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Stadtleben: Schweben und schwelgen

Sie singt von Berlin und den kleinen Begebenheiten ihres deutsch-französischen Alltags Fast immer macht Corinne Douarre daraus Poesie. Heute tritt sie an der Neuen Nationalgalerie auf

Corinne Douarre singt gern im Dunklen. Denn dann gibt es nur noch die Musik für sie. „Manchmal habe ich Lust, mich in der Melodie aufzulösen. Transparent zu sein auf der Bühne“, sagt sie. „Nur hörbar.“ Doch heute ist sie für viele Menschen sehr sichtbar. Sie tritt am Nachmittag unter freiem Himmel auf, direkt vor der Neuen Nationalgalerie. Das Konzert ist Teil des Museumsinselfestivals, passend zur Ausstellung „Die schönsten Franzosen kommen aus New York“. „Aber ich bin doch gar nicht aus New York“, sagt Corinne Douarre und lacht verlegen über den etwas eitlen Witz, der eigentlich gar nicht zu ihr passt.

Die Französin aus Blois erzählt von ihrem Architekturstudium in Paris, und wie sie vor fast zehn Jahren in Berlin landete. Anfang der Neunziger betrat sie zum ersten Mal als Besucherin die Stadt und etwas geschah mit ihr. „Es war wie ein Schock: die Atmosphäre voller Träume, Chaos, Kontraste und Freiheit. Das habe ich fast körperlich gespürt.“ Und sie konnte „den Krieg sehen“; Spuren aus den vierziger Jahren. Erzählungen ihres Vaters wurden lebendig, der gerade gestorben war und oft von seiner Zeit als Zwangsarbeiter in Deutschland berichtet hatte. Die Spuren der DDR faszinierten sie ebenfalls – und wie aus all dem etwas Neues wurde. „Ich kam aus Paris, der Stadt des 19. Jahrhunderts. Und hatte das Gefühl, mitten in der Geschichte und Stadt des 20. und 21. Jahrhunderts gelandet zu sein.“ In Berlin muss man jetzt sein, fand sie. Und blieb.

Corinne Douarre begann, Lieder über die Stadt zu schreiben und zu singen. Einige auf Deutsch, die meisten auf Französisch. Wie ihre Liebeserklärung an Mitte: „Als ich dich das erste Mal gesehen habe, warst du fast nackt. Ich habe dich fasziniert entdeckt.“ Das Lied handelt davon, wie sich alles veränderte, wie die Spuren des Krieges und der DDR langsam von den Renovierungsarbeiten ausradiert wurden.

Ihr erster Auftritt: eine winzige Kneipe in Kreuzberg. Heute spielt sie in ganz Deutschland und auch in Frankreich. Anfangs probierte sie mit verschiedenen Stilen herum, sang klassische Chansons und spielte dazu auf dem Akkordeon. Vor fünf Jahren fand sie Marc Haussmann und ihren eigenen Stil. Der deutsche Musiker wurde ihr Keyboarder und teilt nicht nur die Bühne mit ihr.

Gemeinsam mit dem Gitarristen Dirk Homuth spielen sie seitdem eine Mischung aus Pop und Chanson mit spielerischen elektronischen Details oder ganz klassisch nur mit Klavierbegleitung. Manchmal spricht Corinne zur Musik, oft hauchend. Dann singt sie wieder mit ihrer klaren, betörenden, fast schwebenden Stimme.

Es geht nicht nur um Berlin in den Liedern. Corinne Douarre macht aus kleinen Begebenheiten des deutsch-französischen Alltags Poesie: „Zusammen oder getrennt“ heißt eines ihrer Lieder. Die typische Frage der deutschen Kellner war für die Französin im ersten Moment bizarr, in Frankreich wird eine Rechnung immer als ganzes beglichen. Für die Sängerin klang der Satz nach einer sehr persönlichen Frage. Und sie hatte sofort eine ganze Beziehung vor Augen: zusammen Fahrradfahren, zusammen alt werden – oder sich trennen?

Einige Lieder sind tanzbar und ein bisschen aufgeregt. Die meisten aber wie „Berlin Mitte“ melancholisch und ruhig: „Ich bin für die Ruhe.“ Sie selbst sei aber eher ein unruhiger Mensch, sagt sie und wuschelt sich zum x-ten Mal mit beiden Händen in ihren Haaren herum bis einige Strähnen fast senkrecht stehen. Sie wohnt in Prenzlauer Berg, weil sie die Stimmung dort beruhigt. „Prenzlauer Berg ist eine schöne Seifenblase, ein Ort, der etwas Märchenhaftes hat“, sagt sie. „Alle haben viel Zeit, schöne Kinder und trinken stundenlang Latte Macchiato in den Cafés. Aber so ist die Welt nicht.“

Wenn sie hinausfährt aus dieser Seifenblase, geht sie zur Neuen Nationalgalerie, wo sie heute auftritt. Die Architektin in ihr liebt die Weite des Platzes und die Gebäude; Staatsbibliothek und Philharmonie. Wim Wenders „Himmel über Berlin“ spielt hier – ihr Lieblingsfilm. Gerade nimmt sie eine CD auf und spielt mit dem Titel auf den Film an: Himmel XXL. Für ihr Konzert hat sie sich viel vorgenommen: „Ich will die Zuhörer wenigstens für einen Moment schweben lassen.“ Schwerelos am Himmel über Berlin.

Das Konzert beginnt heute um 16 Uhr an der Neuen Nationalgalerie. Der Eintritt ist frei.

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