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Aurel Johannes Marx, Erotik-Unternehmer, hat eine Puff-App auf dem Markt gebracht.

© Mike Wolff

Start-up für Bordellmanagement: Wie ein Berliner die Rotlichtbranche modernisieren will

Digitalisierung und Smartphone-App statt Plastikpalmen und Tigerstreifen-Outfit: Aurel Johannes Marx hat eine Puff-App entwickelt. Er möchte käuflichen Sex mit dem hippen Image verbinden.

Vielleicht hat er sich gedacht, mit diesem Namen sei er verpflichtet, Neues zu wagen. Vielleicht glaubte er tatsächlich, wer Aurel Johannes Marx heiße, also wie ein römischer Kaiser und ein deutscher Starphilosoph zugleich, der müsse eine Branche revolutionieren können. Und am besten gleich jenes Gewerbe, dem nachgesagt wird, es sei das älteste der Welt.

Aurel Johannes Marx empfängt an einem Sommertag in seiner Altbauwohnung am Grunewald. Dielenboden, großzügige Couch- und Sesselecke, an den Wänden hängt Kunst. Marx will, so sein Anspruch, den Alltag von Bordellbetreibern – Frauen wie Männern – erleichtern. Er möchte käuflichen Sex mit dem hippen Image verbinden, das Berlin genießt. Und unkomplizierten Geschlechtsverkehr mit unkomplizierter Software. „In diesem Gewerbe lässt sich so viel verbessern“, sagt er. „Gerade in Berlin haben wir Potenzial – die Stadt ist eben auch wegen ihrer Sexclubs im Gespräch.“

Mechaniker, Student, Bordellbetreiber

Marx stammt aus Bremen, machte erstmal eine Mechaniker-Ausbildung, begann in Hamburg ein BWL-Studium, zog schließlich nach Berlin. Vor 15 Jahren, das Nachtleben der Stadt hatte ihn gereizt, eröffnete Marx ein Bordell in Schöneberg. Das war mit den offenbar milieuüblichen Begleiterscheinungen verbunden – und Marx verheimlicht das nicht. Vorbei kamen: Ordnungsamt, Polizei, wieder Polizei. Schließlich wurde sein Laden geschlossen, nachdem einzelne Damen und einzelne Gäste mit Drogen erwischt wurden. Das zunächst auch gegen Marx eingeleitete Verfahren wurde eingestellt. Er bemüht sich derzeit um Entschädigung aus der Landeskasse – denn Sexarbeit an sich wurde in Deutschland 2002 vollständig legalisiert.

Manchmal wie im Film. Sexarbeit im Rotlicht - doch die Branche wird sich ändern.
Manchmal wie im Film. Sexarbeit im Rotlicht - doch die Branche wird sich ändern.

© AFP/GROOT

Begründet hatte die Legalisierung das frühere SPD-Grünen-Kabinett damit, dass Prostituierte in der Schattenwirtschaft leichter ausgebeutet, gar zur Sexarbeit gezwungen werden könnten. Ja, dass sich die Lage für angemeldete Prostituierte verbessere, weil ihnen so Steuer-, Kranken- und Rentenkassen offen stünden. Diese Hoffnung hat sich insofern als trügerisch erwiesen, als dass nach 2002 allerlei Glücksritter in Wohnungen kleine Bordelle eröffneten – und die Behörden nicht hinterherkamen mit den Kontrollen. Zudem wollten sich viele Frauen nicht registrieren lassen, denn der gesellschaftliche Makel ist ja geblieben: Wozu sich also offiziell als Sexarbeiterin anmelden, wenn so die Gefahr eher größer wird, mit einem Stigma leben zu müssen?

Nur wenige Sexarbeiterinnen registrieren sich - das Stigma bleibt

In Berlin, dass sagen Ermittler, Bordellbetreiber, aber auch einzelne Sexarbeiterinnen, dürfte es geschätzt 10.000 Prostituierte geben. Denn formal wäre das jede und jeder, die oder der halbwegs regelmäßig käuflichen Sex anbietet, ob in Bordellen, über Online-Portale, auf der Straße oder über Escort-Agenturen. Als Prostituierte registriert waren 2017 nur 640 Personen. In der Senatswirtschaftsverwaltung geht man davon aus, dass viele Sexarbeiterinnen offiziell anderen Berufen nachgehen.

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Die Bundesregierung hat auch deshalb das umstrittene Prostituiertenschutzgesetz verabschiedet, dass vor einem Jahr in Kraft getreten ist. Die neuen, härteren Regeln sollen den Druck auf die Branche erhöhen. Viel zu oft, da sind sich Juristen, Frauenverbände und Ermittler einig – wird es jedoch die Falschen treffen. Am wenigsten umstritten sind noch die neuen Mindestanforderungen an die Ausstattung und die Betreiber von Bordellen. Kernstück des Gesetzes aber ist die Meldepflicht für Prostituierte, einige sprechen vom Überwachungsideal konservativer Hardliner.

Auch Aurel Johannes Marx ist skeptisch: „Das Gesetz wird wohl weniger nützen, als die Politik erwartet.“ Und doch wird Marx selbst, zumindest sieht es danach aus, vom Gesetz profitieren. Vor zwei Jahren gründete er „Cronosignum“, sozusagen das Start-up für postmodernes Bordellmanagement. „Das Gesetz zwingt die Betreiberinnen und Betreiber von Bordellen dazu, alles viel genauer zu registrieren“, sagt Marx. „Die neuen Regeln verlangen gerade von Läden, die von ihren Inhabern geführt werden, bürokratische Meisterleistungen.“ Und da könne er helfen.

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"Gut, wenn das Gewerbe reguliert und modernisiert wird"

Zusammen mit technikaffinen Bekannten arbeitete Marx an der Software, mit der Bordelle so wie Hotels oder Arztpraxen verwaltet werden könnten. Türsensoren sollen die Zeiten der Zimmerbelegung messen. Abrechnungsprogramme könnten Ein- und Ausgaben besser festhalten – etwas, was Finanzbeamte seit Jahren fordern. Und über das Smartphone könnten potenzielle Kunden schon im Büro oder Flughafen nachschauen, welcher Laden gerade von welchen Damen belegt ist. Moralische Bedenken? „Käuflichen Sex hat es in allen Gesellschaften gegeben“, sagt Marx. „Ist doch gut, wenn das Gewerbe reguliert und modernisiert wird, statt es sich selbst überlassen.“ Auch für zeitgemäßere Internetauftritte und entsprechende Suchmaschinenoptimierung bietet Marx seine Dienste an. Er wisse, was Bordelle brauchen – denn Marx ist selbst Miteigentümer eines Ladens in Mitte.

Meist erkennt man sie daran: Bordelle und ihre Blinkreklame.
Meist erkennt man sie daran: Bordelle und ihre Blinkreklame.

© Seeger/dpa

Mit Blick auf Ausstattung und Ambiente spricht Marx von seinem Bordell als dem ersten „Hipster-Puff“ der Stadt. „Also das Gegenteil von dem, was viele mit Bordellen verbinden. Wir verzichten auf Plastikpalmen und Tigerstreifen-Outfits.“ Der Laden ist das Vorzeigebordell für die Cronosignum-App. Marx hofft unausgesprochen, dass sein Hipster-Bordell und seine Software vom sich abzeichnenden Versagen traditioneller Sexläden profitieren wird.

Immerhin gibt es viel Geld zu verteilen. In der Branche sollen bundesweit bis zu 15 Milliarden Euro im Jahr umgesetzt werden – auf Berlin entfielen demnach fast eine Milliarde Euro. Da alle Schätzungen zum Rotlichtgewerbe letztlich hinfällig sind, eben weil die Branche bislang oft wie eine Schattenwirtschaft funktioniert, hoffen in der Politik viele, dass durch das neue Gesetz akkurate Zahlen bekannt werden.

In Berlin haben sich 2018 schon 2100 Frauen als Prostituierte registriert – und das, obwohl das dafür zuständige Amt in Schöneberg kaum ausreichend ausgestattet ist. Noch sind auch nicht alle erforderlichen, neuen Genehmigungen für das Betreiben einer Prostitutionsstätte ausgestellt worden. Zugelassen sind bislang rund 160 Bordelle – Beamte sagen: Es gebe drei Mal so viele.

In Berlin kommt mehr Steuergeld aus den Bordellen

Zwar haben Finanzprüfer immer erheblich an der Steuerehrlichkeit in der Branche gezweifelt. Festzuhalten aber bleibt, die staatlichen Einnahmen sind schon vor dem neuen Gesetz gestiegen. Die Steuerverwaltung hatte in Berlin 2007 das sogenannte Düsseldorfer Verfahren eingeführt. Demnach sollen Prostituierte anonym und pauschal 30 Euro am Tag über den Bordellbetreiber abführen – also ohne, dass Daten der Dame und genaue Höhe der Einnahmen geprüft würden. Allein durch dieses Verfahren kamen 2017 eine Millionen Euro Steuergeld zusammen – vor zehn Jahren war es circa halb so viel. Neben diesen Einnahmen zahlen die offiziell als Sexarbeiterin, Masseurin oder Tänzerin angemeldeten Frauen selbstständig Steuern.

Hipster-Bordellier Marx sagt, die Branche werde sich ausdifferenzieren: Wellness-Bordelle für zahlungskräftige Kunden, mehr Fetischläden für Liebhaber bestimmter Praktiken, denkbar seien auch vegane Sexläden, in denen Ausstattung und Verpflegung eben nach moralintensiver Auswahl erfolgen. Womöglich könnte in den Innenstädten die Elendsprostitution abnehmen: Zwar entdecken Beamte in den Hinterräumen einiger Imbisse und Spielotheken in Neukölln nach wie vor Matratzen, auf denen – so der Verdacht – Billig-Prostitution ausgeübt wird. Doch überall steigen die Immobilienpreise, was dazu führen könnte, dass sich derlei Schattengeschäfte nicht mehr lohnen.

Die bisherigen Gespräche in der Branche, sagt Marx, seien erfreulich verlaufen. Und fast zur Hälfte hätten Frauen, die eigene Bordelle und SM-Studios betreiben, bei ihm nach Ideen zur Geschäftsoptimierung gefragt. Mehr als 70 Läden bundesweit haben Interesse an der Puff-App.

Dieser Artikel erschien auf der wöchentlichen Sonderseite "Berliner Wirtschaft". Folgen Sie uns auf Twitter für Updates: @BRLNRwirtschaft

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