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Berlin: Turmbauer zu Moskau

Der Berliner Architekt Sergei Tchoban zeichnet gern Traumstädte – und errichtet zurzeit das höchste Gebäude Europas

Berlin würde er das nie antun. St. Petersburg auch nicht, der verwinkelten Stadt von Dostojewski, Tolstoi und seiner Kindheit. Moskau, doch, da kann man so was machen. Einen Wolkenkratzer bauen, der mit 350 Höhenmetern neuer europäischer Rekordhalter sein wird. Entworfen hat ihn Sergei Tchoban, preisgekrönter Architekt aus Berlin und laut „Moscow Times“ der berühmteste russische Baumeister westlich des Kremls.

Termin in Tchobans Büro, Hackesche Höfe, zur Abendbrotzeit. Der Meister telefoniert auf Russisch, quert mehrfach das Büro auf der Diagonalen, um dann auf einer freischwingenden Metalltreppe nach oben zu entkommen. Es ist heiß. Etwa 15 Nachwuchs-Architekten ackern hinter ihren Flachbildschirmen. Das Rekordhochhaus, das sie planen, hat sicherlich eine Klimaanlage. Die Haustechnik belegt allein sechs Etagen von 93. Der Fahrstuhl soll eine Höchstgeschwindigkeit von 14 Metern pro Sekunde erreichen (Berliner und europäischer Rekord liegt bei sechs Metern je Sekunde). Der „Federation Tower“ mit Fünf-Sterne-Hotel, Luxus-Appartements und Büroflächen soll 2008 fertig sein, nach vier Jahren Bauzeit und einer Investition von rund 400 Millionen Euro.

Tchobans Besprechungsraum aus Glas wirkt wie ein ausgehöhlter Eiswürfel. Trotzdem ist das Mineralwasser auf dem schwarzen Kartentisch lauwarm. Nach einer halben Stunde erscheint Tchoban, im offenen weißen Hemd und schwarzer Anzughose, die Schultern nach vorne gebeugt, im Habitus eines Dirigenten, dessen Geist immer ein wenig über den profanen Erledigungen des Alltags schwebt. Tchoban hat an der Kunstakademie von St. Petersburg studiert und mit Auszeichnung abgeschlossen. Der 43-Jährige zeichnet utopische Raumvisionen: Im Wasser versinkende Städte, surreale Gebäudebrücken zwischen Moskau und St. Petersburg, ornamentale Traumbilder. Allein wegen seiner Zeichnungen fällt Tchoban aus dem Rahmen seiner Zunft. In seinem Kopf vermengen sich die klassischen europäischen Bauepochen zu einer nie versiegenden Inspirationsquelle.

Utopien scheitern meistens am Veto der Bauherren, aber manchmal funktionieren sie doch, wie der Fahrstuhl durch die Tiefseeröhre im Dom-Aquaree in Berlin-Mitte. Ursprünglich wollte Tchoban einen Wellness-Bereich auf dem Dach des Hotels errichten, in dem sich Menschen und Fische im nassen Medium tummeln und gegenseitig beobachten, aber diese Idee blieb auf der Strecke.

Von ihm ist auch das Cubix-Kino am Alex. Außerdem ist sein Büro mit der Rekonstruktion des Berolinahauses und dem Umbau von Europacenter und Bikinihaus betraut. Ein Architekt muss vielseitig sein, sagt Tchoban. Auf seinem Karriereweg sollten ein Bahnhof stehen, ein Stadion und natürlich ein Wolkenkratzer. „Ich stehe noch am Anfang“ – das ist natürlich weit untertrieben und eher emotional zu deuten. Sergei Tchoban ist ein Getriebener seiner Leidenschaft.

Die beanspruchte früh seine ganze Aufmerksamkeit. Als Angehöriger einer Gelehrtendynastie las sich Sergei durch den Kanon der russischen Literatur und versank besonders an jenen Stellen in stille Seligkeit, wo es um die Häuser und Hinterhöfe St. Petersburgs ging, in denen die Helden traumatische Erfahrungen machten. Diese literarischen Räume waren teils fiktiv, teils real und Sergei konnte stundenlang durch seinen Altstadtdistrikt spazieren, während sein Geist die Buchpassagen memorierte.

Nun könnte man vermuten, seine frühen Jahre zielten auf den Lebensentwurf eines weltentrückten Poeten, aber Tchoban hat in seinem Kopf eine Trennwand installiert, hinter der seine klar kalkulierende Ratio ungestört arbeiten kann. Weil es ihm an technischer Expertise mangelte, ging er in den Westen, wie einst Zar Peter. Dass er in Hamburg landete, war eine Mischung aus Zufall und Interesse für die Stadt. Er schloss sich einem Architektenbüro an und übernahm Mitte der 90er Jahre dessen neugegründete Berliner Dependance.

Die Spandauer Vorstadt, überhaupt das Berlin der sanierten Altbauten, gefällt Tchoban als Lebensraum sehr gut. Er baut modern, fügt sich aber klaglos ins Korsett der Stadt ein und besticht nicht durch extravagante Formen. Seine Handschrift hinterlässt er eher im Innern, in Foyers und Atrien.

Der Wert eines Hauses erweist sich für Tchoban erst, wenn es gealtert ist. „Die Falten machen das menschliche Gesicht interessant. Genauso ist das mit Gebäuden. Sie müssen mit Anstand altern. Glatte Oberflächen wie Glas altern schlecht. Sie verlieren oft an Perfektion.“

Und das Cubix-Kino? „Die Fassade des Cubix Kinos ist aus poliertem Stein, der altert hoffentlich sehr langsam, weil es eine sehr hochwertige Oberfläche ist – Naturstein. Beim Cubix-Kino gibt es ein anderes Problem. Die Nutzung altert leider viel schneller als der Bau selbst. Dafür kann der Architekt aber nichts.“

Tchoban unterbricht das Gespräch und ruft durch die geschlossene Tür des Eiswürfels eine junge Frau hinein, um ein paar Anweisungen zu geben. Später, auf der Freischwinger-Treppe, spricht ihn ein anderer Mitarbeiter an: „Sergei, was ist mit unserem Termin?“ Oh, dafür fehlt jetzt die Zeit. „Das müssen wir morgen machen.“ Solche kleinen Pannen steckt er mit einem Lächeln weg. Der Abend hat ja gerade erst begonnen. Wenn ein Termin platzt, ist der folgende völlig ungefährdet. „Arbeit ist für mich der Hauptlebensinhalt“, sagt Tchoban und macht sich auf den Weg zum nächsten Treffpunkt. Weil die Wege in Berlin kürzer sind als in der russischen Metropole, weil die Stadt harmonischer, menschlicher wirkt, das Arbeiten angenehmer ist als im hektischen Moskau, deshalb will Tchoban hierbleiben. Wolkenkratzer baut er lieber in der Ferne.

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