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Jean Michel Jarre

© promo

Jean Michel Jarre: Sauerstoffkur

Auftritt der Woche: Jean Michel Jarre spielt sein legendäres "Oxygène" im Friedrichstadtpalast.

Jean Michel Jarre im Friedrichstadtpalast, das klingt nach einem Missverständnis. Jarre steht im Guinness-Buch der Rekorde, weil er schon vor mehr als zwei Millionen Menschen gespielt hat. Pro Konzert, wohlgemerkt. Was also verschafft 2000 Berlinern heute Abend die Ehre? „Ich wollte das“, sagt der Mann, der mit 59 Jahren aussieht wie Ende 30. „Ich wollte noch mal die ganzen analogen Instrumente benutzen, mit denen die elektronische Musik begründet wurde. Das wird sehr intim, echt Plug & Play. Und absolut live, mit allen Risiken.“

Als er 1976 sein Album „Oxygène“ schrieb, hätten ihn die Plattenfirmen abblitzen lassen. „Was ist das denn, haben die gesagt: keine Texte, Nummern statt Titel, eine dauert zehn Minuten. Und dann fragte auch noch meine Mutter, warum ich mein Album nach einem Gas benenne.“ Bis heute hat Jarre 60 Millionen Alben verkauft. Zuletzt war ein bisschen Allerweltsgehopse dabei, aber davor: zwei Jahrzehnte lang gefühltes Weltkulturerbe. „Oxygène“ und „Equinoxe“ sowieso. „Chants Magnétiques“, „Chronologie“, „Rendez-Vous“? Doch, auch. Da zirpt und blubbert der Beweis, dass es irgendwo da draußen Leben gibt. Oder zumindest heiße Quellen, die wir ohne Jarre nie entdeckt hätten. „Ich war damals – und bin es eigentlich immer noch – besessen von der Idee, genau das Gegenteil von dem zu machen, mit dem deutsche Bands wie Kraftwerk oder Tangerine Dream berühmt geworden sind“, sagt er. „Für mich ist elektronische Musik nicht entmenschlicht, kalt und roboterhaft. Sondern organisch, sensitiv. Meine Musik eignet sich ja für Freiluftkonzerte. Dass ich diesmal drinnen spiele, ist nur zu Ehren der Instrumente.“

Die Botschaft in Jarres Musik ist frei wählbar. Öko-Fragen waren ihm immer wichtig, der Schädel in der angeschlagenen Weltkugel auf dem Oxygène-Cover zeigt es. Aber: „Möglicherweise habe ich in einigen Ländern zur Steigerung der Geburtenrate beigetragen. Ich weiß, dass eine Menge Menschen bei dieser Musik Sex hatten. Aber die Leute verbinden völlig unterschiedliche Dinge mit Oxygène: Im Ostblock wurde meine Musik als Symbol der Raumfahrt wahrgenommen; anderswo haben Psychoanalytiker sie für ihre Therapiesitzungen benutzt. Dann gibt es die ganzen Filme, Werbung, Hochzeiten …“

Bleibt die Frage, was noch kommt. Etwas ganz anderes vielleicht? „Das erwarten die Medien wohl. Aber ob du die Beatles nimmst, Dalí, Wagner oder Fassbinder: Die erzählen uns immer das Gleiche, ihr Leben lang. Wenn ein Künstler etwas zu sagen hat, dann eines.“

Als Jarre 2004 zum zweiten Mal in China auftrat – und als erster westlicher Musiker in der Verbotenen Stadt –, hat er etwas gesagt: Liberté, Egalité, Fraternité. Auf Chinesisch. Es war das Motto der Studentenproteste von 1989, die der Staat mit Panzern niederwalzte. „Eine Milliarde Menschen haben im Staatsfernsehen zugeschaut. Als Nicht-Chinese konnte ich das machen. So etwas sollten Künstler tun: Hinfahren und sagen, was zu sagen ist, statt in irgendwelchen Cafés in Paris oder Berlin zu sitzen und zu Boykotten aufzurufen. Oder die Welt zu belehren – am besten noch, wenn sie gerade ein neues Album rausbringen. Das ist doch ekelhaft!“

So streng ist Jarre sonst nicht. Stattdessen sagt er viel Nettes über Berlin, wo er zur Zeit des Mauerbaus seinen Cousin besucht hat, der hier für die Versorgung der französischen Alliierten zuständig war. Seit der Wende war Jarre zweimal hier: 1993 in der Waldbühne, in der ein Drittel der Plätze von seiner „Chronologie“-Multimediashow mit haushohen Leinwänden belegt war. Später eine Nummer kleiner in der Deutschlandhalle. Und diesmal mit kleiner Show nach Hausmacherart. „Ich habe hart an der Szenografie gearbeitet, mir alles selbst ausgedacht. Ohne bombastische Effekte, aber mit ein paar kleinen Überraschungen.“ Wenigstens einen oder zwei halbe Tage will Jean Michel Jarre sich Zeit nehmen für Berlin. Mindestens: „Seit Jahren träume ich von einem Mega-Freiluftkonzert vor dem Reichstag. Aber irgendwie kam immer was dazwischen.“ Die deutschen Behörden waren es nicht, versichert er.

Es gibt noch wenige Karten für 67 bis 83 Euro, die Theaterkasse des Friedrichstadtpalasts ist heute ab 10 Uhr geöffnet. Das Konzert beginnt um 20 Uhr.

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