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Einfach drüber. Bei Dunkelgelb noch Gas geben, bei Rot einfach weiterfahren, scheint ein Hobby der Berliner zu sein. Wer sich am Sonntag als Passant ein paar Minuten an die Kreuzung Wilhelm-/Ecke Leipziger Straße stellte, konnte die Verstöße mitzählen.

© Thilo Rückeis

Verkehr in Berlin: Rot sehen – und schnell noch Gas geben

Rotlicht-Verstöße gelten als eine Hauptursache für Unfälle. Trotzdem stehen in Berlin seit Jahren nur 17 Blitzer.

Rot sehen und stoppen – im Straßenverkehr gilt das längst nicht mehr. Der Praxistest an einem Sonntagmittag mit wenig Verkehr fällt ernüchternd aus: An der willkürlich ausgewählten Kreuzung der Leipziger Straße Ecke Wilhelmstraße in Mitte fuhr innerhalb von acht Gelb- und Rotphasen sechs Mal mindestens ein Auto bei rotem Licht über die Kreuzung. Bei Gelb wurde immer weitergefahren, meist waren es zwei oder drei Autos. Dabei war auch ein Fahrer, der nur mit Schrittgeschwindigkeit über die Kreuzung schlich und problemlos hätte stoppen können.

Rotlichtverstöße sind eine der Hauptunfallursachen im Straßenverkehr: 28 solcher Unfälle zählte die Polizei im vergangenen Jahr allein am Großen Stern, 27 waren es an der Autobahnabfahrt Oberlandstraße. Zahlen für dieses Jahr will die Polizei erst 2012 mitteilen.

Mehrere Menschen sind nach solchen Verstößen in den vergangenen Jahren in Berlin getötet worden. „Wer rücksichtslos Rotlicht missachtet und dadurch das Leben Unschuldiger gefährdet, gehört beweiskräftig festgestellt und zur Verantwortung gezogen“, teilt die Polizei auf ihrer Internetseite mit. Doch die Zahl der installierten Blitzer hat sich in den letzten zehn Jahren kaum erhöht. 2003 waren es 14, im Jahr 2007 kamen dank eines Sonderprogramms des Landes drei weitere hinzu. Dabei blieb es bis heute.

Immerhin wurde vor wenigen Wochen der erste der störanfälligen Rotlicht-Blitzer, der noch mit Fotofilmen arbeitet, durch ein modernes Gerät ersetzt. Die unauffällige Säule steht an der Bundesallee Ecke Güntzelstraße in Wilmersdorf. Ihre digitalen Bilder werden direkt in die Bußgeldstelle überspielt. Dem Vernehmen nach sollen sukzessive die alten Geräte durch die neuen Säulen ersetzt werden. Zudem testet die Polizei eine mobile Anlage zur Rotlichtüberwachung, die an jeder Kreuzung aufgebaut werden kann.

Doch trotz ihrer Technik von gestern fotografierten die 17 Ampel-Blitzer im Vorjahr knapp 40 000 Rotfahrer, mehr als 100 pro Tag, wozu noch einmal weitere 20 000 Anzeigen, etwa nach Verkehrsunfällen, kamen. Gesündigt wird fast überall. Beim Test am Sonntag wiederholte sich das Ergebnis an den Kreuzungen Leipziger Straße Ecke Mauerstraße und Friedrichstraße. Innerhalb von 15 Minuten war auch dort bei jeder Rotphase fast immer ein Rotlichtfahrer unterwegs, bei Gelb fuhren stets noch drei oder vier Autos über die Kreuzungen – obwohl ein Bremsen zu keiner Gefährung des nachfolgenden Verkehrs geführt hätte. Dabei schreibt die Straßenverkehrsordnung bei Gelb unmissverständlich vor: „Vor der Kreuzung auf das nächste Zeichen warten.“ Strittig ist unter Juristen, wann gebremst werden muss und wann noch gefahren werden darf. Meist wurde bei dem Test mit unveränderter Geschwindigkeit gefahren. Einmal drückte ein Autofahrer sogar extra aufs Gas, als es schon längst Rot war.

An den Uferstraßen am Landwehrkanal war auffallend, dass innerhalb einer Fahrzeugschlange zwischen den Kreuzungen die letzten Autos fast immer noch über die Kreuzungen bretterten – egal, ob die Ampel schon Gelb oder gar Rot zeigte. Und selbst an Kreuzungen mit ganz wenig Verkehr, wo ein Stoppen einfach gewesen wäre, gab es beim Test immer wieder Fahrten bei Rot und erst recht bei Gelb. Die meisten Fahrer stammten dabei aus Berlin.

Der CDU-Abgeordnete Peter Trapp fordert jetzt mehr stationäre Blitzer, vor allem an Unfallschwerpunkten. Vorteil der fest installierten Geräte sei, dass sie kein Personal benötigen und sich über kurz oder lang selbst finanzieren. Auch der erzieherische Wert sei enorm, sagt der CDU-Abgeordnete. Dies zeigten die 2010 im Britzer Tunnel eingebauten „Schwarzblitzer“ gegen Raser. Seitdem werde dort deutlich mehr nach Vorschrift gefahren, sagte Trapp. Er zeigte sich optimistisch, dass die künftige rot-schwarze Koalition weitere Anlagen aufstellen werde: „Die Senkung der Zahl der Verkehrstoten muss Ziel jeder Koalition sein.“ Die Grünen hatten sich schon 2008 für mehr stationäre Blitzer gegen Raser und Rotlichtfahrer ausgesprochen. Damals hatten noch alle anderen Parteien dies abgelehnt.

Die Verkehrsbehörde setzt, wie berichtet, seit Jahren auf mobile Kontrollen – im Wissen, dass der Polizei das dazu notwendige Personal fehlt. Die 105 vorhandenen mobilen Tempomessgeräte waren 2009 durchschnittlich täglich nur 42 Minuten im Einsatz. Den Wert hatte der Senat auf eine Kleine Anfrage der Grünen genannt.

Doch es sind nicht nur die Autofahrer, die das rote Ampellicht ignorieren. Obwohl auf den Test-Straßen am Sonntag kaum Radfahrer unterwegs waren, gab es auch unter ihnen zahlreiche Gelb- und Rotfahrer, wobei zum Teil Fußgänger, die Grün hatten, gefährdet wurden. Doch auch unter diesen waren viele, die bei Rot über die Fahrbahn liefen, wenn der Autoverkehr eine kleine Lücke ließ.

Ein Streifenwagen oder gar ein Polizist zu Fuß war übrigens in den eineinhalb Teststunden nicht zu sehen. Angaben, wie oft das Verhalten an Ampeln kontrolliert wird, machte die Polizei nicht.

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