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© Uwe Steinert

Wintereinbruch: Eiskalt erwischt

Minus zwölf Grad in Berlin – da löst sich sogar die Warteschlange vor dem Reichstag auf Kleidung hilft nur noch in Schichten. Bloß der Brezelverkäufer freut sich: Er hat glühende Kohlen im Korb.

Am Rande des Holocaust-Mahnmals stehen zwei Männer und eine Frau mit vermummten Gesichtern. Alle drei haben ihre Kapuzen tief in die Stirn gezogen und mit einem Schal Nase und Mund verdeckt. Würden sie nicht zittern, während sie dem Touristenführer bei seinem Vortrag zuhören, sie sähen gefährlich aus. Die Besucher kommen aus Südafrika – und mit dem Berliner Winterwetter nicht gut zurecht. Sie haben alles angezogen, was der Koffer hergab. „It is a little cold“, sagt einer der drei und versucht zu lächeln. Das gelingt nicht wirklich, es ist zu kalt für Mimik. Dann zieht die Gruppe los, ins Innere des Mahnmals, das sie heute fast für sich allein haben.

Kein Wunder, die Tagestiefsttemperatur liegt bei minus zwölf Grad. Wer sich da nach draußen wagt, zum Glühweintrinken auf den Weihnachtsmarkt oder zum Einkaufen in die Shoppingcenter, trägt einen langen Mantel, Skihose oder am besten gleich mehrere Schichten übereinander. Dabei zählt nicht so sehr die Optik, heute dient die Kleidung vor allem einem Zweck: Sie soll die Kälte isolieren, die an den Körper dringt. Trotz Sonnenschein sieht man Menschen mit roten Ohren und triefenden Nasen, die von einem Bein aufs andere hüpfen, während sie an Ampeln stehen oder eine Zigarette vor dem Café rauchen.

Nelli Butsch sieht als eine der wenigen entspannt aus. Sie wollte sich mit Freunden den Bundestag anschauen, hat den Kragen ihres schwarzen Anoraks über die Ohren gestülpt und einen Schal drübergewickelt. Dazu trägt sie Filzstiefel. Mit Kälte hat Nelli Butsch Erfahrung: „Ich stamme aus Kasachstan. Dort haben wir im Winter minus 40 Grad“, sagt sie. Trotzdem ändert sie ihre Pläne: Statt eine Stunde für den Einlass anzustehen, fotografiert Butsch das Parlamentsgebäude lieber nur von außen. Sie ist nicht die Einzige, die auf den Reichstagsbesuch verzichtet. Immer wieder scheren kleine Gruppen aus der Schlange aus, weil sie die Kälte nicht mehr ertragen.

Der 16 Monate alte Arthur Ben Lilien hat den Reichstagsbesuch mit seiner Familie schon hinter sich und wäre wahrscheinlich gerne noch länger drin geblieben. Trotz vier Schichten Kleidung friert er und rennt seiner Mutter in die Arme.

Auch die Bahn hat Probleme. Am Vormittag hat in Rummelsburg eine Weiche ihre Tätigkeit eingestellt. Dutzende Züge müssen gestoppt oder umgeleitet werden, betroffen sind die wichtigen RE-Linien 1 und 2 sowie die RB 14. Reisende müssen die Züge verlassen und in S-Bahnen umsteigen. Auch bei den Fernzügen gibt es Probleme, am schlechtesten sieht es im Luftverkehr aus: zahlreiche Flüge fallen aus oder haben Verspätung. Das liegt aber nicht an Berlin, sagt ein Sprecher, sondern an den großen Drehkreuzen London, Paris und Frankfurt: Die Maschinen kommen nicht rechtzeitig oder gar nicht in Berlin an.

Die Polizei kann sich hingegen bisher nicht über die Kälte beschweren. Zwar hat sich auf der B 1 ein Auto überschlagen, das liegt aber nicht an Glätte, sondern am Alkohol, heißt es.

Einer freut sich sogar: Ein Brezelverkäufer vor dem Bundestag ist umringt von frierenden Touristen. Er hat seinen Brezelkorb mit Alufolie und glühender Kohle ausgelegt und macht mit warmem Laugengebäck und heißem Kaffee ein gutes Geschäft. Das könnte heute noch einmal klappen. In der Nacht soll es minus 14 Grad kalt werden, tagsüber nur wenig wärmer. Erst ab Montag muss der innovative Brezelverkäufer einen Verkaufseinbruch befürchten: Dann soll es etwas milder werden, laut Vorhersage nur ein Grad unter Null. Manche fürchten schon das Tauwetter an Weihnachten.

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