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© Doris Spiekermann-Klaas

Kunsthaus: 20 Jahre Tacheles: Kampf um die antibürgerliche Existenz

Vor 20 Jahren besetzten Künstler eine Kaufhausruine in Ost-Berlin – die Geburtsstunde des Tacheles Heute ist das Kunsthaus in seiner Existenz bedroht. Der Mitte-Mythos zieht nicht mehr.

Leo spricht sehr leise. Er behält seine Wollmütze auf und die Jacke an. Wer ins Tacheles geht, macht das so. Auch nach 20 Jahren gibt es keine Zentralheizung, nur Propangasflaschen, wenn man Geld dafür übrig hat.

Leo geht durchs Haus, trifft auf Bekannte, die sich irgendwie durchs Leben schlagen, mit Berlin-Collagen, die sie an Touristen verkaufen, mit Musik, die sie an Freunde verschenken, weil die Aufnahme irgendwie verkorkst ist.

Oben, im blauen Salon, der längst nicht mehr blau ist, hängen noch die Strippen von Clemens, dem Maler und Elektriker, der irgendwann bei Paris mit dem Auto verunglückte. Tödlich. Viele, sagt Andreas, der Tacheles-Fotograf, seien nicht mehr am Leben oder anderweitig verschollen. Viele von den Pionieren, die das Tacheles gründeten, die Ruine besetzten, am 13. Februar 1990.

Leo ist noch da. Ein scheuer Mensch. „Schwer zu kriegen“, sagt Tatjana, die befreundete Musikerin. Leo hatte damals die Idee, das für vogelfrei erklärte Gebäude, den letzten Stumpf eines ehemals mondänen Einkaufstempels, der sich von der Oranienburger Straße bis an die Friedrichstraße erstreckte, als selbstverwaltetes Künstlerhaus umzugestalten. Der Sprengmeister hatte schon die Bohrlöcher gesetzt, also ein ost-west-gemischter Aktivistentrupp aus Künstlern, Sozialutopisten und Radikalanarchisten im ausrangierten Feuerwehrauto vorfuhr und die Ruine in Beschlag nahm.

Erst eine Woche später, so erzählt es Leo, kam die Volkspolizei vorbei, um die alte Ordnung wiederherzustellen. Es entspann sich ein kurzer Dialog über die Frage, wem das Haus gehört, Thyssen, Krupp, den Bonzen des Kapitals oder eben den Besetzern. Am Ende, so erinnert sich Leo, salutierte der Volkspolizist und rief: „Wir kennen uns nicht.“ So ging das damals, in der Blüte der Wendezeit.

Das Feuerwehrauto war der Tourbus der Band „Tacheles“. Daher der Name. Die Band existiert noch, sagt Leo, allerdings eher im Verborgenen.

In der Ruine gab es ein altes Kino und Lagerräume „mit tausenden Leuchtstoffröhren“, sagt Leo. „Früher wurden hier russische Kriegsfilme gedreht“, erinnert sich Andreas. Geschlafen haben die Besetzer nebenan in einem ungenutzten Wohnhaus, das später abgerissen wurde. Heute steht hier ein Neubau mit Hotel und einer Filiale des Weinrestaurants Lutter & Wegner. Anfangs kochten die Tacheles-Leute in einer Gemeinschaftsküche. „Niemand musste was bezahlen“, sagt Leo. Das Tacheles fand viel Anklang bei Medien und in der Politik. Doch im Haus knirschte es bald zwischen Autonomen aus dem Westen, „die sich verbarrikadieren wollten gegen den Staat“ und Leuten, die eher unpolitisch ihrer Kunst nachgingen. „Es bildeten sich Strukturen, ein Verein, das Café Zapata.“ Als die Strukturen einzogen, verließ Leo das Haus. Wie die meisten seiner Freunde.

Andreas porträtierte die Tacheles-Künstler und schrieb schon 1992 in einem Fotobuch den Abgesang auf das Haus. „Die Ideale sind ruiniert. Rettet die Ruine.“ Und die nächsten 18 Jahre?

Bis 1994 regierte im Haus vor allem Jochen Sandig, der Partner der Tanzchoreografin Sasha Waltz und künstlerische Leiter des Radialsystems. Öffentlich äußern möchte sich Sandig aber nicht. Könnte ihm vielleicht schaden, deutet eine Sprecherin an, denn die Berliner Kulturpolitik und das Feuilleton haben das Tacheles längst abgeschrieben. Zu Sandigs Zeiten war das anders. Kultursenatoren versprachen Hilfe im Kampf gegen die meistbietende Verwertung des Grundstücks. Wichtige Kulturevents und Partys fanden hier statt. Sogar Rita Süssmuth besuchte das Haus. Als sie drinnen war, fiel der Strom aus und ein Leibwächter warf sich über die Politikerin. So erzählt es Andreas. Man habe sich anschließend aber sehr gut mit Süssmuth unterhalten.

Nach Sandigs Weggang verstrickte sich die Tacheles-Mannschaft immer tiefer in interne Grabenkämpfe. Zwischen den verfeindeten Parteien kommunizierten jahrelang nur noch die Rechtsanwälte. Es ging – und das darf einem Kunsthaus nicht passieren – fast ausschließlich ums Geld. Heute, so empfindet es Leo, gleiche das Tacheles eher einem Basar.

Die jetzige Leitung des Hauses versucht verzweifelt, die Gunst der Politik zurückzuerobern und das Ansehen wiederherzustellen. Es geht diesmal wirklich um die Existenz, denn der Eigentümer der Immobilie, die HSH Nordbank, hat die Räumung angekündigt. Der Tacheles-Verein kann die ortsübliche Gewerbemiete nicht zahlen. Zehn Jahre lang kostete die symbolische Miete fürs Haus 50 Cent im Monat. Das war erschwinglich.

Braucht jemand noch das Tacheles? Die Oranienburger Straße hat sich zu einer profitablen Touristenmeile entwickelt. Ohne die Reizstimulation einer weithin bekannten Ruine wäre dieser Aufstieg nicht möglich gewesen. Eine lebendige Ikone der geschundenen Stadt Berlin, ein Mahnmal der Nachkriegszeit, auch das ist das Tacheles.

Deshalb steht es unter Denkmalschutz. Nur die Nutzer haben keinen Bestandsschutz auf das trashige Chaos, in dem sie sich eingerichtet haben. Leo findet, das Künstlerhaus, und sei es nur noch ein Kuriosiätenbasar mit angeschlossener Schutthalde, müsse unbedingt erhalten bleiben. In diesem eisenhaltigen, buntscheckigen, plakatverklebten Haus nistet das Antibürgertum so friedlich mitten in der blank polierten Investorenwelt, das gibt es weltweit nur einmal. 


Chronik des Tacheles: 

SHOPPINGCENTER

Das Tacheles ist der letzte Rest der 1909 eröffneten Friedrichstadtpassagen. Die Kunden strömten durch die glasüberdachte Passage, die von einer Kuppel gekrönt wurde. Bezahlt wurde an einer zentralen Kasse. Die Abrechnungen wurden über eine 20 Kilometer lange Rohrpostanlage verschickt. Im Krieg blieb es intakt;

ab 1980 wurde gesprengt – Ost-Berlin wollte das Areal großflächig neu bebauen. Im Jahr 1990 wurde das Tacheles besetzt.

GEBURTSTAGSFETE

Das Tacheles feiert den 20. Gründungstag mit einer „Gala“ und einer Werkschau. 46 Künstler aus 18 Ländern zeigen ihre Arbeiten. Eröffnung ist am 13. Februar ab 19 Uhr.

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