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Stadtleben: München liegt an der Invalidenstraße

Das Skelett muss noch warten, das ist es gewohnt. Vergilbt hängt es am Gestell, früher unvermeidliche Grusel-Dekoration fürs Behandlungszimmer eines Mediziners von Rang.

Das Skelett muss noch warten, das ist es gewohnt. Vergilbt hängt es am Gestell, früher unvermeidliche Grusel-Dekoration fürs Behandlungszimmer eines Mediziners von Rang. Auch sonst gibt es wenig im Raum, woran das Auge sich laben könnte: eine Reproduktion der Sixtinischen Madonna? Die Farben sind längst ausgeblichen. Die Krankenliege? Hässlich und unbequem. Die düsteren Aktenschränke, die medizinischen Gerätschaften von unklarer, bedrohlicher Funktion, die bereitliegenden Tupfer? Ein verstörtes Kindergemüt nur noch mehr einschüchternd. Kurz: ein Ort des Schreckens, nicht der Hoffnung, beklemmend, selbst wenn noch nichts geschieht. Erst später wird hier ein Arzt der uralten Schule einen kleinen Jungen mit seiner fragwürdigen Kunst vor laufender Kamera traktieren, das Kind wird schreien, während draußen im Flur die unruhig wartende Mutter aufspringt und ihm zu Hilfe eilt – aber diese Szene ist schon im Kasten, war vor der Mittagspause dran.

Dreharbeiten, gewiss, in Berlin fast Alltag, aber so häufig kommt es auch nicht vor, dass ein hiesiger Ort, in diesem Fall das historische, von der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät der Humboldt-Universität genutzte Gebäude in der Invalidenstraße 42, eine Münchener Klinik Mitte der sechziger Jahre darstellt. Zwar fände sich ein passender Drehort gewiss auch an der Isar, aber die Großstadtszenen zu dem von der Produktionsfirma Teamworx in Szene gesetzten ARD-Zweiteiler „Der kalte Himmel“ werden nun mal alle in Berlin gedreht. Hier spielen große Teile der Handlung um den kleinen Felix, der abwechselnd von den achtjährigen Zwillingen Marc und Eric Hermann dargestellt wird – für Regisseur Johannes Fabrick schon deswegen ein Glücksfall, da sich so die für Kinder nur begrenzt erlaubte Drehdauer verdoppelt.

Die Zuschauer werden die beiden nicht auseinanderhalten können, ihrer Filmmutter Christine Neubauer aber gelingt das mittlerweile. Der eine sei etwas aktiver, der andere passiver, erzählt die Bambi- und zweifache Grimme-Preisträgerin in einer Drehpause. Im Film – einen Sendetermin gibt es noch nicht – fügen sich die Zwillinge dann zu Felix zusammen, einem Jungen aus der oberbayerischen Hopfenregion mit beunruhigend-verschlossenem Verhalten, auf dem Lande bald als Dorfdepp oder gar Besessener abgestempelt und vom untersuchenden Münchner Professor als hoffnungsloser Fall abgehakt, Autismus war damals noch ein Rätsel. Die Mutter aber kämpft weiter, findet Kontakt nach Berlin, zu einem jungen Kinderpsychiater, der sich des Jungen annimmt und seine hohe mathematische Begabung erkennt. Heilen kann auch er ihn nicht, aber er weist eine Richtung, wie Felix trotz Krankheit sein Leben meistern könnte.

Ein Fall von „tiefer Tragik“, so beschreibt Regisseur Johannes Fabrick die Geschichte der Beziehung zwischen Mutter und Kind. Die Mutter liebe, ohne auf ein emotionales Feedback hoffen zu können. Dokumentarfilme zum Autismus hat er sich angesehen, mit Ärzten gesprochen und auch mit Patienten. Einer habe sogar mitgeholfen, die mathematischen Fähigkeiten des Jungen, sein Umsetzen von Musik in Zahlenreihen begreifbar zu machen.

Tragik – mit diesem Wort beschreibt auch Christine Neubauer ihre Figur, aber es sei nicht eine der großen dramatischen Gesten, vielmehr eine der reduzierten Zwischentöne, der subtilen Darstellung, das mache die Rolle schwierig.

Bevor sie Schauspielerin wurde, anfangs auf der Bühne, später im Fernsehen und Kino, hatte sie zwei Semester Psychologie studiert, das helfe ihr jetzt bei der Rolle. Aber es helfe eigentlich immer, gehe es ihr doch stets darum, „das Psychogramm einer Figur zu erstellen, ihre psychologischen Motive und Beweggründe zu erarbeiten“. In der aktuellen Szene die einer Frau aus der Provinz, zum ersten Mal an solch einem einschüchternden Ort wie der Universitätsklinik, auf der Wartebank in einem Flur von beklemmender Atmosphäre, durch den Schwestern in weiß-grauen Uniformen, das frisch gestärkte Häubchen auf dem Haar, Patienten schieben, während nebenan mit dem Jungen wer weiß was geschieht. Ein wenig gebeugt sitzt sie auf der Bank, die Beine zusammengepresst, nicht gerade elegant gekleidet, das Haar streng zurückgekämmt. Unsicherheit ist zu spüren, aber man ahnt, dass sie erbittert für ihr Kind kämpfen wird. Plötzlich hat sie etwas gehört, ein Weinen vielleicht, einen Schrei, schon springt sie auf, eilt davon – „... und cut!“

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