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Pfadfinder vom Stamm Askanier in Charlottenburg-Wilmersdorf.

© Julius Stockheim

Tradition und Trend – Pfadfinder in Berlin: Freiheit am Feuer für Stadtkinder

Die Pfadfinderbewegung gewinnt seit Jahren an Mitgliedern. Allein in diesem Jahr sind dem Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder schon über 150 Kinder und Jugendliche beigetreten.

In der linken Hand hält die zehnjährige Mala ein dickes Stück Holz, in der rechten ein Taschemesser. Damit schnitzt sie Holzspäne in Richtung der kleinen Feuerstätte vor ihr ab. Diese Späne sollen die Basis für das Lagerfeuer bilden, das der Stamm Askanier hier gleich zünden möchte. Die Askanier sind eine Pfadfindergruppe in Wilmersdorf. Zum Pfadfinderheim an der Rudolf-Mosse-Straße 11 gehört ein Garten mit Bäumen, Spielplatz und Feuerstelle.

Mala ist dem Stamm vor zwei Jahren beigetreten. Das Schnitzen macht sie nicht zum ersten Mal. „Man darf nur schnitzen wenn keine Hand davor ist“, erklärt sie. „Und nur im Sitzen.“ Während Mala auf ihr Stück Holz fokussiert ist, legen die anderen Kinder in ihrem Alter Äste zu den Spänen. Sie, die Kleinsten, sind die Wölflinge bei den Askaniern und bilden zusammen eine Meute. Mittlerweile liegt genug Holz für ein Feuer auf dem Boden.

Pfadfinderbund verzeichnet großen Mitgliederzuwachs

Der Stamm Askanier ist einer von 14 Stämmen im Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder (BdP), dem Landesverband für Berlin und Brandenburg. In den vergangenen Jahren hat das Pfadfinden im BdP einen regelrechten Trend erfahren. Seit 2008 hat sich die Zahl seiner Mitglieder mit 1100 laut eigenen Angaben fast verdoppelt. 2022 verzeichnete der Bund mit 230 Eintritten einen neuen Rekord. Zu den 14 Stämmen kamen allein in diesem Jahr drei Aufbaugruppen, also neue Stämme, hinzu.

Bei den Askaniern gibt es neben den Meuten noch mehrere Sippen, in denen sich jeweils sechs bis zehn Pfadfinder zwischen elf und 15 Jahren versammeln. Die Rover sind bei den Askaniern zwischen 16 und 26 Jahre alt. Sie bilden zu siebt eine Runde. Fast jeden Abend trifft sich eine der Gruppen an der Rudolf-Mosse-Straße 11. Der Stamm hat insgesamt etwa 60 Mitglieder.

Annemarie (links) und Feli engagieren sich schon seit ihrer Kindheit bei den Pfadfindern.

© Julius Stockheim

Unter ihnen sind auch Annemarie (19) und Feli (21). Sie leiten die einzelnen Gruppen, sind schon lange beim Stamm Askanier und gehören zum Stammesrat. Ihnen macht es Spaß, Neues auszuprobieren. Auch die Arbeit mit den Kindern gefällt ihnen. „Wir geben Kindern die Chance, einfach mal rauszukommen - gerade, wenn sie nicht ständig in den Urlaub fahren können“, sagt Annemarie.

Das sei vor allem auf gemeinsamen Fahrten der Fall. Jedes Jahr fährt der Stamm Askanier in den Sommerferien mit seinen Gruppen zwei bis drei Wochen weg. „Dann machen wir alles selbst: Jeder muss mal abwaschen, jeder muss mal aufräumen“, sagt Annemarie. Den Tag über spielen sie im Gelände, abends grillen sie, sitzen am Lagerfeuer und singen Lieder. Mit den älteren Kindern ab zwölf Jahren waren sie in diesem Jahr schon in Dänemark wandern. Ihre Aktivitäten teilen sie auch auf Instagram.

Inzwischen hat Feli Malas Späne angezündet. Die anderen legen Holzklötze dazu. Sie beugen sich über das kleine Feuer und schauen still zu, wie es langsam wächst. Annemarie fragt. „Wer möchte pusten?“ Mala formt mit den Händen vor ihrem Mund eine Höhle und pustet ins Feuer. Nichts passiert. „Du musst nicht so stark pusten, dafür aber lange“, erklärt Annemarie.

Weg von der dunklen Vergangenheit

Alle haben die Ärmel ihrer dunkelblauen Hemden und Takelblusen hochgekrempelt, so wie es sich laut der Kluftordnung bei den Askaniern gehört. Die meisten tragen auch ein gelbes, gebundenes Tuch um den Hals, Bei den Älteren hält das Stammeswappen das Tuch zusammen. Das Tuch steckt immer im Hemd, erklärt Annemarie.

Kluft mit Wappen der Askanier.

© Julius Stockheim

Solche „Uniformen“ könnten bei manchen unangenehme Assoziationen wecken, zum Beispiel zur Hitlerjugend. Deren Hemden waren aber immer bis oben zugeknöpft, ihr Halstuch trugen sie offen. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden alle Pfadfinderverbände aufgelöst und ihre Mitglieder in die Hitlerjugend überführt. Seit 1947 gibt es wieder Pfadfindergruppen, seitdem möchte sich die Pfadfinderbewegung von dieser Zeit stark abgrenzen.

Ganz los ließen sie die Vorurteile, Pfadfinder hätten etwas mit der Hitlerjugend zu tun, aber bis heute nicht, sagt Annemarie. Es gebe deswegen sogar überregionale Geschichtskunde-Treffen für Pfadfinder. Einige alte Nazi-Gesänge oder andere Lieder mit diskriminierendem Inhalt haben sie noch nach der NS-Zeit gesungen, inzwischen sind die aber aussortiert. „Als wir in Sachsen wandern waren, haben uns mal zwei Jungs den Hitlergruß gezeigt“, erzählt Feli. Sie hatte den Eindruck, die beiden würden sich über die Kluft lustig machen.

Das Lagerfeuer der Askanier ist weiter gewachsen und knistert vor sich hin. Die Wölflinge holen Gitarren und Liederbücher. Sie sitzen im Kreis ums Lagerfeuer und singen „Die Lappen hoch“: ein altes Pfadfinderlied, in dem es um eine lange Seefahrt geht. Feli begleitet zusammen mit einem Kind den Gesang mit der Gitarre. Dann spießen sie Marshmallows auf Stöcke und halten sie über das Feuer.

Die Pfadfinder scheinen mit ihrem Stamm ein Gefühl von Freiheit zu verbinden. Hier, in dem Garten zwischen den Häuserblöcken, sind sie frei und unbestimmt. „Dieses sich selbst ausprobieren, das macht so Spaß“, sagt Annemarie. „Man hat niemand, der einem was vorschreibt, keine Eltern“, fügt sie hinzu. Über die Häuserblöcke legt sich schon die Wilmersdorfer Abendsonne. Feli, Annemarie, Mala und die anderen verabschieden sich: „Gut Pfad!“

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