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Jetzt fehlt nur noch Peter. Dagmar Tabbert führt „Neu-Helgoland“ seit 1986 in vierter Generation. Ein Konzert von Peter Maffay am Müggelsee – das wär’s. Fotos (3): Paul Zinken

© Paul Zinken

Berlin: Unterhaltsame Randlage

Gut essen und trinken, dazu Konzerten und Lesungen lauschen – das bieten auch Ausflugslokale

Die Havel ist mit dünnem Eis bedeckt, die Eichen recken ihre kahlen Äste in den grauen Februarhimmel, und ein kalter Wind beugt die kleinen Köpfe der ersten Schneeglöckchen. Um diese Jahreszeit zeigen sich der Forst Düppel und das Havelufer in Wannsee von ihrer ungemütlichen Seite, nur wenige Spaziergänger sind unterwegs. Es ist die Zeit, in der es nicht leicht ist, hier draußen am Rand von Berlin ein Ausflugslokal wie das „Wirtshaus Moorlake“ zu betreiben. Damit das auf Dauer gelingt, braucht es gastronomische Erfahrung, etwas Glück und vor allem eine gute Idee.

Über all diese Dinge verfügt Familie Roeder, die das Haus in Nähe der Pfaueninsel seit rund 30 Jahren in zweiter Generation führt. Einst hat Friedrich Wilhelm IV. das Forsthaus im Jahr 1840 für seine Frau, Elisabeth von Bayern, von Schinkel-Schüler Ludwig Persius bauen lassen, seit 1875 diente es als Gastwirtschaft. 1982 übernimmt Fritz Roeder das heruntergekommene Wirtshaus. Zuvor hat Roeder zehn Jahre die Gastronomie und Kantine des Schillertheaters betrieben. Die Bekanntschaften mit Schauspielern aus dieser Zeit legen den Grundstein für die Besonderheit, die die „Moorlake“ seit über 15 Jahren auszeichnet: Von Ende Oktober bis Ende März finden hier im Rahmen eines Drei-Gänge-Menüs an vielen Wochenenden Lesungen bekannter Film-, Fernseh- und Theaterschauspieler statt. Weit über 100 Prominente haben in der „Moorlake“ gelesen, darunter Günter Pfitzmann, Günter Lamprecht, Ulrich Pleitgen, Dieter Hildebrandt, Horst Bollmann und Hannelore Hoger.

Fast immer sind die Abende in dem schönen Festsaal mit Kamin und dunklem Holz, der hohen Decke, den gemütlichen gelben Lampenschirmen und dem Rokoko-Tisch, an dem die Schauspieler lesen, gut besucht, oft gar ausverkauft. „Womöglich schließen wir eine Lücke für viele Menschen vor allem aus West-Berlin, die früher gern ein Haus wie das Schillertheater besucht haben“, sagt Matthias Roeder. Der frühere Student der Kunstgeschichte gab 1982 seine Tätigkeit als Regieassistent am Staatstheater Stuttgart auf, um seinen Eltern in der „Moorlake“ zu helfen und hat 2010 nach dem Tod seines Vaters die Leitung des Hauses mit dem großen Außenbereich direkt am Wasser übernommen.

Dabei sollte die erste Lesung 1992 zunächst eine einmalige Sache sein: Fritz Roeder war aus den Tagen im Schillertheater gut bekannt mit Carl Raddatz, der besonders gern Carl Zuckmayer rezitierte. Das könne er doch mal auf der kleinen Bühne des Festsaals machen, animiert Seniorchef Roeder den Schauspieler. Gesagt, gelesen. Wenig später folgt Otto Sander mit Gedichten von Ringelnatz. Alles Weitere ergibt sich fast von selbst. „Wir konnten mit den beiden großen Namen punkten, so dass viele andere Schauspieler folgten”, erinnert sich Matthias Roeder.

Auch wenn der 56-Jährige es bedauert, dass die Zeit für Familienurlaub auf Amrum fehlt: Man merkt Roeder an, wie viel Spaß ihm der Spagat zwischen Gastronomie und Kultur macht. Obwohl es immer wieder kleine Hindernisse gibt wie die Verkürzung der Buslinie 218 aus Charlottenburg, die nun nicht mehr bis zur „Moorlake“ fährt. Ein kleines Stück Theater hat Roeder mit den Lesungen jedenfalls aus seinem alten Leben ins neue herübergerettet. Auch die Liebe zur Gastronomie lebt in ihm weiter: „Wir wollen ein Haus für alle Schichten und Jahrgänge sein“, sagt er und ist stets dabei, neue Lese-Gäste für die „Moorlake“ zu gewinnen.

Dass Veranstaltungsorte am Rand der Stadt nichts mit Großraumdisko oder Tanzlokalen auf Campingplätzen zu tun haben müssen, zeigt auch die etwa fünf Kilometer entfernte „Mutter Fourage“: Im Hof der einstigen Futtermittelhandlung finden seit über 30 Jahren in den Sommermonaten Konzerte, Lesungen und Veranstaltungen für Kinder statt.

Am entgegengesetzten Ende der Stadt gut 50 Kilometer entfernt, in Müggelheim, befindet sich ebenfalls eine traditionsreiche Ausflugsgastronomie. Sie rettet sich mit einem anderen Schwerpunkt über die besucherarme Winterzeit: Das Restaurant „Neu-Helgoland“ mit der großen überdachten Veranda am Ufer der Müggelspree ist ein Mekka der Ostrockszene. Hier spielten schon die Puhdys, die Klaus Renft Combo, Lift, Veronika Fischer und die Modern Soul Band von Gerhard „Hugo“ Laartz. Zu Gast waren Armin Mueller-Stahl, Til Schweiger und Loriot, der sein berühmtes knollennasiges Männchen ins Gästebuch malte und „Ein Hoch auf Müggelheim!” dazu schrieb. „Den großen Saal bei Konzerten zu füllen, kostet viel Anstrengung und Zeit“, sagt Inhaberin Dagmar Tabbert, die das Haus seit 1986 in vierter Generation führt – die fünfte hilft bereits mit, die sechste wächst gerade heran. Tabberts Urgroßvater hatte das Haus Ende des 19. Jahrhunderts gekauft. Das viele Wasser drumherum gab dem Ort seinen Namen.

2002 kam es durch Brandstiftung, deren Verursacher nie ermittelt werden konnten, zu einer Katastrophe für die Familie: Das alte „Neu-Helgoland” brannte bis auf die Grundmauernnieder, und nur mithilfe von Krediten, vielen Unterstützern und Benefizkonzerten wurde bereits an Silvester 2002 Neu-Eröffnung gefeiert. „Die Angst, es könnte wieder passieren, lässt einen nie mehr los”, sagt Tabbert. Doch die 56-Jährige ist keine, die sich unterkriegen lässt. Stets ist auch sie auf der Suche nach neuen Künstlern, ein Auftritt von Peter Maffay wäre ihr großer Traum. Mit ihm kämen vielleicht auch mehr Besucher aus West-Berlin zur Fachwerk-Idylle am Müggelsee.

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