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Berlin: Süchtige Surfer

10 000 Berliner sind Internet-abhängig. Sie sind länger als fünf Stunden am Tag online

Rund 10 000 Berliner sind Internet-süchtig, schätzt Werner Platz, Chef der Suchtklinik im Humboldt-Klinkum. Und deren Zahl steige Besorgnis erregend an. „Vor fünf Jahren hatten wir in unserer Ambulanz einen Online-Süchtigen pro Monat, heute kommen zwei pro Woche zu uns“, sagte der Psychiater dem Tagesspiegel. Besonders suchtgefährdet seien diejenigen, die länger als fünf Stunden täglich im Netz zubringen und dabei das reale Leben fast völlig vergessen. „Die Betroffenen fliehen meist vor Problemen in die Scheinwelt des Internet“, sagt Platz. Im Netz könne man leicht in andere Identitäten schlüpfen und so entspannter Kontakte aufbauen.

Den Betroffenen wird erst dann ihre Krankheit bewusst, wenn die Umwelt reagiert. Die Abhängigen haben keine Zeit mehr für ihre Familie oder für ihre Freunde. Sie bekommen Ärger am Arbeitsplatz, weil sie unausgeschlafen sind. Die Betroffenen versuchen, ohne das Internet auszukommen – meist erfolglos. „Dann kommen die Schuldgefühle, weil man es nicht geschafft hat – ein typisches Suchtphänomen“, sagt Platz.

Unter Experten ist es allerdings umstritten, ob die exzessive Nutzung des Internets tatsächlich immer eine Sucht ist. „Das kann auch Ausdruck einer Beziehungsstörung sein“, sagt Sibylle Martin, stellvertretende Drogenbeauftragte des Landes Berlin.

Was suchen die Suchtsurfer im Netz? Manche halten sich tagelang in den so genannten Chat-Rooms auf, um sich mit anderen Menschen auszutauschen, andere jagen in Online-Auktionen stundenlang den Schnäppchen hinterher und dritte spielen ohne Unterlass die Online-Games.

Die meisten Internet-Abhängigen sind Jugendliche. „Ihre Eltern bringen sie zu uns, weil sie Angst um ihre Kinder haben“, sagt Psychiater Platz. Angst zum Beispiel, weil die Jugendlichen alle anderen Interessen vernachlässigen und nur noch vor dem Computer hocken. „Sie haben keine Freunde mehr, kümmern sich nicht mehr um die Ausbildung oder Schule.“ Sie schlafen wenig, weil sie nachts mehrere Stunden surfen, um Telefonkosten zu sparen. Bis zu 2000 Euro im Monat verbraucht so mancher Online-Süchtige.

Die Internet-Sucht sei relativ leicht zu heilen, meint der Psychiater – wenn der Leidensdruck so groß geworden ist, dass die Betroffenen sich selbst für den Entzug entscheiden. Dabei gehe es nicht darum, den Online-Konsum ganz zu beenden, sondern nur, ihn zu beherrschen. „Das Internet ist ja durchaus ein sinnvolles Instrument“, sagt Platz.

In der Senatsjugendverwaltung rät man Eltern, sich an die Lehrer oder den schulpsychologischen Dienst zu wenden. „Die Lehrer sind entsprechend fortgebildet“, sagt Behördensprecher Thomas John.

Suchtklinik des Humboldt-Klinikums: Telefon 4194 5608

Selbsthilfegruppen: www.onlinesucht.de

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