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© Kitty Kleist-Heinrich

Winter in Berlin: Ein Traum in Weiß

Sieben Zentimeter Pulverschnee: Da kapitulierten selbst Wintermüde vor der glitzernden Pracht, stürmten die Parks und zückten die Kameras.

Klarer Fall, in Berlin ist es momentan wie in den Bergen. Am Dienstagmorgen strömt prickelnd klare Winterluft zum Fenster herein, zartrosa Alpenglühen liegt auf dem Betonklotz schräg gegenüber, weiß überzuckerte Linden säumen die Straße. Eine Stunde später wird man selbst in der Wohnung schneeblind, so verschwenderisch gleißt die Sonne. Jetzt aber hinaus in den watteweißen Schnee!

Am Landwehrkanal stellt sich dann heraus, dass auch fast alle anderen die Idee hatten, an diesem Winterwundertag ein Stück zu Fuß zur Arbeit zu gehen. Spaziergänger mit mehr Muße bestaunen die Möwen, die mal auf dem Wasser dümpeln und dann über den strahlend blauen Himmel zischen. Verzückte Väter und Mütter produzieren einen Stau, weil sie ihre Kleinen womöglich zum letzten Mal in diesem Winter auf dem Schlitten knipsen möchten. Und ein junger Mops hebt angeekelt die Pfoten. Das seltsame weiße Zeug ist ihm offensichtlich völlig neu.

Rund sieben Zentimeter Pulverschnee hat es in der Nacht zuvor gegeben, sagt Christoph Gatzen von Meteogroup. Weil ein aus Westen kommendes mildes Schneematsch-Tief Montagnacht auf ein kaltes, trockenes Hoch aus Polen traf. Letzteres gewann und senkte die Temperaturen Dienstag früh beispielsweise in Tempelhof auf minus 17 Grad ab. Fertig war der Wintertraum, vor dessen Schönheit Winterhasser gestern massenweise kapitulierten und die Parks stürmten, viele von ihnen mit Kamera.

Im Tiergarten steht mittags ein Hobbyfotograf behängt mit Kameras im Schnee und fixiert konzentriert die Bäume. Gegenlichtfotos will er von der verschneiten Pracht schießen, sagt er, und fachsimpelt über den Einfall des Sonnenlichts und den Schattenfall der Äste. „Wie eine Zeichnung im Schnee.“ Morgens hat er in Neukölln aus dem Fenster geschaut und sich dann stracks auf den Weg gemacht.

Schneemännerbauen klappt im lockerleichten Pulverschnee nicht so toll. Zwei kleine Mädchen, die in steifen Schneeanzügen umhertappen wie Mini-Kosmonautinnen, mühen sich vergebens. Sie halten einfach nicht, die weißen Kugeln. Die Mütter, zwei Russinnen, feuern die Mädels zum Durchhalten an und knipsen, was das Zeug hält. Der Selbsttest zeigt: Nein, der Schnee klebt nicht. Aber er schmeckt – wie Wasser aus einem Gebirgsbach.

Am Reichstag stehen Touristen trotz des kalten Windes wacker Schlange. Einige tragen verspiegelte Skibrillen und Pelz wie in St. Moritz auf der Promenade. Das passt ins Regierungsviertel, wo die rot-weiße Flagge der Schweizer Botschaft als Farbklecks über der blau-weißen Leere leuchtet.

Zwei Euro kostet der Glühwein am Brandenburger Tor. Spanier prosten sich mit dampfenden Bechern zu. „Oh nee, wir können überhaupt nix sehen“, jault ein Teeniepärchen aus Idar-Oberstein. Die beiden versuchen blinzelnd und mit langem Arm, sich selbst zu fotografieren. Wie sie Berlin in Weiß finden? „Cool.“

So sehen das auch die beiden Engländerinnen, die nachmittags am Lustgarten stehen. Abwechselnd versuchen sie, sich samt beschneitem Dom und silberglänzendem Fernsehturm aufs Foto zu bannen. „Open your eyes“, ruft die eine ihrer Freundin zu, die sie immer wieder unfreiwillig in der Sonne zukneift. Mach’ die Augen auf – das Motto dieses Wintertages.

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