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Wagner

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Ratgeber für Arbeitslose: Leben mit Hartz IV - Gut drauf statt arm dran

Kann man gleichzeitig auf Hartz IV sein und auf Bali? Na klar, meint der Autor Bernd Wagner. In seinem Buch "Berlin für Arme" gibt er Tipps, wie man sich mit wenig Geld durchschlägt.

Kann man gleichzeitig auf Hartz IV sein und auf Bali? Na klar, sagt Bernd Wagner. Er war ja gerade selber wieder da. Schön sei es gewesen für einen wie ihn, dem die Berliner Wintersuppe auf Dauer stärker auf den Magen schlägt als jede Sarrazin-Diät. Jetzt ist er frisch gestärkt für die bevorstehende Premiere seines Buches. „Berlin für Arme“, heißt es, Untertitel: „Ein Stadtführer für Lebenskünstler“. Es hätte auch nach der einen oder anderen von Wagners Lebensweisheiten heißen können, beispielsweise: „Man kann Enten nicht nur füttern, sondern auch futtern.“ Auch die vom Wannsee.

Dessen Wasser spülten die Buch-Idee gewissermaßen vor Wagners Füße. Bei einem Sonntagsausflug vor Jahren, als seine Tochter Luise Dampfer fahren wollte und er erwidern musste: „Aber nur mit der BVG-Fähre. Die brauchen wir nicht extra zu bezahlen.“ Aus diesem Quell sind 80 Seiten entsprungen, auf denen der Leser die Anfertigung einer Angel ebenso erklärt bekommt wie den unbehelligten Zugriff auf festliche Botschaftsbuffets, billige Konzertkarten und von anderen vergessene Regenschirme. Es ist ein Buch „voller subversiver, halblegaler und illegaler Tipps“, wie Wagner selbst sagt.

30 Jahre lang hat er als Schriftsteller und Journalist gearbeitet. Freiberuflich und in jungen Jahren, als er noch DDR-Bürger und nicht Republikflüchtling war, auch im Untergrund. Dort hat er gelernt, mit wenig Geld auszukommen. Aber als er vor zwei Jahren krankheitsbedingt nicht mehr als Maurer, Landvermesser und Helfer bei Grabungen jobben konnte, beantragte er Hartz IV. Das war deutlich besser als nichts und für ihn insofern ein Fortschritt. Zugleich gebärdeten sich die Ämter so, dass Wagners traditionell staatsfernes Weltbild nicht erschüttert wurde. Zwei Mal hat er dem Jobcenter sogar kleinere Nebenverdienste gemeldet. Weil jeweils keine Antwort gekommen sei, habe er die diplomatischen Beziehungen eingefroren – und fahre bislang gut damit, zumal er sich mit seinen 60 Jahren auch nicht mehr unentwegt bewerben, umschulen und herumschicken lassen müsse. Und da sind sogar vier Wochen Bali drin. Den Flug finanziere man über die Untervermietung der eigenen Wohnung, und weil ein billiges Hotel ab drei Euro zu haben sei, „wird es umso günstiger, je länger man bleibt“.

Was ist clever und was Betrug?

Der Versuch einer Grundsatzdiskussion darüber, was clever ist und was Betrug, scheitert an Wagners Gelassenheit gegenüber allem Materiellen. Der Anblick eines Mercedes-Cabrios löst bei ihm je nach Laune entweder gar nichts aus oder leise Dankbarkeit darüber, dass er sich um so etwas nicht kümmern muss. „Für mich sind das Fesseln“, sagt er. „Es geht höchstens darum, dass er Kohlenhaufen groß genug ist für den Winter.“

Auch seine Warnung vor Ladendiebstahl ist weniger moralisch als pragmatisch begründet. Im Buch beschreibt er, wie der Überfluss des Kadewe ihn als frisch gestrandeten Ossi beinahe um den Verstand brachte. Der Ladendetektiv holte ihn auf der Rolltreppe ein. Das ist gut 20 Jahre her, aber noch immer gilt für Wagner: „Diese Demütigung lohnt sich wirklich nicht.“

Diesen Hinweis meint Wagner wirklich als dringende Empfehlung an die Leser, während er übers Schreiben ansonsten sagt, es sei ihm weniger um die konkrete Hilfe für die Leser gegangen als um die Betrachtung des eigenen Lebens unter dem Gesichtspunkt, wie viel der Mensch zum Glücklichsein braucht. Ganz wichtig ist ein eigenes Fahrrad, um die Gaben der Natur frisch aus selbiger auf den heimischen Tisch zu holen. Gut, der Winter ist sozusagen Saure-Gurken-Zeit, aber bald sprießt es wieder: Der Bärlauch Ost in Treptow zwischen sowjetischem Ehrenmal und Spreepark-Resten, der Bärlauch West im Schlosspark Charlottenburg und am Griebnitzsee.

Wenn das Buch erschienen ist, sollen die Leser auf einer Internetseite ihre eigenen Tipps beisteuern. Rezepte mit Bärlauch beispielsweise. Oder Pfifferlingsstellen, denn die sind das einzige, was der passionierte Spaziergänger und Naturfreund Wagner aus Egoismus für sich behält.

Während er sich in erster Linie als Schriftsteller sieht, hat seine Tochter sich um den Service im Buch gekümmert, der vom Gratis-Internetzugang bis zur Pilzberatung reicht. In zwei Wochen soll das Werk erscheinen; am 7. März um 17 Uhr ist große Premiere im Humana-Kaufhaus am Frankfurter Tor. Dazu gibt es Hartz-IV-Menü à la Sarrazin. Und Wagner hofft, dass er mit dem Buch richtig Geld verdienen kann. Zumindest so viel, dass der Kohlenhaufen groß genug ist für den nächsten Winter.

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