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Berlin: Treppen in die Vergangenheit

Am Neuen Stadthaus wurden Reste des Großen Jüdenhofs aus dem 13. Jahrhundert ausgegraben

Jörg Haspel ist kaum zu verstehen. Der Landeskonservator muss darum kämpfen, dass seine Worte nicht komplett im Motorengedröhn der Grunerstraße untergehen. Es wirkt, also wolle diese breite innerstädtische Straße, die das mittelalterliche Berlin unter sich begräbt, immer noch verhindern, dass die Geschichte wieder ans Tageslicht kommt. Doch zu spät: Drei Keller des Großen Jüdenhofs sind bereits ausgegraben, drei weitere sollen in den nächsten Wochen folgen.

Wieder einmal ist der Boden geöffnet, dieses Mal auf dem Parkplatz hinter dem Neuen Stadthaus. Wie vor dem Rathaus, wie am Petriplatz, wie am Schlossplatz. Und wieder sind da backsteinerne Keller, Ansätze von Gewölben, Treppen, auf denen einst jemand hinunterstieg – um Kartoffeln zu lagern oder Wein zu holen? Wieder ist für jeden sichtbar, dass im Zentrum Berlins so viel mehr war als belanglose Rasenflächen, neckische Springbrunnen und plattbetonierte Parkplätze. Seit vier Wochen graben die Archäologen vom Landesdenkmalamt auf dem Großen Jüdenhof, jetzt wurden erste Ergebnisse der Öffentlichkeit vorgestellt. Neben den Kellern haben sie auch zwei Pflasterschichten aus den 30er Jahren und dem 19. Jahrhundert freigelegt sowie Schmelztiegel und Glasscherben aus der Mitte des 18. Jahrhunderts gefunden, wie Gravuren beweisen. „Wir wollen auf diesen Ort hinweisen, auch wenn wir keine archäologischen Sensationen verkünden können“, sagt Haspel, wenn man ihn gerade mal verstehen kann.

Der Große Jüdenhof ist ganz altes Berlin: Er entstand im 13. Jahrhundert, ein abgeschlossener, durch einen Durchgang zu erreichender Innenhof mit zwölf Häusern. Die Juden, die hier wohnten, hatten eine wichtige Funktion: Sie stellten das Geld bereit, das für den Handel auf dem Molkenmarkt gleich nebenan gebraucht wurde. „Es war kein Ghetto“, betont Grabungsleiter Gunnar Nath. Juden wohnten hier aber schon seit den Pogromen des 16. Jahrhunderts nicht mehr. Paradoxerweise benannten die Nazis die Anlage nicht um, für das Blendwerk der Olympischen Spiele 1936 restaurierten sie sie sogar. 20 Jahre später verschwand sie im Zuge der autogerechten DDR-Stadtplanung, der das Monstrum der Grunerstraße sein Entstehen verdankt, vollständig vom Erdboden, an ihre Stelle trat die denkbar profanste Nutzung: ein Parkplatz. Nur ein Akazienbaum blieb stehen, er wurde nach der Wende von einem eifrigen Parkplatzbesitzer abgeholzt. Der Stumpf steht noch, er hat inzwischen, wie zum Trotz, prachtvolle, meterhohe neue Triebe entwickelt.

Sie wirken wie ein Signal, dass der Große Jüdenhof wieder eine Zukunft hat. 2012 können die Archäologen noch graben. Sie erwarten unter anderem, die Synagoge und ein Ritualbad zu entdecken. Danach soll die Grunerstraße nach Planungen des Senats verschwenkt werden und der Jüdenhof wiederentstehen – auf Grundlage des historischen Stadtgrundrisses. „Wir haben hier die Chance, die Vergangenheit produktiv zu machen und eine Brücke vom Mittelalter ins 21. Jahrhundert zu schlagen“, sagt Haspel, als der Verkehr mal kurz Pause macht.

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