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Versammlung für das Klima: Ein Archivbild der Fridays For Future-Demo in Berlin vom 20. September 2019.

© Christophe Gateau/dpa

Versammlungen in der Corona-Krise: Berlin sollte eine Webseite für Online-Demos einrichten

In der Pandemie ist das Demonstrationsrecht stark eingeschränkt. Doch Versammlungen könnten trotzdem möglich gemacht werden – und zwar online. Ein Gastbeitrag.

Der Gastautor: Christopher Lauer wurde als einer der führenden Köpfe der Piratenpartei bekannt. Von 2011 bis 2016 war er Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses. 2016 wechselte er in die SPD, im Jahr 2018 verabschiedete er sich aus der aktiven Politik. Im folgenden Gastbeitrag schlägt er vor, die wegen der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie weitgehend untersagten Demonstrationen ins Netz zu verlagern – das Land Berlin könnte dafür eine Webseite einrichten, um eine zentrale Anlaufstelle für Online-Demos zu haben.

Der Hintergrund: Am vergangenen Dienstag hat der Senat Lockerungen der Maßnahmen gegen das Coronavirus verkündet. Wie berichtet, soll es eine großzügigere Genehmigungspraxis für Versammlungen unter freiem Himmel geben: Ab dem 4. Mai dürfen „ortsfeste“ Veranstaltungen – also Demonstrationen an einem Ort – mit bis zu 50 Personen stattfinden und sind grundsätzlich genehmigungsfrei. Ab sofort gilt also: Die zuletzt sehr rigide gehandhabte Ausnahmeregelung für Versammlungen mit maximal 20 Personen wird gelockert.

Im letzten Jahr gab es in Berlin mehr als 5350 Demonstrationen, also fast 15 pro Tag. Diese Marke dürfte dieses Jahr unterschritten werden. Zum einen hat natürlich niemand Interesse daran, sich bei einer Massenveranstaltung mit dem Virus anzustecken, zum anderen ist es auch gar nicht möglich: Durch die Verordnung zur Eindämmung des Coronavirus in Berlin ist das Demonstrationsrecht stark eingeschränkt.

Auf der Webseite der Versammlungsbehörde Berlin erfährt man, dass nur in „besonders gelagerten Einzelfällen“ und unter Einbeziehung des zuständigen Gesundheitsamts Versammlungen unter freiem Himmel mit bis zu 20 Teilnehmenden genehmigt werden.

Doch grade in diesen Zeiten gäbe es viel zu demonstrieren: Ich zum Beispiel würde gerne dagegen demonstrieren, dass viele Bundesländer, leider auch Berlin, die zur Eindämmung der Pandemie notwendigen Beschränkungen teilweise wieder aufheben.

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Lehrerinnen und Lehrer würden vielleicht gerne dagegen demonstrieren, dass es ihnen an Ausstattung fehlt, in Zeiten der Pandemie sicher zu unterrichten. Und auch Fridays For Future würde mit Sicherheit gerne die wöchentliche Dauerdemo vor dem Bundeswirtschafts- und dem Bundesverkehrsministerium fortsetzen, denn, auch wenn es schön wäre, die Klimakatastrophe macht trotz Corona keine Pause.

Demonstrationen sind ein wichtiger Bestandteil des demokratischen Diskurses. Sie sorgen im Idealfall für Berichterstattung, Bilder, zeigen der Politik, dass es hier ein Thema gibt, dass es zu bearbeiten gilt. Für die Demonstrierenden haben sie noch eine ganz andere Funktion: Das Gefühl, mit vielen Menschen an einem Strang zu ziehen spendet Kraft und Mut, man vergewissert sich, nicht alleine zu sein. All das fehlt jetzt.

Da ein sicherer Impfstoff und eine komplett durchgeimpfte Bevölkerung auf sich warten lassen dürften, ist davon auszugehen, dass es noch lange dauern wird, bis es in Berlin und anderswo wieder Großdemos geben wird.

Berlin könnte die Webseite demo.berlin.de einrichten

Das sollte den Bund, die Länder, insbesondere Berlin als Hauptstadt Deutschlands, nicht davon abhalten, die Gewährleistung des Demonstrationsrechts anders sicher zu stellen, nämlich online.

Fridays for Future macht es vor, seit den geltenden Kontaktbeschränkungen demonstrieren sie online, machen auf Social Media auf ihre Anliegen aufmerksam. Aber was hinderte das Land Berlin daran, die Webseite demo.berlin.de einzurichten, um eine zentrale Anlaufstelle für Online-Demos zu haben?

Technisch wäre es überhaupt kein Problem, Videos, Livestreams, Podcasts und Texte über die Webseite auszugeben. Es wäre darüber hinaus kein Problem, durch entsprechende Banner auf den Webseiten der jeweiligen Senatsverwaltungen darauf hinzuweisen, dass gerade eine Demo stattfindet. So könnte, auch wenns weh tut, die Senatsverwaltung für Bildung auf die demonstrierenden Lehrerinnen und Lehrer hinweisen.

Das Abspielen von vorher aufgezeichneten Videos oder Livestreams ersetzt natürlich keine Massenveranstaltung mit 60.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, aber prominent platziert würde diese Seite mehr Aufmerksamkeit für Online-Protest erzeugen, als einen YouTube-Link an seine 100 Followerinnen und Follower auf Twitter zu teilen. Immerhin wird berlin.de täglich von mehr als 75.000 Menschen besucht.

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Interessant werden würde es natürlich bei der Frage, wo das Land Berlin eine Grenze ziehen würde, also welche Online-Demos nicht auf der Seite erscheinen würden. Das würden Gerichte im Zweifel aber relativ schnell klären.

Ebenfalls diskussionswürdig wäre, ob damit sehr obskuren Anliegen möglicherweise nicht mehr Aufmerksamkeit gegeben werden würde, als sie jemals mit einer physischen Demo erhalten hätten. Ich denke aber, dass die Vorteile für den öffentlichen Diskurs, eine zentrale Plattform für Online-Demos zu haben, die Nachteile, mit manchmal eher abseitigen, obskuren und esoterischen Dingen in Kontakt zu kommen, überwiegt.

Vielleicht hilft es noch sich zu vergegenwärtigen, dass auch eine Online-Demo nicht im luftleeren Raum stattfinden würde, auch sie hätte einen Anmelder und einen verantwortlichen Versammlungsleiter. Auch Online-Demos können unter Auflagen stattfinden.

So oder so: Berlin hätte Möglichkeiten das Demonstrationsrecht auch in der digitalen Welt zu gewährleisten, es sollte sie nutzen.

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