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Berlin: Unterm Brennglas

Matthias Köhne will den Großbezirk Pankow weitere fünf Jahre regieren Herausgefordert wird er von seiner Stellvertreterin und dem Ordnungsstadtrat

Er will wiedergewählt werden, das hat er mit seinem Genossen Klaus Wowereit gemein. Nur spricht ein Punkt gegen Matthias Köhne (SPD), zumindest theoretisch: Bislang hat noch kein Pankower Bürgermeister sein Amt bei einer Wahl verteidigen können. Das will der 45-Jährige, der den Bezirk seit 2006 regiert, ändern. Laut Wahlinformationsdienst election.de hat er sogar reale Chancen, weitere fünf Jahre Chef im Rathaus an der Breiten Straße zu bleiben. Bei einer vom Tagesspiegel in Auftrag gegebenen Prognose liegt die SPD im Bezirk vorn.

Hoffnungen auf die Wahl zum Bürgermeister darf sich aber Herausforderer Jens-Holger Kirchner von den Grünen machen. Der 51-Jährige ist Stadtrat für öffentliche Ordnung, Verkehr und Verbraucherschutz. Bundesweit bekannt wurde er durch die Einführung der sogenannten Ekelliste, die hygienisch mangelhafte Restaurants und Imbisse auf einer Internetseite des Bezirks namentlich benennt. In der aktuellen Prognose von election.de haben die Grünen im Bezirk deutlich zugelegt. 2006 lagen sie noch mit 17,2 Prozent auf dem dritten Platz, nun könnten sie an den Linken vorbeiziehen. Letztere bekamen vor fünf Jahren noch 22,8 Prozent der Stimmen. In das Rennen um das Bürgermeisteramt schicken sie Christine Keil. Die 57-Jährige ist derzeit stellvertretende Bezirksbürgermeisterin und Stadträtin für Jugend und Immobilien. Bei der vergangenen Wahl erlitt ihre Partei Verluste von 14,4 Prozent im Vergleich zu 2001.

Denkbar wäre, dass die Grünen durch eine Zählgemeinschaft das Rathaus übernehmen. Wenn man Jens-Holger Kirchner darauf anspricht, gibt er sich nüchtern und will sich nicht festlegen lassen. Es gebe „keine klaren politischen Farbspiele“, Gedankenspiele vor dem amtlichen Endergebnis lägen „im Bereich der Spekulation“ und hingen außerdem von der landespolitischen Entwicklung ab.

Es gibt jedoch einen Risikofaktor, der Kirchner Stimmen kosten könnte: Seit Beginn des Umbaus der Kastanienallee machen die Gegner des umstrittenen Projekts mit Plakaten und Bannern Stimmung gegen ihn. Die Bürgerinitiative „Stoppt K21“ wirft dem Ordnungsstadtrat vor, den Flair der berühmten Flaniermeile zu zerstören – und durch mangelnde Berücksichtigung von Anwohnerinteressen grüne Ideale wie etwa Bürgerbeteiligung zu verraten. Gerade in der Gegend um die Kastanienallee wohnen viele grüne Stammwähler, denen rät „Stoppt K21“ nun, die Piratenpartei zu wählen. Ob der Konflikt im Rest des Bezirks wahrgenommen wird, ist derzeit offen.

Prenzlauer Berg, Pankow, Weißensee waren vor zehn Jahren noch eigenständig, erst seit der Verwaltungsreform bilden sie den Großbezirk Pankow. Dieser hat sich seither rasant entwickelt. Knapp 370 000 Einwohner zählt er heute, die Arbeitslosenquote liegt mit etwas über zehn Prozent unter dem Berliner Durchschnitt, die Geburtenrate ist höher als in vielen anderen Stadtteilen. Wegen seiner zahlreichen Bars und Boutiquen ist der Bezirk seit Jahren ein Touristenmagnet. Immer wenn es darum geht, gesamtgesellschaftliche Entwicklungen zu antizipieren, ist er eine Art Brennglas.

An einem kalten Spätsommerabend sitzen Matthias Köhne, Jens-Holger Kirchner und Christine Keil in den Räumen eines Vereinshauses in Weißensee. Gekommen ist auch Torsten Kühne von der CDU. Vom Veranstalter war er nicht eingeladen, offenbar weil ihm wenig Chancen auf das Bürgermeisteramt ausgerechnet werden – seine Partei bekam bei der vergangenen Wahl 12,6 Prozent der Stimmen. Nachdem sich das Publikum aber dafür ausgesprochen hat, darf auch Kühne auf dem Podium Platz nehmen. In dem kargen Raum sitzen knapp 50 Menschen. Viele von ihnen sind auffallend jung, um die 20. Sie sind von der Jungen Union, wie sich später herausstellt.

In den folgenden anderthalb Stunden wird viel über die „Herausforderungen“ gesprochen, vor denen der Bezirk steht. Über den Umgang mit Investoren, über das soziale Gefüge, über steigende Mieten. Matthias Köhne sagt, dies sei eine der wichtigsten Aufgaben: aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und diese künftig zu vermeiden, indem man etwa nicht nur auf Luxussanierungen setzt.

Köhne will die soziale Verdrängung künftig besser eindämmen, den Bezirk ebenso kinder- wie seniorenfreundlich gestalten. Zudem müsse man weiterhin verstärkt den Tourismus fördern, allerdings in „geordneten Bahnen“, um unerwünschte Folgen wie illegale Ferienwohnungen zu verhindern. Christine Keil nennt als einen ihrer Schwerpunkte die weitere Sanierung von Schulen und Kindertagesstätten, Jens-Holger Kirchner spricht sich für mehr Verwaltungsfreundlichkeit gegenüber Gewerbetreibenden aus, Kühne erklärt Wirtschaftswachstum und den Ausbau des Wissenschaftsstandorts Buch zu seinen Anliegen.

Was auffällt an diesem Abend: Köhne wirkt in der Rolle des Titelverteidigers ruhig und besonnen, Kirchner hingegen ist um markige Sprüche nicht verlegen. Beim Thema Straßenausbaubeitragsgesetz will er nicht mit sich diskutieren lassen. Er befürwortet die Beteiligung von Grundstückseigentümern an der Finanzierung – und bringt dadurch einen Teil des Publikums gegen sich auf. Es scheint, als ob er erst bei Gegenwind so richtig aufdreht. Nana Heymann

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