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Vor eineinhalb Jahren wurde vor der Stadthalle Cottbus eine Frau von einem Pkw erfasst, drei Tage später starb sie.

© picture alliance/Anna Ringle/dpa

Tödlicher Autounfall in Brandenburg: Staatsanwaltschaft erhebt Anklage wegen fahrlässiger Tötung

Vor anderthalb Jahren starb eine ägyptischen Studentin in Cottbus bei einem Autounfall. Jetzt steht die Anklage. Rassismus soll keine Rolle gespielt haben.

Von Sandra Dassler

Es war die Nacht von Karfreitag auf Ostersonnabend 2017, als eine ägyptische Studentin der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus (BTU) durch einen schrecklichen Autounfall ihr Leben verlor: Ein Pkw hatte die junge Frau kurz nach Mitternacht auf der Fahrbahn an der Straßenbahnhaltestelle vor der Stadthalle erfasst, sie verstarb drei Tage später an ihren schweren Kopfverletzungen.

Jetzt hat die Cottbuser Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Fahrer des Autos erhoben, der in Dresden lebt. Ihm wird fahrlässige Tötung vorgeworfen, weil er „die in diesem Verkehrsbereich zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 Stundenkilometern um etwa 20 Stundenkilometer überschritten“ haben soll. Und weil die Ankläger davon ausgehen, dass „bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit die tödlichen Folgen für die Geschädigte vermeidbar gewesen wären.“

Fall hatte großes mediales Aufsehen erregt

Dabei stützt sich die Staatsanwaltschaft auf Gutachten des Brandenburgischen Landesinstituts für Rechtsmedizin sowie eines Sachverständigen der Dekra. Das Gericht habe die Anklageschrift an den Angeschuldigten und den Verteidiger zugestellt, teilte der Direktor des Amtsgerichts Cottbus, Michael Höhr, mit.

Der Fall, der vor dem Jugendschöffengericht verhandelt werden soll, weil der Angeklagte zum Tatzeitpunkt 20 Jahre alt war, hatte großes Aufsehen erregt. Medienberichten zufolge sollen Insassen des Unfallautos das tödlich verletzte Opfer verhöhnt und rassistisch beleidigt haben. Eine Zeitlang war sogar davon die Rede, dass das Auto extra beschleunigt habe, um die Studentin zu erfassen.

Ermittlungen zu rassistischen Beleidigungen eingestellt

Für alle diese Behauptungen gebe es keinerlei Beweise, hieß es bei der zuständigen Staatsanwaltschaft in Cottbus. Man habe nicht nur die Kommilitonen befragt, die in der Unfallnacht mit der Studentin unterwegs waren, sondern auch viele andere Zeugen. Niemand habe die Vorwürfe aus eigenem Erleben bestätigen können, manche hätten lediglich „etwas von anderen“ gehört.

Deshalb hat die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen zu den rassistischen Beleidigungen des Unfallopfers eingestellt. „Die Beweislage gibt einfach keine Anklage her“, sagte der Leiter der Behörde, Oberstaatsanwalt Bernhard Brocher, am Freitag dem Tagesspiegel: „Die einzige Zeugin, die von angeblich rassistischen Äußerungen des Beifahrers berichtet hatte, sagte in der Vernehmung aus, dass sie dies auch nur von anderen gehört und lyrisch verarbeitet habe. Aber von wem sie es gehört hatte, konnte sie nicht sagen.“ Auch ihr Freund und Dutzende weitere Zeugen des Unfalls hätten keine ausländerfeindlichen Sprüche gegen die schwer verletzte junge Frau bestätigen können, die nach Aussagen von Rettungskräften auch nicht „fremdländisch“ aussah.

Technisches Gutachten half bei Unfall-Bewertung

Durch die technischen Gutachten inzwischen sogar ausgeschlossen sei der Vorwurf einer Absicht des Fahrers. Dieser habe zwar beschleunigt – und zwar widerrechtlich von 20 Stundenkilometern auf 50 statt der erlaubten 30 Stundenkilometer. Aber das zu einem Zeitpunkt, als das spätere Opfer noch mit seinen Freunden auf dem Bürgersteig neben der Straßenbahnhaltestelle stand, wo sich mehrere weitere Personen aufhielten. Als die Studentin unvermutet auf die Fahrbahn trat, war der Angeklagte nur noch zehn Meter entfernt und konnte nicht mehr reagieren – weder beschleunigen noch bremsen.

Über die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen fahrlässiger Tötung hat das Amtsgericht noch nicht entschieden, teilte der Direktor Michael Höhr mit.

Große Debatte in sozialen Medien

Das öffentliche Interesse dürfte jedenfalls sehr groß sein. Nach dem Tod der Studentin war, vor allem auch in den sozialen Medien, die Rede davon, dass Zeugen sich aus Angst vor Rassisten in Cottbus nicht trauten, die Wahrheit zu sagen. Über Facebook verbreiteten sich entsprechende Meldungen, die von den sozialen Medien in Ägypten aufgegriffen wurden.

Die Heimatuniversität der jungen Frau in Kairo hatte deshalb darauf bestanden, dass ihre anderen Studenten nach Berlin umziehen sollten, weil sie in Cottbus nicht mehr sicher seien. Der damalige Präsident der Brandenburgischen Technischen Universität und jetzige Brandenburger Wirtschaftsminister, Jörg Steinbach, hatte dies als völlig übertrieben kritisiert.

Erneutes Betrachten des Rassismusvorwurfs gilt als unwahrscheinlich

Dass die in der Anklageschrift neben den beiden Sachverständigen benannten 19 weiteren Zeugen während des jetzigen Verfahrens noch einmal zu den angeblich rassistischen Äußerungen befragt werden, ist unwahrscheinlich. Zum einen sei das nicht Gegenstand dieser Verhandlung, zum anderen hatten sich diese Vorwürfe nicht gegen den Fahrer, sondern gegen den Beifahrer gerichtet. Beide jungen Männer seien im Übrigen noch nie wegen rassistischer Äußerungen aufgefallen, hieß es aus Ermittlungskreisen.

Auf fahrlässige Tötung steht bei Erwachsenen eine Höchststrafe von fünf Jahren. Da der Angeklagte zum Tatzeitpunkt erst 20 war und deshalb nach Jugendrecht verurteilt werden kann, dürfte das Strafmaß weitaus geringer ausfallen.

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