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Berlin spielt München. An sich sind die Berliner Landesfarben Weiß und Rot, doch stets im September und Oktober machen sich Weiß und Blau in der Stadt breit.

© Björn Kietzmann

Volksfeste in Berlin: Wo, bitte, geht’s zur Wiesn?

Oktoberfest und Berlin – passt das zusammen? Ein Streifzug auf der Suche nach Stimmung und Wahlparty.

Beim Bier versteht der Bayer keinen Spaß, und schon gar nicht gegenüber einem Preußen, das war schon zu Kaisers Zeiten so. Ganz nah an der bajuwarischen Volksseele ist etwa eine damalige Karikatur aus dem „Simplicissimus“, die einen spillerigen Berliner mit Zwirbelbart und sein krachledernes Gegenstück mit Gamsbarthut kontrastierte. „Mit der Münchner Kunst is nischt mehr, Berlin is jetz’ die deutsche Kunstmetropole“ – derlei hauptstädtische Hochnäsigkeit entlockte dem Herrn von der Isar nur ein gutmütiges „So, so“. Als der Berliner aber nachsetzte: „Un besseres Bier wird in Berlin auch schon jebraut“, da schwang der Bayer zornentbrannt seinen Humpen: „Hanswurscht, damischer, dass i dir dei freche Goschen net recht herhau.“

Das war zu einer Zeit, als das Oktoberfest noch das Oktoberfest war, nämlich in München; als dieses schöne herbstliche Ritual sich noch nicht inflationär über ganz Deutschland und den Rest des Erdballs verbreitet hatte, mit immer neuen aus dem Boden schießenden Festzelten, so dass man schon mal den Überblick verlieren kann.

Auf dem Oktoberfest in Berlin sorgen alkoholische Getränke aus Bayern für Stimmung

Zum Beispiel jene Gruppe mittelalterlicher Berliner, vier Männer, vier Frauen, die es sich am frühen Sonntagnachmittag auf dem „Oktoberfest“ am Washingtonplatz mit alkoholischen Getränken süddeutscher Herkunft gemütlich gemacht haben. Gönnten sich zuvor eine Kremserfahrt, wollten hinterher am Hauptbahnhof noch einen heben, fanden den dafür aber zu ungemütlich und guckten ins Internet, voller Hoffnung auf bayerische Gemütlichkeit. Stießen auf das Festzelt „Spreewiesn“ am Hamburger Bahnhof, das aber erst abends öffnet, wurden schon missmutig – und sitzen nun doch an einem Biertisch im konkurrierenden „Festzelt der Hauptstadt“.

Ein Ort, der dem dampfenden Vergnügen eines gut gefüllten Wiesn-Festzelts zu dieser frühen Stunde noch denkbar fern ist. Nur wenige Gäste sitzen verstreut auf den Bänken, wer von ihnen gezielt gekommen ist, kann man kaum ahnen, die Leute mit Rollkoffern jedenfalls gehören nicht zu dieser Kategorie. Wie das Bier ihnen schmecke? Die muntere Männerrunde, am seitlichen Zelteingang platziert, behauptet jedenfalls, das noch nicht zu wissen, es sei ihr erstes Bier. Aber viel Zeit zum Testen bleibt ihnen nicht mehr, in einer dreiviertel Stunde geht ihr Zug zurück ins Münsterland.

 Das „Festzelt der Hauptstadt“ am Washingtonplatz, wo mehr oder weniger fleißig Oktoberfest gefeiert wird.
Das „Festzelt der Hauptstadt“ am Washingtonplatz, wo mehr oder weniger fleißig Oktoberfest gefeiert wird.

© Björn Kietzmann

Die Landtagswahl in Bayern spielt beim Berliner Oktoberfest keine Rolle

Immerhin versperren jetzt keine Gästescharen den Blick auf die zünftig gekleideten Serviermädels und -buben, die durch die weitgehend leeren Tischreihen flitzen. Und man hätte jetzt auch freie Sicht auf die Bühne, auf der – Plakate deuten es an – irgendwann sogar lebendige Menschen musizieren, aber zurzeit kommt das Hummtata noch vom Band. Ist wohl auch wirklich noch zu früh. Ach ja, und Wahltag in Bayern ist heute ja ebenfalls, aber das spielt hier alles keine Rolle, die Wahlmöglichkeiten konzentrieren sich auf die Entscheidung für Weißwurst, Hendl oder Haxen. Wäre ja auch überraschend, wenn es hier an diesem Tag politischer zugehen sollte als in den anderen Berliner Treffpunkten der bajuwarischen Diaspora, wo man, wie eine Kurzumfrage ergeben hat, am Sonntag alles mögliche Brauchtum pflegen wollte, sich um die Wahl aber nicht kümmerte.

Manch einer kommt auch so auf seine Kosten, während sich das Rattern der Rollkoffer mit der Blasmusik von drinnen mischt:  die vielen Touristen beispielsweise, die sich draußen vorm Zelt gegenseitig mit einem zähnefletschenden bronzierten Ungetüm fotografieren lassen, das sie offenbar für den Berliner Bären halten, und einem überraschend ebenfalls aufgestellten Eisbären – Knut, du hier? – rasch den Schädel tätscheln; oder die vielen Vorbeieilenden mit kleinem Hunger, den sie rasch mit einer Bratwurst bekämpfen, und ein schnelles Helles passt auch noch rein, serviert an Verkaufsständen im rustikalen Hüttenlook. Und nicht zuletzt das japanische Pärchen wird sich freuen, das jetzt draußen freudestrahlend die weiß-blaue Dekoration fotografiert. Gut möglich, dass die beiden zu Hause in Tokio stolz erzählen, in München seien sie auch gewesen.

Das Oktoberfest auf dem Washingtonplatz ist bis zum 22. September geöffnet (Mo-Do 15-22 Uhr, Fr/Sa 15-24 Uhr, So 12-22 Uhr). Die „Spreewiesn“ am Hamburger Bahnhof kann man bis 19. Oktober besuchen (täglich ab 18 Uhr). Weitere Oktoberfeste: Zentraler Festplatz am Kurt-Schumacher-Damm (27.9.–13.10.); Alexanderplatz (29.9.–13.10.); Hofbräuhaus, Karl-Liebknecht-Straße 30 (21.9.–6.10.); Fischerhütte am Schlachtensee (25.9.–26.10.). Weitere Feste unter blog.top10berlin.de/tag/oktoberfest-berlin

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