruppe gut wiederspiegelt. Laut Baruchel ist es „ein bisschen mehr Rock als in den vorherigen Alben, ein bisschen brutaler.“ Wenn man die Platte mit den älteren, politischen Balladen der frühen Alben vergleicht, zweifelt man, dass sie von derselben Band gemacht wurden. Der Kern bliebe jedoch erhalten, meint Baruchel. Als Beispiel nennt er ein Lied vom letzten Album namens „Des Fois“. Es sei ein Liebeslied, meint er, aber es gibt auch noch ein Paar Zeilen, die auf Sarkozy hindeuten. „Es kommt darauf an, wie der Zuhörer es annimmt“ grinst er.

Diese Interpretationsfreiheit ist wichtig für Babylon Circus, besonders in Bezug zur politischen Seite ihrer Musik. Viele ihrer Lieder haben ein starkes politisches Element: France ta mère bezweifelt die idealisierte Vorstellung der Heimat, während L'huile sur le feu einen eloquenten Angriff auf den Krieg darstellt. Dennoch behauptet Baruchel: „wir wollen niemandem etwas aufdrängen, sondern einfach Vorschläge machen, und unsere Geschichte erzählen.“

„Die Musik ist politisch. Damit meine ich, dass sie die Leute zusammenbringt, dass sie ein Teil von jeder Kultur der Geschichte war, und dass sie die Leute aufregt. Wenn man auf der Bühne steht, erschafft man eine soziale Verbindung, und ich fürchte, sie geht in unserer Gesellschaft verloren. Politisches Engagement heißt für mich nicht, Anti-Kriegs-Lieder zu singen, sondern diese soziale Verbindung, die verschwindet.“

Ungewissheit vereinigt, Gemütlichkeit trennt

Diese Idee der Verbindung prägt die ganze politische Seite der Musik. Baruchel und sein Mitsänger Manuel Nectoux waren gerade an einem Projekt mit autistischen Kindern beteiligt – eine Erfahrung, die er als „konkreter als die wirtschaftliche Seite der Politik“ beschreibt. Die Idee stammt aus seinen Würzeln aber auch aus Croix-Rousse, dem Bezirk Lyons, wo die Band gegründet wurde. „In den neunziger Jahren war es ja noch lebendig. Es gab eine gute ethnische Mischung, viele Hausbesetzer. Als wir in den frühen 2000ern die Stadt verließen, war es schon ein bisschen bürgerlicher geworden.“

Haben laut Baruchel Gemeinschaften mit einer großen Bourgeoisie denn weniger Kontakt zu dieser sozialen Verbindung? „So in schwarz und weiß würde ich das nicht formulieren, aber auf jeden Fall stimmt es, dass, während die Ungewissheit vereinigt, die Gemütlichkeit trennt.“ („La precarite rassemble, le confort divise“)

Was uns wieder zum Thema Berlin zurückbringt. Es ist eine Stadt, die Baruchel und Babylon Circus wirklich lieben. „Sie ist ja so lebendig, alles bewegt sich in Berlin mehr als in anderen Städten. Ich erinnere mich, dass es viele Hausbesetzer gibt und generell viele Aktionen. Dazu ist es auch die billigste Hauptstadt, die ich in Europa kenne. Wegen dieser Atmosphäre haben wir Berlin immer geliebt. Es wäre schade, wenn es so gentrifiziert wird wie Lyon oder Paris.“

Morgen wird die Band nicht weit weg von der East Side Gallery spielen – ein Ort, der selbst zum Symbol der Gentrifizierung Berlins geworden ist. Baruchel hofft, dass seine Band ein bisschen dafür tun kann, die „soziale Verbindung“ in Berlin lebendig zu erhalten.

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