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Martensteins Expeditionen: Prominent in Pankow

Schriftsteller, Politiker, Schauspieler, Musiker: Früher wohnte hier die Elite der DDR, heute die Elite der Hauptstadt. Auf Entdeckungsreise mit Harald Martenstein.

Im April 2008 wird es übrigens 25 Jahre her sein, dass Udo Lindenberg seinen Song „Sonderzug nach Pankow“ herausbrachte. Zu diesem Jubiläum soll ein echter Sonderzug, Lindenberg and friends, im S-Bahnhof Pankow einlaufen, die Bäume werden endlich wieder den ersten Schimmer von Grün tragen, man wird sich erinnern, und man wird sehen.

Warum ist eigentlich ausgerechnet Pankow zum Beverly Hills von Berlin geworden? Pankow hat den Vorstadtcharme. Der Vorstadtcharme besteht aus mittelgroßen Häusern, aus zahlreichen Bäumen und aus gelegentlichen Baulücken. Am Rande verliert sich die Vorstadt in Parks und Gärten. Ein Vorstadtcharme besteht sozusagen aus einer Vorahnung. Zu ahnen ist die nahe Großstadt. Anspruchsvolle, nervöse Menschen, deren hochkomplizierte Lebenswege sie morgens und abends ins Zentrum führen, bewohnen die Vorstadt. Abends möchten sie unbedingt Kaninchen beim Hoppeln zuhören.

Hier eine Liste von berühmten Menschen, die in Pankow wohnen, in Pankow gewohnt haben oder dort geboren sind, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Erste Abteilung, Künstler, tot. Hanns Eisler, Arnold Zweig, Stephan Hermlin, Carl von Ossietzky, Ernst Busch, Johannes R. Becher, Heiner Müller, die Brüder Skladanowski, Käthe Kollwitz, Wolfdietrich Schnurre, Heinz Knobloch, Hans Fallada.

Zweite Abteilung, Filmstars, deren Karriere in der DDR begonnen hat. Winfried Glatzeder, Eva-Maria Hagen, Manfred Krug, Corinna Harfouch, Henry Hübchen, Michael Gwisdek.

Dritte Abteilung, Schriftsteller, lebend. Christa Wolf, Christoph Hein, Monika Maron, Volker Braun.

Vierte Abteilung, DDR-Politiker, tot. Walter Ulbricht, Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl, Erich Honecker.

Fünfte Abteilung, Politiker von heute. Jürgen Trittin, Gregor Gysi.

Sechste Abteilung, Film- und Fernsehschaffende. Jasmin Tabatabai, Nora Tschirner, Jörg Thadeusz, Christiane Paul, Maria Schrader, Detlef D! Soost.

Zu den Besonderheiten von Pankow gehört, dass sich dort, wie ein Eintrag in seinem Tagebuch beweist, am 20. Mai 1778 der Dichter Goethe aufgehalten hat, woran aber, wie es in Ralph Hoppes Buch „Pankow im Wandel der Geschichte“ leicht irritiert heißt, keine einzige Gedenktafel erinnert. Pankow ist vermutlich der einzige Ort der Welt, der einen Aufenthalt Goethes ignoriert, und zwar deshalb, weil Pankow es nicht nötig hat. Sie haben einfach genug eigene Dichter.

Es wäre ohne weiteres möglich, die gesamte Kultur, die Filmindustrie und die Politik eines mittelgroßen Landes, sagen wir mal so etwas wie Dänemark, vollständig aus den Bordmitteln des Berliner Stadtteils Pankow zu bestreiten. Solch ein Pankowland müsste sich im internationalen Vergleich nicht verstecken. Man könnte außerdem Stadtpläne von Pankow herstellen, auf denen die Villen oder die Wohnungen der lebenden oder toten Stars mit Sternchen gekennzeichnet sind. Die Touristen könnten dann in Pankow umherfahren und sich die Wohnsitze betrachten. So werden die Dinge jedenfalls in Beverly Hills gehandhabt. In Deutschland würde man damit vermutlich juristische Probleme bekommen.

Nicht weit vom S-Bahnhof entfernt, in der Kissingenstraße, liegt die Rosa-Luxemburg-Oberschule, demnächst 100 Jahre alt. Von außen sieht die Schule ein bisschen verratzt aus, innen dagegen wirkt sie wie vorgestern renoviert. An dieser Schule hat die Moderatorin und Schauspielerin Nora Tschirner, geboren 1981, in der Theatergruppe gespielt und im Jahre 2000 das Abitur bestanden. Von Nora Tschirner ist bekannt, dass sie Britney Spears für einen der romantischsten Menschen der Welt hält, dass sie beim Kiffen immer umfällt und kein Koks verträgt. Zumindest behauptet sie dies in Interviews. Außerdem hat Nora Tschirner Sätze gesagt, die das Zeug zum Klassiker haben: „Frauen haben genauso oft einen an der Waffel wie Männer. Eine Komödie braucht krasse Charaktere. Ich rede zu viel.“

Auf der anderen Seite des S-Bahnhofs, in der Grunowstraße, befindet sich das Café Nord, wo es Fasanenbrust gibt und österreichische Weine. Der Fernsehmoderator Jörg Thadeusz hat einmal in einem Pankower Café die Schauspielerin Christiane Paul zum Interview getroffen, es hat ihm in der Gegend so gut gefallen, dass er beschloss, ebenfalls hin zu ziehen. Christiane Paul hat eine Doktorarbeit über Einflussfaktoren auf die periooperative Morbidität und Mortalität in der primären Hüftendoprothetik geschrieben und dabei 628 künstliche Hüftgelenke untersucht, sie hat gesagt: „Wenn man etwas tut, dann macht man es richtig oder lässt es bleiben.“ Jörg Thadeusz dagegen hat Flugangst und stellt sich beim Moderieren gern schöne Frauen vor.

Das Treffen könnte im Café Nord stattgefunden haben, warum nicht? In regelmäßigen Abständen öffnet sich die Tür und eine Schwangere betritt das Café, am Ende sind es vier Schwangere, dazu drei alleinstehende, zeitunglesende Herren um die 40 sowie eine Gruppe von Frauen, die offenbar noch nicht schwanger sind und die alleinstehenden Herren interessiert mustern. Es heißt, Kinderlose, die sich in Berlin niederlassen, ziehen erst mal nach Mitte, beim ersten Kind verlegen sie den Wohnsitz nach Prenzlauer Berg, beim zweiten Kind geht es ab nach Pankow. 50 Meter vom Café Nord entfernt wartet eine weitere gastronomische Einrichtung auf Besucher, das „Parkidyll“, welches sich selbst als „Restaurant mit Bowling und Sauna“ bezeichnet. Pankow ist definitiv die einzige Gegend von Berlin, wo man zwischen zwei Saunagängen bowlen kann.

Christa Wolf und ihr Mann Gerhard könnten das jederzeit auch tun, sie wohnen nur ein paar Meter weiter, am Amalienpark, in einer der schönsten Straßen von Berlin, deren Charakter mit „großbürgerlich“ noch zurückhaltend beschrieben ist. Von dort läuft man durch eine Gegend, die stark an das bei Dichtern ebenfalls beliebte, im Westen liegende Friedenau erinnert, vielleicht wegen der kleinen Vorgärten. Das Ziel heißt Majakowskiring.

Wladimir Wladimirowitsch Majakowski, russischer Revolutionsdichter, der sich 1930, mit 37 Jahren, aus Liebeskummer ins Herz geschossen hat, wegen einer Tatjana, unter Hinterlassung eines knappen Briefes: „Wie man so sagt, der Fall ist erledigt.“ Der Majakowskiring erzählt die gleiche Geschichte wie der Roman „Farm der Tiere“ von George Orwell, der darin 1943 seine Erfahrungen mit dem Stalinismus verarbeitete. In „Farm der Tiere“ setzen die Tiere auf einem Bauernhof den Bauern ab und proklamieren im Namen der Freiheit das neue Gesellschaftssystem „Animalismus“. Am Ende errichten die Schweine mithilfe der Hunde eine Diktatur und übernehmen das Bauernhaus, während die übrigen Tiere härter unterdrückt werden als zuvor. In der DDR war „Farm der Tiere“ verboten.

Der Majakowskiring hieß ursprünglich teils Viktoriastraße, teils Kronprinzenstraße und war bis 1945 ein beliebter Wohnsitz für Großindustrielle, nach deren Entmachtung hat der sozialistische Adel die Villen der Großbourgeoisie einfach übernommen wie die Schweine in „Farm der Tiere“ das Bauernhaus. Wenn wir wohnen Seit an Seit: Familie Ulbricht saß in Hausnummer 28, Wilhelm Pieck in Nummer 29, Kulturminister Becher kriegte die 34, Erich Honecker die 58. In den frühen 60er Jahren verlagerte sich diese Szene in das leichter zu bewachende und den Augen der Bevölkerung weniger ausgesetzte Wandlitz, Pankow wurde Botschaftsviertel, Nummer 2 aber blieb Gästehaus der Regierung und beherbergte unter anderem Fidel Castro. Die Villa der Ulbrichts wurde, um die Erinnerung an den Vorgänger zu tilgen, unter Honecker gesprengt, 1975. Die Sprengung von Bauwerken, die unerwünschte Erinnerungen hervorriefen, galt in der DDR generell als ein erfolgversprechendes Rezept der Stadtgestaltung. Ulbrichts Witwe wurde immerhin nicht mitgesprengt, so weit war der Humanismus inzwischen gediehen. Lotte Ulbricht bekam ein anderes Haus zugewiesen, die Nummer 12.

Das Gerücht, Majakowski habe sich gar nicht umgebracht, sondern sei liquidiert worden, als er anfing, sowjetkritische Stücke zu schreiben, will bis heute nicht verstummen. Die Kulturschaffenden der DDR jedenfalls siedelten nach dem Krieg rund um das neue Machtzentrum am Majakowskiring herum wie Planeten, die um ihre Sonne kreisen. Der Sänger Ernst Busch wohnte in der Leonhard-Frank-Straße 11. „Dem Faschisten werden wir nicht weichen, schickt er auch die Kugelhagel dicht!“ So klingt Ernst Busch. Der Dichter Fallada wurde von Becher 1945 im heutigen Rudolf-Ditzen-Weg einquartiert. Rudolf Ditzen ist der Geburtsname Falladas. Er starb allerdings schon 1947.

Um die Ecke, in der Grabbeallee bei Manfred Krug, trafen sich 1976/77 die Unterstützer Wolf Biermanns, die meisten von ihnen reisten in den folgenden Monaten aus. Das Haus von Otto Grotewohl wurde nach der erfolgreichen Ausbürgerung Biermanns von der Regierung in einen Literaturklub verwandelt. Der Klub sollte eine Belohnung für den staatstreuen Teil der DDR-Intelligenz darstellen. Heute wohnt in dem einstigen Otto-Grotewohl- und Anti-Biermann-Haus die Schauspielerin und Musikerin Jasmin Tabatabai mit ihrer Tochter. An dem Gebäude, das von außen, ehrlich gesagt, ein bisschen langweilig wirkt, wird gebaut, die Familie hat sich erst mal hinten im Gartenhaus einquartiert. Von Jasmin Tabatabai stammt der Satz: „Ein 40-Jähriger mit einer Fuck-off-Haltung ist nur noch traurig. Irgendwann muss man sich weiterentwickeln.“

Nach Großkapital und Nomenklatura erobern jetzt vielleicht, als dritte Generation, Showbiz und Promi-Boheme den Majakowskiring, entspricht das den neuen Machtverhältnissen? Überall sind neue, architektonisch ambitionierte Villen entstanden, hier hat man nicht nur Geld, auch Geschmack ist vorhanden. Treffpunkt des, falls man es so nennen möchte, Kiezes ist das distinguierte Restaurant Majakowski, Leber mit Püree 16 Euro. Aber gut. Am Nebentisch telefoniert an seinem Handy ein Mann stark berlinernd, über irgendeinen Deal, er brüllt „dit is ne autjesorste Kapitaljesellschaft, verstehste“, so laut, dass es einem fast die gebratenen Zwiebeln von der Leber weht.

Im ehemaligen Haus von Wilhelm Pieck, dem ersten DDR-Präsidenten, sitzt jetzt eine Firma mit dem Namen „Rollmops – das Rollstuhlmobil“. In Erich Honeckers früherer Villa befindet sich „Kulti – das Freizeithaus für Kinder“.

Die Frage „warum?“ aber steht immer noch ungelöst im Raum. Pankow ist ja nicht so völlig anders als Dahlem, Köpenick oder Zehlendorf, von denen aber keines auch nur annähernd die kulturell-politische Bedeutung von Pankow besitzt.

Telefonanruf bei Jürgen Trittin, dem ehemaligen grünen Umweltminister, der sich gerade im Kosovo aufhält. Trittin fährt gerne mit dem Fahrrad in seinem Pankow herum, bekennt sich oft und gerne zur Pankower Lebensqualität und besucht gelegentlich das Café Garbáty, das bei der Bezirksverwaltung unbeliebt ist und geschlossen werden soll, aber von den Pankowern ebenso leidenschaftlich verteidigt wird wie der Flughafen Tempelhof von den West-Berlinern. Trittin sagt, von Pankow aus sei man wunderbar rasch an der Friedrichstraße, am Reichstag oder in Prenzlauer Berg, während es in Pankow selber schön ruhig und grün sei, übrigens auch politisch, die Grünen liegen in Pankow vor der CDU. Ansonsten, falls er etwas Kritisches anmerken dürfe, sei das soziale Leben natürlich nicht so stark entwickelt wie beispielsweise in Mitte. Zum Essen, in die Kneipe oder ins Kino gehe er, trotz Garbáty, meistens woanders hin.

Das Geheimnis der Vorstadt besteht darin, dass man sie schnell und ohne große Reue verlassen kann.

Martensteins Expeditionen in Berliner Ortsteile erscheinen in loser Folge. Das nächste Mal erforscht er Moabit.

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