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© dpa

Weihnachtsessen: Beim Engel im Estrel

Obst, Massage und Gänsekeule gratis: Frank Zander lud mehr als 2000 Bedürftige zum Weihnachtsfest ins Estrel-Hotel.

Bernd Schley aus Kreuzberg hat ein echtes Problem. Er muss seinen Tisch gegen einen stetig wachsenden Interessentenstrom verteidigen. „Nein, ist schon besetzt für meine Großfamilie.“ Vom Estrel-Kellner hätte er gerne ein „Reserviert“-Schild, aber der winkt ab. „Das ist nicht vorgesehen.“ Würde auch komisch aussehen auf einer Weihnachtsfeier für Obdachlose.

Frank Zander, bekannt als Hersteller von Partykrachern, Schunkelliedern und Fußballhymnen, hat wieder zum großen Gänsekeulenschmaus in die Estrel-Kongresshalle in Neukölln geladen. 2500 Gäste sind diesmal gekommen, ein neuer Rekord. Heinz Buschkowsky, Neuköllns Bürgermeister, hat die Kellnerschürze umgebunden. Neben ihm laufen die CDU-Politiker Friedbert Pflüger und Laurenz Meyer, der Boxer Axel Schulz und Schauspielerin Michaela Schaffrath als Hilfskellner um die Tische, begrüßt von johlenden Männern mit Schirmmützen und Zahnlücken.

„Ich finde das erfrischend, toll und wunderbar, was sich der Frank Zander ausgedacht hat“, sagt Michaela Schaffrath und startet vergnügt einen weiteren Hindernislauf. Heinz Buschkowsky wirkt schon etwas erschöpft vom vielen Tellerbalancieren. Er hat sein Jackett ausgezogen.

Das Event lockt Obdachlose aus der gesamten Region an. In den Wärmestuben wird seit Wochen mit Plakaten dafür geworben. Von der Wohnungslosen-Beratungsstelle der Stadtmission in Tiergarten haben fünf BVG-Doppeldeckern die Gäste ins Estrel gebracht. Dort mussten sie erstmal anstehen. Eine Stunde hat der Ex-Verwaltungsangestellte Dieter Wolf gebraucht, bis er Frank Zander die Hand schütteln konnte. Der begrüßt jeden persönlich, weil es ja auch seine Fans sind, die er heute bewirtet. Viele wollen von ihrem „Frankie“ Autogrammkarten.

Dieter Wolf findet Zander-Hits zwar nicht ganz so toll, aber die Einladung zum Festschmaus hat er trotzdem gerne angenommen. Er bekommt die „Grundsicherung“, das ist Hartz-IV für Rentner. Wohnungslos ist er seit kurzem nicht mehr.

Wie jedes Jahr gibt es Gänsekeule mit Rotkohl und Klößen. 2500 Gänsekeulen auf den Punkt knusprig braun zu backen, ist für die Estrel-Küchenlogistik eine besondere Herausforderung. Im vergangenen Jahr gab es einen Keulen-Engpass; es waren einfach zu wenig Gänse auf dem Markt. In diesem Jahr lief alles reibungslos, sagt Estrel-Sprecherin Miranda Meier. 56 Köche sind im Einsatz.

Neben dem Essen wird auch beschert, bedient und Musik gemacht. Besonders umlagert sind die Hostessen im Engelskostüm. Sie verteilen Zigarillos und Tabak zum Selberdrehen. Am Eingang stapeln sich Geschenkpackungen mit Süßigkeiten, Kleidung und Spielsachen für Kinder. Es sind schließlich auch viele Familien gekommen, die sich ein klassisches Weihnachtsfest nicht leisten können.

Gut nachgefragt wird auch das Depot mit Hundefutter. Die Apfelsinen auf den Tischen finden weniger Abnehmer. Besser läuft es beim Bier. Es gibt Kindl, normal oder alkoholfrei. Wer möchte, kann sich massieren oder die Haare schneiden lassen. Das Ergebnis wird von einem Fotografen festgehalten – honorarfrei.

Vor 13 Jahren fing alles ganz klein an. Zanders Plattenfirma hatte sich 200 Obdachlose eingeladen, um die neue Weihnachts-CD pressewirksam zu bewerben. Doch die Medien wollten nicht mitziehen, ein kleiner Marketing-Flop. Zander wollte seine Obdachlosen aber nicht einfach wieder ausladen. Er bewirtete sie auf eigene Kosten im Schloss Diedersdorf.

Die Weihnachtsfeier wuchs nun jedes Jahr. Für sein Engagement bekam Frank Zander das Bundesverdienstkreuz. Der gebürtige Neuköllner wünscht sich, mal das Olympiastadion mit Weihnachtsgästen zu füllen. Wer die 70 000 Gänsekeulen knusprig frisch heranschafft, wäre noch zu klären. Singen sollten Anastasia oder Phil Collins. Dann wäre Zander der König der Obdachlosen. Bisher ist er nur ihr Weihnachtsengel.Thomas Loy

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