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Berlin: Steine, Böller, Farbbeutel: Gewaltausbruch bei Demo

Protestzug gegen die bevorstehende Räumung des besetzten Hauses Liebigstraße 14 artete in schweren Krawall aus. Etliche Polizisten wurden verletzt

Die Demonstration für den Erhalt des linken Hausprojektes Liebigstraße 14 in Friedrichshain endete am Samstagabend in einer Orgie der Gewalt. Vermummte Protestler zerstörten zunächst die Schaufenster eines Ladenlokals auf der anderen Straßenseite des vor der Räumung stehenden Hauses, dann griffen sie mit einem Hagel aus Pflastersteinen die eingesetzten Polizeibeamten an. Zudem wurden zahlreiche Böller in die Reihen der Beamten geworfen, von den Dächern der Häuser in der Rigaer Straße und der Liebigstraße wurde Silvesterfeuerwerk abgebrannt, von dort flogen auch Farbeier. Die Zahl der Festnahmen und Verletzten blieb gestern Abend unklar.

Die Polizei berichtete von vielen leicht- und einigen schwerverletzten Kollegen. Auch mindestens zwei Journalisten wurden von Steinen getroffen, ein Rettungswagen brachte den Mitarbeiter einer Nachrichtenagentur ins Krankenhaus. Zahlreiche Gewalttäter, nach Angaben von Beobachtern und der linken Szene mindestens zwei Dutzend, wurden festgenommen, am Bersarinplatz standen nach Ende der Demo Gefangenentransporter der Polizei, die Randalierer zu den Wachen brachten. Seit dem 1. Mai 2009 hat es ein solches Ausmaß an Gewalt in Berlin nicht mehr gegeben.

Begonnen hatte die Demonstration gegen 15.30 Uhr am Kottbusser Tor in Kreuzberg mit etwa 1000 Teilnehmern zunächst friedlich. Auf Transparenten hieß es „Liebigstraße 14 verteidigen - Wir bleiben alle“ oder „Steigende Mieten stoppen“. Die ersten Flaschen und Böller flogen dann vor dem Sitz des Liegenschaftsfonds am U-Bahnhof Warschauer Straße. Der Fond soll im Auftrag des Senates leerstehende landeseigene Gebäude verkaufen, er gilt in der Szene als Wegbereiter der verhassten Gentrifizierung. Danach heizte sich die Stimmung auf.

Vor allem gewaltbereite Autonome mischten sich erst jetzt in den Zug, da sie so die Kontrollen der Polizei am Kottbusser Tor umgehen konnten. Diese hatte bis dahin schon diverse Pyrotechnik beschlagnahmt. Letztlich waren es nach Polizeiangaben 2000 Teilnehmer, die linke Szene sprach von 3000. Die Polizei, die bis zum Bersarinplatz mit etwa 700 Beamten die Demonstranten dicht begleitet hatte, zog sich am Bersarinplatz dann überraschend völlig zurück – was Beobachtern als taktischer Fehler erschien.

Die Gewalttäter konnten sich unbeobachtet in „ihrem“ Kiez auf der Kreuzung Liebig- und Rigaer Straße formieren und zunächst ein Ladenlokal zerstören. Dieses gehört wie das Haus „Liebig 14“ dem gleichen Eigentümer. Erst nach etwa einer halben Stunde ebbte der Gewaltausbruch ab, die meisten Täter konnten in der Demonstration untertauchen. Als die Polizei anrückte, wurden die Beamten minutenlang von einem starken Laserpointer geblendet, einem verbotenen Gerät, dass zu Augenverletzungen führen kann.

Ein Polizeisprecher sagte, die Beamten hätten sich aus „taktischen Gründen“ in der engen Rigaer Straße zurückgezogen, damit die Demonstranten unter sich blieben und die Gewalt „ins Leere laufe“. Nach dem Exzess löste die Polizei die Demo auf. Am Frankfurter Tor standen Wasserwerfer in Bereitschaft, um neue Ansammlungen zu verhindern. Bis spätnachts wurden umherstreifende Gruppen von Autonomen kontrolliert.

Am 13. November 2009 hatten die Bewohner der „Liebig 14“ den allerletzten Prozess um ihre Mietverträge verloren. Seitdem stand fest: Die Leute müssen raus aus dem Altbau. Vor drei Wochen ist für alle Wohnungen des Hausprojektes der schriftliche Räumungsbescheid eingegangen, der am 2. Februar um 8 Uhr zur Vollstreckung angesetzt worden ist. Das zu DDR-Zeiten heruntergekommene Haus war 1990 besetzt worden, 1992 hatten die Bewohner Mietverträge mit der Wohnungsbaugesellschaft des Bezirks geschlossen. Vor zwölf Jahren kauften zwei Privatleute dieses Haus und weitere an dieser Ecke. Wegen eigenmächtiger Mietminderungen und der von den ersten Besetzern eingebauten Tür im Treppenhaus kündigten die Eigentümer die Verträge. Nach der Niederlage vor Gericht war vergeblich eine politische Lösung am Runden Tisch versucht worden. Doch die Eigentümer boykottierten die Vermittlungsbemühungen. Und die Bewohner waren kompromisslos: Sie lehnten angebotene Ersatzwohnungen sowie ein ganzes Haus in Weißensee, das man ihnen offerierte, ab. Weißensee war ihnen zu weit weg.

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