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Im Jahr 1999 konnten noch Autos und Busse das Brandenburger Tor passieren.

© picture alliance / Henrik Pohl

Verkehrspolitik in Berlin: Das Brandenburger Tor war schon immer ein Streitpunkt

Keine Autos mehr Unter den Linden: Darüber diskutiert ganz Berlin. Das erinnert an den Streit ums Brandenburger Tor. Von Demonstrationen über Sperrungen bis hin zu einem Machtwort – ein Rückblick auf bewegte Jahrzehnte.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

„Die Linden lang! Galopp! Galopp!

Zu Fuß, zu Pferd, zu zweit!

Mit der Uhr in der Hand,

mit'm Hut auf'm Kopp,

Keine Zeit! Keine Zeit! Keine Zeit!“

In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts, als Walter Mehring dieses wunderbare Lied schrieb, war der Verkehr durch das Brandenburger Tor und auf Berlins berühmtem Boulevard keinen Einschränkungen unterworfen. Alles, was Beine und Räder hatte, durfte sich dort bewegen – und mit dem deutschen Kaiser verschwand im November 1918 auch das Privileg der Hohenzollern, die mittlere Tordurchfahrt allein zu nutzen.

Erst der Mauerbau riegelte im August 1961 den Zugang zur historischen Mitte hermetisch ab. Aus den Linden wurde eine Sackgasse – und aus dem Brandenburger Tor das Symbol der Teilung. Der damalige Innensenator Heinrich Lummer (CDU) formulierte im Dezember 1984 in einer Debatte des Abgeordnetenhauses den denkwürdigen Satz: „Die deutsche Frage ist offen, so lange das Brandenburger Tor geschlossen ist.“ Fünf Jahre später gab der Mauerfall eine Antwort auf die deutsche Frage, und aus Berlins Wahrzeichen am Pariser Platz wurde ein verkehrspolitisches Streitobjekt.

Im August 1990 legte der rot-grüne Senat unter dem Regierenden Bürgermeister Walter Momper (SPD) ein erstes Konzept für den citynahen Autoverkehr im zusammenwachsenden Berlin vor, das eine weiträumige Umfahrung des Brandenburger Tores vorsah. Ein Jahr später diskutierte die schwarz-rote Landesregierung mit dem Regierungschef Eberhard Diepgen (CDU) an der Spitze darüber, ob das Tor wenigstens für den Bus- und Taxiverkehr geöffnet werden soll. Die Union war dafür, die SPD dagegen. Erst im Mai 1992 einigte sich der Senat: BVG-Busse, Taxis und Radler sollten, neben den Fußgängern, freie Durchfahrt erhalten.

1992: Der Versuch, das Brandenburger Tor für den Autoverkehr zu öffnen

Dem Verkehrssenator Herwig Haase (CDU) wurde allerdings der Spaß verdorben, als er am 26. Mai um 8 Uhr früh das rote Band am Tor zerschneiden wollte. Als er kam, hatte sich die Abgeordnetenhausfraktion der Grünen schon mit einem Tapeziertisch und Klappstühlen in den Weg gestellt, um auf der Fahrbahn eine Fraktionssitzung abzuhalten. Zwölf Stunden hielt die friedliche Blockade, dann trug die Polizei die Grünen-Fraktionschefin Renate Künast und deren Kollegen fort. „Wissen Sie, eine Metropole ohne Autos, das geht nicht“, begründete der CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky damals die Haltung des Senats.

Wenige Monate später, im November 1992, unternahm der Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU) den Versuch, das Brandenburger Tor auch für den Autoverkehr zu öffnen. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 10 km/h sollte das Tor zwischen den breiten Mittelsäulen passierbar werden. Sein Argument: „Der Pariser Platz ist das Foyer der Stadt, da sollte man reinfahren können.“ Damit kam er dem Parteifreund und Verkehrssenator Haase zuvor, der noch über zwei Varianten nachdachte: Durchfahrt mit dem Auto oder enge Umfahrung.

Anschließend wurde, im schwierigen Dialog mit der Bundesregierung, noch eine dritte Variante geprüft: Ein Tunnel unter dem Tor sollte den Ost-West-Verkehr beschleunigen, denn der Bund wollte das neue Parlaments- und Regierungsviertel im Spreebogen vom Autoverkehr entlasten. Bevorzugt wurde die Tunnellösung von der Bundesbauministerin Irmgard Schwaetzer (FDP). Senatsintern führte dies zu einer Krise, denn die SPD lehnte eine Öffnung des Tores für den motorisierten Individualverkehr, und erst recht einen Tunnel, kategorisch ab.

1998: Öffnung für den Autoverkehr auf zwei Spuren

Sechs Jahre ruhte die Diskussion, dann ging Verkehrssenator Jürgen Klemann (CDU) in die Offensive und ordnete überraschend an, das denkmalgeschützte Bauwerk ab 6. März 1998 in Ost-West-Richtung auf zwei Fahrspuren für den Autoverkehr zu öffnen. Von West nach Ost wurde der Verkehr über die Behrenstraße geleitet. Begründet wurde dies mit den Bauarbeiten am Spreebogen für den Bundestag, dafür musste die Dorotheenstraße geschlossen werden. Als diese Verkehrsverbindung zwei Jahre später wieder frei war, wollte die nunmehr sozialdemokratisch geführte Stadtentwicklungsbehörde das Tor wieder für den normalen Autoverkehr schließen.

Dafür gab es im Jahr 2000 einen plausiblen Grund: Das klassizistische Gebäude musste grundsaniert werden. Das dauerte zwei Jahre, in dieser Zeit durften wieder nur Busse und Taxis passieren. Ein neues Verkehrskonzept wurde entwickelt, das die dauerhafte Umleitung des Autoverkehrs über die Dorotheen- und Französische Straße, die Leipziger und Behrenstraße vorsah, außerdem war der Tiergartentunnel in Richtung Invalidenstraße fast fertig. Der Pariser Platz, kündigte die Verkehrsstaatssekretärin Maria Krautzberger (SPD) an, könne bald wieder „als Platz angeboten“ werden.

Im Mai 2002, als das Tor wieder standfest und schön herausgeputzt war, ließ Stadtentwicklungssenator Peter Strieder den Pariser Platz noch hübsch pflastern. Eine gute Gelegenheit, die Durchfahrt vorläufig komplett zu sperren. Und der neue Regierungschef Klaus Wowereit (SPD) setzte sich in einem Hörfunk-Interview überraschend dafür ein, es bei dieser Sperrung für den gesamten Autoverkehr zu belassen. Es mache einfach Sinn, dort „Ruhe zu schaffen.“

Seit 2002: Vorzug für Fußgänger und Radfahrer

Nicht allen Sozialdemokraten war das recht. Sollten neue Verkehrsprognosen zeigen, dass die Durchfahrt mit dem Auto doch erforderlich sei, werde man sich nicht dagegen stemmen, erklärte der damalige SPD-Fraktionschef Michael Müller. Im August 2002 einigte sich der rot-rote Senat erst einmal auf einen Kompromiss, den der SPD-Landeschef und Senator Strieder durchsetzte. Ab Oktober sollen Linienbusse und Taxis wieder durch das Tor rollen dürfen. Allerdings hielt sich der Stadtentwicklungssenator ein Hintertürchen offen. Man werde den Verkehr durchs Tor „gut beobachten“, und außerdem sei Wowereits Meinung auch „gut vertretbar“.

Mitte Oktober 2002 löste sich das verkehrspolitische Hin und Her endlich auf. Strieder sprach ein Machtwort, trotz Bedenken in den eigenen SPD-Reihen und gegen den Widerstand von CDU und FDP, die allerdings in der Opposition saßen. Der Koalitionspartner PDS (heute: Linke) war zufrieden, Wowereit auch. Das Brandenburger Tor steht seitdem nur Fußgängern und Radfahrern offen. Erst hinter dem Pariser Platz dürfen Autos gen Osten rollen, soweit es die Baustellen zulassen. Aber auch damit soll es ab 2019, wenn es nach dem Willen von Rot-Rot-Grün geht, vorbei sein. Unter den Linden soll bis zum Humboldt-Forum weitgehend autofrei werden.

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Lesen Sie mehr im Tagesspiegel: Das Gerangel um Berlins bisherige Fußgängerzonen, von der Altstadt Spandau bis zur City – ein weiterer Rückblick.

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