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Berlin: Stechen statt Sprechen

Die Zahl bewaffneter Jugendlicher steigt. Die Polizei will sie davon abbringen, Konflikte mit Gewalt zu lösen

Von Tanja Buntrock

Immer mehr Jugendliche in Berlin sind bewaffnet – vorzugsweise mit einem Messer. Darauf angesprochen, sagen sie meist, sie trügen die Waffe nur zur Selbstverteidigung bei sich. Doch das ist nach Einschätzung der Polizei nur vorgeschoben. Die Zahlen sprechen für sich. Ein Blick in die Statistik für das Jahr 2001 zu Rohheitsdelikten wie Raub, Erpressung und Körperverletzung: Insgesamt wurden 4591 Delikte gezählt, davon haben Deutsche im Alter von 14 bis 18 Jahren 3330 Straftaten begangen, bei den Nicht-Deutschen waren es 1261 Straftaten. Im Zehn-Jahres-Vergleich ergibt sich ein Anstieg um gut 50 Prozent: 1991 wurden „nur“ 3011 solche Straftaten bei Jugendlichen vermerkt.

Interessant sind für die Polizei besonders die Zahlen der Jugendgruppengewalt mit Waffen. Hierauf achten die Beamten besonders, da die meisten Straftaten in Gruppen begangen werden. Im Jahr 2001 sind in 1016 Fällen Waffen im Spiel gewesen: 497 Mal Stich-, 284 Mal Hieb- (Teleskopschlagstöcke und ähnliches) und 235 Mal Schusswaffen – ein Anstieg um 40 Fälle gegenüber dem Vorjahr.

„Wir erkennen, dass im Vergleich zum Vorjahr mehr Stichwaffen eingesetzt wurden“, sagt Christine Burck, Leiterin der Zentralstelle für Jugendsachen bei der Polizei. Messer seien bei den Jugendlichen ein „beliebter Gegenstand“. Teleskopschlagstöcke oder andere Geräte „kann man nicht so gut bei sich tragen, sie sind unhandlich“, sagt Burck. Und Messer sind außerdem am leichtesten zu erwerben – noch. Das neue Waffengesetz, das am 1. April in Kraft tritt, will dem ein Ende machen. Es verbietet Butterfly- und Springmesser sowie Wurfsterne.

Wer sich ein Messer beschaffen will, dem wird es vermutlich auch nachdem das Verbot eingeführt ist, gelingen. Ähnlich wie bei illegalen Schusswaffen, mit denen im Verborgenen der Handel blüht (wir berichteten), dürfte sich dann ein Markt für Messer bilden.

Bestimmte Gründe dafür, warum junge Menschen öfter zur Waffe greifen als früher, kann Polizistin Burck nicht nennen. „Sie glauben, dass sie mit einer Waffe leichter weiterkommen. Sie erhöhen damit den Druck auf andere“, vermutet sie. Eines sei klar: Zur Selbstverteidigung würden die Waffen nur in den seltensten Fällen benutzt. „Die Angreifer ziehen die Waffen, nicht die Opfer“, sagt Burck. Deswegen sei die Aussage „Messer machen Mörder“ prinzipiell richtig. „Wer erst mal eine Waffe bei sich trägt, der ist auch eher bereit zuzustechen.“

Die Polizei bekämpft die Neigung zur Gewalt – oder versucht es wenigstens. Christine Burck ist sich sicher, dass Prävention eine wichtige Rolle spielt. Dazu gehört der Anti-Gewalt-Unterricht an Schulen. Polizisten gehen in die Klassen und „spielen mit den Schülern Konfliktsituationen durch“. Ein Punkt darin ist, Konflikte erst einmal mit Worten zu lösen statt gleich handgreiflich zu werden. Mit dem Rollenspiel sollen nicht nur Jugendliche als mögliche Opfer erreicht werden, „sondern auch die Täter, die ja oftmals mit in den Klassen sitzen“, sagt Burck.

„Operative Gruppe Jugendgewalt“ nennen sich die Beamten, die als Kontakt- und Kommunikationspartner zu den Brennpunkten gehen – also dorthin, wo es häufig zu Auseinandersetzungen kommt: Im Winter vor allem vor Eisstadien, aber auch an den Zugängen zu U- und S-Bahnhöfen. Im Sommer vor den Freibädern oder in der Nähe von Parks.

Bei aller Prävention bleibt Christine Burck realistisch: „Wir werden mit unserer Arbeit nie alle erreichen.“ Den Erfolg oder Misserfolg zeigt dann die nächste Statistik.

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