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Unsaubere Geschäfte: Nicht alle Arbeitgeber zahlen Geringverdienern, was ihnen gesetzlich zusteht.

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Stundenlohn von drei Euro: Wenn das Jobcenter Dumpingjobs vermittelt

Die Berliner Jobcenter sollen gegen sittenwidrige Löhne vorgehen. Doch zuweilen vermittelten sie selbst Jobs mit zu geringer Bezahlung. Nun sollen die Behörden schärfer kontrollieren.

Dieses Arbeitsangebot klang nicht verlockend: Ein Reinickendorfer Speditionsunternehmen suchte eine erfahrene Sekretärin und wollte dafür ein monatliches Gehalt zwischen 700 und 800 Euro bei einer Vollzeitbeschäftigung zahlen. „Sittenwidrig“ nennt der Sprecher der Regionaldirektion für Arbeit, Olaf Möller, die Offerte. Dennoch forderte das Jobcenter Reinickendorf Mitte Juli Arbeitslose in Briefen auf, sich auf die Stelle zu bewerben. „Das hätte nicht passieren dürfen“, sagt Möller. Eindeutig ein handwerklicher Fehler der Mitarbeiter. Die Sachbearbeiter waren zwar stutzig geworden und wollten beim Unternehmen nachfragen, ob es sich wirklich um eine Vollzeitstelle handelt, nahmen diesen Job dennoch in die Stellenbörse auf und veröffentlichten ihn im Internetportal. Nach einer Woche fiel der Fehler auf; das Angebot wurde gelöscht. Die betroffenen Arbeitslosen erhielten ein Entschuldigungsschreiben des Jobcenters.

Ein Stundenlohn von 3 Euro

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) berichtet von einem ähnlichen Fall: Bei diesem ging es um einen Stundenlohn von drei Euro, der einem Fahrer eines Postdienstleisters gezahlt werden sollte. Als sittenwidrig gelten Löhne, die weniger als zwei Drittel des geltenden Tarifs oder bei Nicht-Tarifbindung des ortsüblichen Branchenlohns betragen. Bei einer Sekretärin im Speditionsgewerbe zum Beispiel liegt die Untergrenze nach Angaben der Regionaldirektion bei rund 1500 Euro. Es müssten also mindestens 1000 Euro gezahlt werden. Jobcenter und Arbeitsagenturen dürfen sittenwidrige Beschäftigungsangebote nicht weitervermitteln; sie müssen darüber hinaus auch die Arbeitgeber darauf aufmerksam machen, dass sie rechtswidrig handeln, wenn sie Beschäftigte zu diesen Bedingungen anstellen.

Der DGB fordert umfassende Statistik

Und es liegt auch im Interesse der Behörden, gegen rechtswidriges Lohndumping vorzugehen. Erst in der vergangenen Woche haben Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD) und der Chef der Regionaldirektion, Dieter Wagon, angekündigt, in Berlin schärfer zu kontrollieren. Dies wurde in dem gerade beschlossenen Rahmen-Arbeitsmarktprogramm festgelegt. Hintergrund ist, dass in Berlin rund 105 000 Geringverdiener aufstockende Leistungen der Jobcenter bekommen. Sollten unrechtmäßige, zu niedrige Löhne gezahlt werden, können sich die Behörden die aufstockend gezahlten Gelder bei den Unternehmen zurückholen. Der DGB unterstützt das Vorgehen gegen Dumpinglöhne. „Das Geschäftsmodell von einigen Unternehmen nach dem Motto ,Wir zahlen Hungerlöhne, und die Beschäftigten sollen beim Jobcenter aufstocken’ darf nicht zum Regelfall werden“, sagt die DGB-Chefin von Berlin-Brandenburg, Doro Zinke. Allerdings sollten die Jobcenter nicht nur stichprobenartig die Einkommen von Aufstockern überprüfen, es müsse stattdessen eine umfassende Statistik geführt werden, sagt Zinke.

Schlecht bezahlt. Gewerkschaften kämpfen für einen Mindestlohn. Viele Geringverdiener erhalten aufstockende Leistungen vom Jobcenter.
Schlecht bezahlt. Gewerkschaften kämpfen für einen Mindestlohn. Viele Geringverdiener erhalten aufstockende Leistungen vom Jobcenter.

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In der Region Berlin-Brandenburg ist das Jobcenter im Landkreis Dahme-Spreewald ein Vorbild. Seit Jahresanfang wurden dort 1480 Arbeitsverhältnisse von Aufstockern überprüft. Das Misstrauen schien berechtigt: In 280 Fällen gab es laut Regionaldirektionssprecher Möller „einen Erstverdacht auf sittenwidrige Entlohnung“. Das Jobcenter schickte Zahlungsaufforderungen in Höhe von 60 000 Euro an die Arbeitgeber, 12 000 Euro davon wurden schon eingenommen. In Berlin wollen die zwölf Jobcenter jetzt eine gemeinsame Vorgehensweise erarbeiten.

Die Brisanz kennen die Jobcenter bundesweit seit dem Jahr 2010. Damals hatte die Behörde in Stralsund (Mecklenburg-Vorpommern) gegen einen Pizzabäcker geklagt, der Angestellte für einen Stundenlohn von 1,31 Euro beschäftigte und darauf verwiesen hatte, dass man sich den Rest als Aufstocker vom Jobcenter holen sollte. Das Arbeitsgericht gab der Behörde Recht. Jobcenter in anderen Bundesländern zogen nach.

1,67 Euro für einen Verkaufshelfer

Zuletzt ging das Jobcenter Neubrandenburg (ebenfalls in Mecklenburg- Vorpommern) gegen mehrere Arbeitgeber vor und konnte bei ihnen rund 70 000 Euro zurückholen. Dabei handelte es sich um folgende Löhne: 1,67 Euro für einen Verkaufshelfer, 1,70 für einen Helfer bei einem Imbissstand und ein Entgelt von weniger als zwei Euro für eine Kraft im Callcenter.

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