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Berlin: Über Computer-Inder wird geredet - aber Köche werden gesucht - übertarifliche Gehälter längst normal

Der Job ist anstrengend und bietet jede Menge unbezahlte Überstunden - aber auch die Aussicht auf Spitzengehälter, Medienpräsenz und Ruhm. Dennoch werden qualifizierte Köche in ganz Deutschland, vor allem aber in Berlin, verzweifelt gesucht: Insider beziffern den Fehlbestand in der Stadt allein gegenwärtig auf minimal hundert, in näherer Zukunft eher tausend Fachkräfte.

Der Job ist anstrengend und bietet jede Menge unbezahlte Überstunden - aber auch die Aussicht auf Spitzengehälter, Medienpräsenz und Ruhm. Dennoch werden qualifizierte Köche in ganz Deutschland, vor allem aber in Berlin, verzweifelt gesucht: Insider beziffern den Fehlbestand in der Stadt allein gegenwärtig auf minimal hundert, in näherer Zukunft eher tausend Fachkräfte. Inzwischen geraten viele neue Betriebe in ernste Schwierigkeiten, weil sie nicht genug Personal finden. Die Stadt möchte Gourmet-Metropole werden und hat zweifellos die nötigen Top-Könner - aber die stehen ohne Mannschaft da.

Siegfried Rockendorf, einer der bekanntesten deutschen Köche, erfuhr es kürzlich beim Start seines neuen Restaurants in der Passauer Straße. Eine bessere Karrierestation ist eigentlich kaum denkbar - doch fünf von zwanzig neuen Mitarbeitern, vier Köche und ein Kellner, erschienen schlicht nicht zur Arbeit, obwohl sie Arbeitsverträge unterzeichnet und beim Vorstellungsgespräch einen motivierten Eindruck hinterlassen hatten. "In einem Fall hätten wir eigentlich Vermisstenanzeige erstatten müssen", sagt der renommierte Küchenchef, der seinen ambitionierten Start nun quasi mit angezogener Handbremse absolvieren muss.

Doch auch wenn die Neuen zur Arbeit antreten, ist das nicht automatisch besser: In Betrieben mit anspruchsvoller Küche rechnet man inzwischen damit, dass bis zu 50 Prozent der Mitarbeiter in Küche und Service die Eröffnungsphase nicht überstehen, weil sie selbst kündigen oder wegen Unfähigkeit oder mangelnder Belastbarkeit entlassen werden. Manchmal kommt es auch gar nicht so weit: Peter Antony, der Chef des Hotels am Borsigturm, möchte dort in den nächsten Wochen ein Weinbistro eröffnen und sucht händeringend einen zuverlässigen Koch für ein keineswegs besonders anspruchsvolles Programm mit Flammekuchen, Salaten, Suppen. Doch diese Kräfte gibt es offenbar nicht: Antonys größte Annäherung bestand aus einem Telefongespräch mit einem Kandidaten vom Arbeitsamt, der ohne Umschweife erklärte, der tägliche Weg von Neukölln nach Tegel sei ihm zu weit.

Und dann das Geld. Herbert Beltle (Altes Zollhaus, Aigner) klagt wie viele seiner Kollegen über überzogene Gehaltsforderungen auf Akademiker-Niveau. "Gerade ausgelernt in irgendeinem Allerweltsbetrieb und dann gleich vierfünf brutto verlangen" - das erlebt er inzwischen ständig. "Für Köche zahlen inzwischen praktisch alle über Tarif", bestätigt auch Karl Weißenborn, der Chef der Berliner Hotel- und Gaststätteninnung, "aber geredet wird immer nur über die Computer-Inder". Seine Einschätzung legt die Absurdität des Berliner Arbeitsmarktes dieser Branche offen: "Wer heute wirklich gute Leute haben will, muss abwerben." Dadurch wird die Zahl der offenen Stellen freilich nicht kleiner.

Die Fachvermittlung für Hotel- und Gaststättenpersonal beim Arbeitsamt hat ständig 14 000 Arbeitskräfte in ihrer Kartei, davon allerdings nur 1200 bis 1300 ausgelernte Köche. Die Leiterin Anneliese Rohwerder sagt überdies einschränkend, nur etwa ein Drittel davon könne als uneingeschränkt vermittelbar angesehen werden. Ältere Köche seien dem strapaziösen Restaurantgeschäft oft nicht mehr gewachsen, viele Frauen wegen familiärer Verpflichtungen nur in engen Grenzen verfügbar, und andere kämen schon wegen ihrer äußeren Erscheinung für die anspruchsvolle Gastronomie kaum in Betracht. Überdies leiden viele Köche unter Alkoholproblemen oder beruflich bedingten Allergien. Offenbar läuft wie auch in anderen Branchen ein großer Teil der Vermittlung am Arbeitsamt vorbei, denn gegenwärtig sind nur rund 140 offene Stellen gemeldet.

Eine Entspannung der Lage ist äußerst unwahrscheinlich. Denn in der Stadt kommen unentwegt neue Restaurantplätze hinzu, beispielsweise mehrere hundert im Esplanade-Projekt des Sony-Centers. Im Dorotheen- und Alsenblock, wo künftig die Bundestagsabgeordneten arbeiten, wird die Firma Dussmann die Bewirtschaftung der großen Kantinen übernehmen. Und über weitere Hotelprojekte wird ständig gesprochen, wenn auch gegenwärtig keins vor der Eröffnung steht. Auch Karl Weißenborn weiß kein schnell wirkendes Gegenmittel. Öffentlichkeitsarbeit sei der einzige Weg, Werbung für den Kochberuf "am besten von der Wiege an". Deshalb freut es ihn sehr, dass immer wieder Köche versuchen, schon bei Schulkindern Interesse am Kochen und Genießen zu wecken. Den Berliner Restaurants mit ihren akuten Personalproblemen hilft das wenig.

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