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Stadtleben: Fünf Sekunden berühmt

In sein Theater kommen oft nur fünf Zuschauer Jetzt ist Adolfo Assor fast so bekannt wie Paul Potts

Es riecht nach feuchtem Gemäuer. Eine steile Stiege führt unter die Erde. Unten, unter einem Kreuzberger Hinterhof, ist das Reich eines schmalen Mannes, dessen Gesicht seit kurzem Millionen Menschen kennen. Allerdings nicht aus dem kalten Keller, den Adolfo Assor Garn-Theater getauft hat, wo er Theaterdirektor, Bühnenarbeiter und -bildner, Beleuchter, Techniker und meistens auch der einzige Schauspieler in Personalunion ist. Sie kennen Assor vielmehr aus dem Telekom-Werbespot, in dem er sich wie ein Dutzend anderer Menschen eine Träne wegdrückt, weil Paul Potts die Opernarie „Nessun Dorma“ von Puccini singt.

Seit 18 Jahren hält Assor meist fünf Mal pro Woche einen abendfüllenden Monolog, zum Beispiel von Kafka. Oft schauen nur fünf Leute zu; wenn es hoch kommt, 20. „Damit kann ich leben“, sagt Assor, ein bisschen trotzig. „Also bitte, hier verdiene ich wenigstens soviel wie mit Hartz IV. Damit will ich nichts zu tun haben.“ Aber es reicht nicht. „Ich müsste mir die Zähne machen lassen“, sagt der 63-Jährige. „Aber das ist weit weg.“ Dabei hat der gebürtige Chilene schon in rund 70 Filmen mitgespielt und ist vor langer Zeit zum besten Schauspieler Chiles gekürt worden. In seiner Wahlheimat Deutschland blieb der Erfolg aus. Wegen seines Akzents, meint er.

Im Werbespot muss er nicht sprechen: „Mein Gesicht macht dreimal Popp-popp-popp und prägt sich ein“, sagt Assor. Man sieht ihn in einer Fahrradwerkstatt sitzen, die ebenso düster wirkt wie sein Kellertheater, und fernsehen. Plötzlich taucht auf dem Bildschirm der pummelige Paul Potts auf. Der Sänger wurde auf einen Schlag berühmt. Er verkaufte Millionen Platten, ließ sich die Zähne reparieren. „Aber was heißt das jetzt für mich? Nichts“, sagt Adolfo und klingt etwas verbittert. Er hat nur eine kleine Gage bekommen. Dabei sagt er immer wieder, wie unwichtig er Geld findet: „Das in-terrrr-es-ssiiiiiiiiiiert mich nicht.“ Es ist Adolfos Lieblingssatz. Seine Stimme beginnt dabei irgendwo im Keller eines Baritons, rollt das R und schraubt sich beim langen „iiii“ in die Höhen einer kratzigen Frauenstimme hinauf. Und es gibt so einiges, das ihn nicht „in-ter-es-ssssiiiiiiiiiiiert“: Förderung vom Senat für sein Theater, eine Festanstellung in einem Staatstheater, Theaterkritiken. Internet und Handys. Er hat keins und weiß auch nicht, wie man E–Mails abruft. „In-ter-es-ssssiiiiiiiiiiiert mich nicht“. Ebenso, bei Werbespots mitzuspielen: „Wäääh, wie laaangweilig.“ Er verzieht das Gesicht zu einer Grimasse und schüttelt heftig den Kopf. Springt auf und demonstriert nochmal mit dem ganzen Körper, wie blöd er „Schpotts“ findet – außer eben den einen, der ist immerhin nicht für Waschmittel. Warum also geht er manchmal zu Castings? Assor setzt zu einem langen Monolog an, der aber die Frage nicht beantwortet. Man kann sich denken, dass es mit seinem chronischen Geldmangel zusammenhängt.

Er kennt nur zwei Aggregatzustände: Entweder, er sitzt in sich zusammengefaltet auf einem Stuhl, den runden Rücken gebeugt, Arme und Beine verschränkt. Oder er springt auf, gestikuliert wild, läuft umher wie besessen. Egal in welcher Position – er hält unentwegt Monologe. Zum Beispiel über Monologtheater: „Das ist was Wunderschönes, Monologe sind das Ehrlichste, das es auf der Bühne gibt. Ich bin ein Monologmensch.“ Wahrscheinlich würde er sich gut mit Potts verstehen. Denn dessen Arien sind eigentlich auch nichts anderes als Monologe. Begegnet sind sie sich nie. Daniela Martens

Garn-Theater, Katzbachstraße 19, Kreuzberg, Telefonnummer 7895 1346

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