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Berlin: Todesfahrt im Alkoholrausch wird zum Justizskandal

Haftrichter ließ mehrfach Vorbestraften frei – trotz Verstoßes gegen Bewährung Wenige Tage später fährt der Täter auf der Flucht vor der Polizei einen Mann tot

Der 25-Jährige, der in der Nacht zu Sonnabend in Schöneberg betrunken einen Menschen totgefahren hat, wurde gestern einem Haftrichter vorgeführt. Am Abend wurde er in Untersuchungshaft geschickt. Zuvor war er in der Psychiatrie des Urban-Krankenhauses auf Selbstmordgefahr untersucht worden. Levent U. hatte auf der Flucht vor der Polizei mit hoher Geschwindigkeit eine rote Ampel überfahren und war mit einem anderen Auto zusammengestoßen. Dessen Fahrer starb, U. flüchtete zunächst und stellte sich am Sonnabend früh der Polizei. Wie berichtet, war Levent U. nur auf Bewährung in Freiheit – und er hatte zudem in der vergangenen Woche schon einmal vor dem Haftrichter gestanden. Denn Polizisten hatten den Kreuzberger bei einem Einbruch festgenommen.

Bei der Polizei hat der 25-Jährige bereits rekordverdächtige 200 Einträge gesammelt – von Raub, Einbruch, Körperverletzung, Drogenhandel, Diebstahl bis hin zu Fahren ohne Fahrerlaubnis. Dem Vernehmen nach war Levent U. einer der Auslöser für die Einrichtung der „Intensivtäterabteilung“ bei der Staatsanwaltschaft. Erstmals aktenkundig wegen Straßenraubes wurde U. 1993 – damals war er gerade zwölf Jahre. 2002 war er zu einer Jugendstrafe verurteilt worden, 2004 hatte er in U-Haft gesessen. 2004 war es auch, als Levent U. Opfer wurde – vor der Diskothek Big Eden am Kurfürstendamm hatte ein Landsmann vier Schüsse auf ihn abgefeuert. Der Kreuzberger überlebte den Mordanschlag – angeblich ging es damals um eine Frau – nur knapp. Aktuell steht der drogenabhängige U. unter einer bis 2009 geltenden Bewährung, er war wegen gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden.

Angesichts dieser kriminellen Karriere richtet sich die Kritik gegen den Haftrichter, der Anfang letzter Woche U. wieder nach Hause entließ. Eine Unkenntnis der Akten ist unwahrscheinlich. „Das wird der Richter mit Sicherheit gewusst haben“, sagte Justizsenatorin Gisela von der Aue. Sie betonte zugleich, dass Richter in Deutschland absolut unabhängig seien. „Im Einzelfall kann das für die Bevölkerung schwer nachzuvollziehen sein“, räumte sie ein, vor allem, „wenn dann noch ein Mensch zu Tode kommt.“ Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft konnte auf Anfrage nichts sagen, da der Haftrichter noch nicht gefragt werden konnte. „Schwer zu sagen, was den bewogen hat“, rätselte der Justizsprecher.

Die Entscheidung aus der vergangenen Woche stieß gestern auf heftige Kritik. „Durch diese Entscheidung musste ein Mensch sterben“, hieß es vielfach. Ein hochrangiger Kriminalbeamter sagte, es sei „ein Skandal, dass der nicht hinter Gittern sitzt“. Der CDU-Abgeordnete Peter Trapp bedauerte, dass „das alles keine Wirkung bei den Richtern hat“. Trapp kündigte an, dass der Fall heute bei der Sitzung des Innenausschusses des Abgeordnetenhauses besprochen werden soll.

Eine Juristin nannte die Haftverschonung gegen Meldeauflagen angesichts einer laufenden Bewährungszeit „unverständlich“. Haftbefehl könne laut Gesetz nur vollzogen werden, wenn Flucht- oder Verdunkelungsgefahr dies begründen – oder „andere Umstände, die das rechtfertigen“. Diese „anderen Umstände“ seien jedoch Auslegungssache.

Vieles erinnert an den Fall Ken M. (siehe auch Kasten). Der 16-Jährige hatte im Sommer 2005 einen Siebenjährigen ermordet. Auch er war kurz zuvor gegen Meldeauflagen auf freien Fuß gesetzt worden, obwohl er bei einer extrem brutalen Gewalttat einen jungen Soldaten lebensgefährlich verletzt hatte. Auch damals hatte der Richter lediglich Meldeauflagen für nötig gehalten. Ken M. hatte sich an diese Auflagen gehalten – zuletzt zwei Stunden vor dem Mord.

Der Verzicht auf Untersuchungshaft soll nichts mit den überfüllten Gefängnissen zu tun haben. Justizsenatorin Gisela von der Aue sagte, dass es „nie eine Weisung oder auch nur ein Signal“ der Justizverwaltung an die Richter gegeben habe, wegen der Überfüllung auf das Einsperren von Straftätern zu verzichten.

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