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Berlin: Volkssport Fehlalarm: Jetzt wird es teuer – für die Täter Gerichte verhängen drastische Strafen bei Missbrauch des Notrufs 112. Gestern wurde die Feuerwehr in einem besonders krassen Fall irregeführt

Der Notruf geht bei der Feuerwehr um 5.29 Uhr ein: „Ich krieg keine Luft mehr.

Der Notruf geht bei der Feuerwehr um 5.29 Uhr ein: „Ich krieg keine Luft mehr.“ Dann röchelt die Frau nur noch, die Leitung bricht zusammen. Die Anruferin konnte keine Adresse mehr nennen. In neun Minuten wird von der Polizei der Besitzer des Mobiltelefons ausfindig gemacht, dessen Nummer auf dem Display der Leitstelle aufleuchtete. Eine Frau F., aus der Selchower Straße in Neukölln. Um 5.38 Uhr rasen ein Löschzug und ein Notarztwagen durch Neukölln. Die Ärzte klingeln bei Frau F., sie macht nicht auf. Über den Balkon von Nachbarin W. dringen die Feuerwehrmänner in die Wohnung im 4. Stock ein und finden – nichts. Offensichtlich wurde die verkehrte Adresse angefahren – und der Anruf klang so authentisch. Die Besitzerin des Handys muss ja nicht in der eigenen Wohnung ohnmächtig geworden sein, sorgt sich der Notarzt. Da geht um 5.53 Uhr der nächste Notruf von diesem E-Plus-Mobiltelefon ein, nun aber von einer „Frau Schneider“: „Das ist in der Sonnenallee 13“. Wieder rast der Notarztwagen durch Neukölln – und wieder finden die Retter nichts. In der Sonnenallee gibt es keine Frau F. am Klingelbrett und auch keine Frau Schneider. Jetzt ist den Feuerwehrleuten klar: Sie wurden an der Nase herumgeführt.

Dieser krasser Fall von böswilliger Alarmierung ärgerte die Feuerwehr gestern Morgen. Die Besitzerin des Telefons mit der 0178-Nummer muss jetzt mit einer Strafanzeige rechnen. Immerhin blieb die Wohnungstür heil, weil die Feuerwehr bevorzugt die Balkontür einschlägt. „Wir wollen mit möglichst wenig Schaden rein“, sagte ein Beamter. Geht das nicht, werde jedoch gnadenlos die Tür eingerammt. Denn im Hinterkopf der Sanitäter und Ärzte arbeitet immer die Angst: Hinter dieser Tür kann gerade ein Mensch sterben. Deshalb gilt bei den Rettern das Motto: Lieber einmal zu oft fahren als einmal zu wenig. „Uns ärgern die böswilligen Anrufe“, hieß es.

Was hinter dem Neuköllner Fall von gestern steckt, darüber konnten Mieter des Altbaus nur spekulieren. „Die Frau wohnt da doch gar nicht mehr, die ist doch ausgezogen“, sagte eine Mieterin über Frau F.

Die Beamten in der Leitstelle der Feuerwehr in Charlottenburg kennen das: eifersüchtige Ehepartner, angetrunkene Kneipengäste, und gelangweilte Kinder gehören zu den häufigsten Kandidaten, die dem 112- Notruf Märchen auftischen. „In den Ferien gibt es signifikant mehr böswillige Alarmierungen“, sagte Lothar Wackermann von der Leitstelle gestern dem Tagesspiegel. Am leichtesten ist die Ernsthaftigkeit bei Kindern zu testen: „Die verplappern sich bei der ersten Rückfrage.“ In den letzten Jahren habe der Missbrauch der „112“ – und auch der „110“ der Polizei zugenommen – mit der Zunahme von Mobiltelefonen. Nur ein Fünftel der täglich 4000 Anrufe bei der „112“ führen noch zu einem Einsatz. Der Rest ist purer Unsinn. Viele probieren ihr neues Handy als erstes mit einer Notrufnummer aus, schließlich kostet das nichts.

Doch das wissen die wenigsten: Die Nummer des Anrufers, egal ob aus dem Festnetz oder vom Mobiltelefon leuchtet immer auf dem Display der Leitstelle auf. Es nützt nicht einmal etwas, wenn die so genannte Rufnummernunterdrückung aktiviert wurde: Feuerwehr und Polizei erkennen den Anrufer dennoch. Dazu wurden die Anbieter der Mobilfunknetze verpflichtet. Bei normalen Hausanschlüssen liefert der Computer der Feuerwehr meist auch automatisch die dazugehörige Adresse – wer also von einem Wilmersdorfer Anschluss aus behauptet, „Ich steh’ hier in Tegel und es brennt“, kann sofort der Lüge überführt werden. „Viele wollen die Feuerwehr einfach mal Parade fahren lassen“, sagte Wackermann.

Doch das kann teuer werden. Die Feuerwehr hat jetzt damit begonnen, besonders böswillige Anrufer strafrechtlich zu verfolgen. Mittlerweile wurden die ersten verurteilt. Ein Herr K. – er hatte äußerst detailliert über die 112 eine angebliche Geburt geschildert – wurde zu einer Geldstrafe von sechzig Tagessätzen seines Einkommens verurteilt. Vor kurzem wurde ein anderer Berliner sogar zu einer Geldstrafe von achtzig Tagessätzen verurteilt, sagte Feuerwehrchef Albrecht Broemme dem Tagesspiegel. Jetzt werde geprüft, ob auch gegen Frau F. Strafanzeige gestellt wird.

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